idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Grafik: idw-Logo

idw - Informationsdienst
Wissenschaft

Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
17.07.2018 15:36

Volkskrankheit Rheumatoide Arthritis: Neue „Zielscheibe“ für nebenwirkungsarme Kortisontherapie

Annika Bingmann Pressestelle
Universität Ulm

    Rheumatoide Arthritis ist eine Volkskrankheit - und oft werden die schmerzenden Gelenke mit kortisonhaltigen Medikamenten behandelt. Dabei reichen die Nebenwirkungen von Knochenschwund bis Diabetes. Eine Forschergruppe um Prof. Jan Tuckermann von der Universität Ulm hat nun molekulare Mechanismen der Kortisonbehandlung aufgedeckt. Ihre in der Fachzeitschrift "Annals of the Rheumatic Diseases" veröffentlichten Ergebnisse sollen zu einer gezielteren und somit nebenwirkungsarmen Therapie rheumatischer Erkrankungen beitragen.

    Mit über einer halben Million Betroffenen alleine in Deutschland ist die Rheumatoide Arthritis die häufigste chronische Gelenkentzündung. Zur Schmerzlinderung werden Patienten oft viele Jahre mit kortisonhaltigen Medikamenten behandelt. Doch eine solche Langzeittherapie kann schwere Nebenwirkungen haben – von Osteoporose bis Diabetes. Eine Forschergruppe um Professor Jan Tuckermann von der Universität Ulm und Dr. Ulrike Baschant (TU Dresden) hat nun bisher unverstandene molekulare Mechanismen der Kortisonbehandlung aufgedeckt. Ihre in „Annals of the Rheumatic Diseases“ veröffentlichten Ergebnisse könnten zu einer gezielteren, nebenwirkungsarmen Behandlung der rheumatischen Erkrankung beitragen.

    Das Einkaufen oder Treppensteigen wird zur Qual, und neben schmerzhaften Gelenkentzündungen bis zur -zerstörung sind teilweise auch innere Organe betroffen. Viele Patientinnen und Patienten mit Rheumatoider Arthritis können ihren Alltag während eines Schubs nur mithilfe von kortisonhaltigen Medikamenten meistern. Doch bei jahrelanger entzündungshemmender Kortisontherapie drohen Resistenzen und schwere Nebenwirkungen wie Knochenschwund. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben nun die molekulare Wirkweise von Kortison im Detail nachvollzogen und für die Entzündungshemmung wichtige Zelltypen identifiziert. Das Entwicklungsziel für neue, gezielter wirkende Medikamente: Patienten sollen möglichst ohne gesundheitliche Risiken vom schmerzstillenden Effekt des Arzneistoffs profitieren.

    In der Zellkultur und in Mausmodellen mit teils ausgeschaltetem Kortisonrezeptor konnte die Gruppe zeigen, dass so genannte synoviale Fibroblasten eine herausragende, aber indirekte Rolle für die schmerzstillende Kortisontherapie spielen. Dabei handelt es sich um Bindegewebszellen im Gelenkspalt, die sich bei einer Arthritis stark ausbreiten und die Entzündung fördern. Bei einer Behandlung mit Kortison aktivieren diese Fibroblasten vor allem „Fresszellen“ (Makrophagen), die Entzündungsherde beseitigen. Demgegenüber ist die direkt durch den Kortisonrezeptor vermittelte Wirkung des Arzneistoffes auf Immunzellen gering. „Bisher wurde die Wirkung kortisonhaltiger Präparate auf synoviale Fibroblasten lediglich in der Zellkultur untersucht, wodurch sich das Zusammenspiel mit anderen Zellen schwer nachvollziehen lässt. Jetzt konnten wir allerdings erstmals im Mausmodell zeigen, dass gerade die Interaktion der Fibroblasten mit den Fresszellen entscheidend für den Erfolg der antientzündlichen Kortisontherapie ist“, sagt Professor Jan Tuckermann, Leiter des Ulmer Instituts für Molekulare Endokrinologie der Tiere. Außerdem gelang es den Foscherinnen und Forschern, eine „Lehrbuchmeinung“ zu widerlegen: Offenbar spielt die Hemmung „klassischer Zytokine“ – das sind Botenstoffe, die die Immunantwort regulieren – doch keine Schlüsselrolle bei der Arthritis-Behandlung.

    Aus diesen Ergebnissen aus dem Labor lassen sich konkrete Verbesserungen für die Rheumatherapie ableiten: „Künftige Medikamente sollten entzündungshemmende Wirkstoffe gezielt an Bindegewebszellen im Gelenkspalt, die synovialen Fibroblasten, abgeben oder an Mediatoren, die wir bei RNA-Analysen identifiziert haben“, sagt Mascha Koenen von der Uni Ulm, die Erstautorin der Studie. Werden diese pharmakologischen Zielscheiben direkt anvisiert, könnte die Behandlung rheumatischer Erkrankungen optimiert und Nebenwirkungen reduziert werden. Denn von der chronischen Gelenkentzündung sind längst nicht nur Seniorinnen und Senioren betroffen: Rheumatoide Arthritis kann in jedem Lebensalter auftreten – und gerade bei jüngeren Patienten sollten gesundheitsgefährdende Langzeitfolgen der schmerz- und entzündungshemmenden Therapie verhindert werden.

    Die Forschergruppe von den Universitäten Ulm, Dresden, Erlangen-Nürnberg, Lyon I sowie vom Leibniz-Institut für Alternsforschung – Fritz-Lipman-Institut (Jena) wurden durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (Schwerpunktprogramm Immunobone) unterstützt. Weitere Förderer umfassen den Ulmer Trauma-Sonderforschungsbereich 1149, die Boehringer Ingelheim Stiftung, das Trilaterale Consortium für Osteoporose sowie Förderprogramme der Universität Ulm.

    Vorschlag Bildunterschrift "Histologie" (Abbildung: Institut für Molekulare Endokrinologie der Tiere):
    Histologische Untersuchungen von arthritischen Wildtyp-Mäusen (obere Reihe) und Mäusen mit einer Mutation des Kortison-Rezeptors (GR) in nicht-Immunzellen. In arthritischen Mäusen (links) zeigen Wildtyp- und mutante Mäuse starke Einwanderungen von entzündlichen Zellen im Gelenk (Sternchen). Bei der Steroidtherapie (rechts) verschwinden die Entzündungszellen in Wildtyp Mäusen, aber nicht bei den mutanten Mäusen (rechts)


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Weitere Informationen: Prof. Dr. Jan Tuckermann: 0731/50-32600, jan.tuckermann@uni-ulm.de


    Originalpublikation:

    Koenen, Mascha; Culemann, Stephan; Vettorazzi, Sabine; Caratti, Giorgio; Frappart, Lucien; Baum, Wolfgang; Krönke, Gerhard; Baschant, Ulrike*; Tuckermann, Jan; University of Ulm. The glucocorticoid receptor in stromal cells is essential for glucocorticoid-mediated suppression of inflammation in arthritis. Annals of the Rheumatic Diseases. Published Online First: 11 July 2018. doi: 10.1136/annrheumdis-2017-212762


    Bilder

    Prof. Dr. Jan Tuckermann leitet an der Universität Ulm das Institut für Molekulare Endokrinologie der Tiere
    Prof. Dr. Jan Tuckermann leitet an der Universität Ulm das Institut für Molekulare Endokrinologie de ...
    Foto: Eberhardt/Uni Ulm
    None

    Histologische Untersuchungen von arthritischen Wildtyp-Mäusen und Mäusen mit einer Mutation des Kortison-Rezeptors (vollständige BU unter der Pressemitteilung)
    Histologische Untersuchungen von arthritischen Wildtyp-Mäusen und Mäusen mit einer Mutation des Kort ...
    Abbildung: Institut für Molekulare Endokrinologie der Tiere
    None


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Biologie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).