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02.04.2019 11:20

Verlust von Lebensräumen schadet der Artenvielfalt doppelt

Volker Hahn Medien und Kommunikation
Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig

    Der Verlust und die Fragmentierung von Lebensräumen zählen zu den wichtigsten Ursachen, warum an vielen Orten weltweit der Artenreichtum zurückgeht. Jetzt hat ein Forscherteam unter Beteiligung des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) und der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) nachgewiesen, dass sich die Zerstörung von Lebensräumen sogar doppelt auswirkt: Wenn Lebensräume verloren gehen, verschwinden nicht nur die dort lebenden Arten – auch in benachbarten Lebensräumen sinkt die Artenzahl. Ursache seien die zu großen räumlichen Abstände zwischen den noch verbliebenen Lebensräumen, schreiben die Forscher im Fachblatt Ecology Letters.

    Wissenschaftler vom Forschungszentrum iDiv, der Uni Halle und dem Forschungszentrum WasserCluster Lunz in Österreich nutzten für ihre Studie Langzeitdaten zu sogenannten Salzlacken in der Region Seewinkel im Osten Österreichs. In diesen Lacken wurde das Vorkommen von wirbellosem Zooplankton wie kleinen Krebstierchen und Rädertierchen erfasst. Lacken sind sehr seichte, von Niederschlägen und Grundwasser gespeiste und immer wieder austrocknende Kleingewässer von meist weniger als einem Quadratkilometer Fläche, die im Seewinkel zum Teil einen sehr hohen Salzgehalt erreichen. In dem 270 Quadratkilometer großen Untersuchungsgebiet gab es in den 1950er Jahren noch mehr als 110 Lacken. Infolge der landwirtschaftlichen Intensivierung schwand deren Zahl bis auf etwa 30 im Jahr 2010 – ein Rückgang von rund 70 Prozent innerhalb von sechs Jahrzehnten. Entsprechend ging auch die Artenzahl zurück: Fanden die Ökologen 1957 noch 64 Arten, waren es 2010 noch 47 – ein Minus von 17 Arten.

    Was waren die Ursachen, dass in den Salzlacken so viele Planktonarten verschwanden? Lag es nur daran, dass deren Lebensraum verloren ging oder gab es noch einen anderen Effekt? Tatsächlich fanden die Forscher anhand von Modellierungen heraus, dass der Rückgang der Salzlacken von einst 110 auf 30 nur ein Aussterben von vier Zooplanktonarten zur Folge hätte haben dürfen: „Selbst wenn wir nicht die Anzahl der Lacken, sondern stattdessen die Flächen der Lacken berücksichtigen, hätten wir nur ein Rückgang von neun Arten erwartet“, sagt Prof. Jonathan Chase, Leiter der Forschungsgruppe Biodiversitätssynthese bei iDiv und Uni Halle und Letztautor der Studie. Stattdessen seien aber 17 Arten in der Region ausgestorben. Die Forscher konnten jedoch ausschließen, dass für dieses zusätzliche Minus Verschlechterungen in der Qualität der Lebensräume eine Rolle spielten – etwa die Veränderung des Salzgehalts, Schwankungen des Nährstoffgehalts, wechselnde Wasserstände oder Trübungen der Tümpel. „Es muss also noch einen anderen Effekt auf Landschaftsebene geben, der für das Aussterben der Arten in der Region verantwortlich ist“, sagt Erstautorin Dr. Zsófia Horváth. Sie hat die Studie am WasserCluster Lunz in Österreich sowie beim Forschungszentrum iDiv und der Uni Halle durchgeführt.

    Räumliche Prozesse können den starken Rückgang der Artenzahl erklären: Wenn viele Salzlacken verschwinden, sind die Abstände zwischen den verbleibenden Lacken relativ groß. Für das Zooplankton wird es damit immer schwieriger, neue Lebensräume zu besiedeln – etwa durch die passive Ausbreitung der Eier über Wind oder als "blinder Passagier" an Amphibien oder Vögeln. „Dass Arten lokal verschwinden, kommt immer wieder vor. Problematisch wird es, wenn diese Arten Lebensräume nicht mehr wiederbesiedeln können“, sagt Jonathan Chase. Gebe es weniger Salzlacken, in denen eine bestimmte Art von Zooplankton vorkommt, und seien die verbleibenden Lacken weit voneinander entfernt, sinke die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Art erneut ausbreiten kann. Dies bedeutet, das ein lokales Aussterben in einer Salzlacke nicht mehr durch eine Neubesiedelung von anderen Lacken in der Region aufgefangen werden kann.

    In so genannten Meta-Gemeinschaften, also ökologischen Gemeinschaften von Lebewesen, die sich auf verschiedene Standorte verteilen und potenziell miteinander verbunden sind, gibt es also neben dem lokalen Aussterbe-Effekt einen zusätzlichen Effekt auf regionaler Ebene. Dies wurde schon länger vermutet, aber bislang selten nachgewiesen, weil es wenig Langzeitstudien gibt. Dank der Daten zu den Salzlacken in der Region Seewinkel konnte diese Wissenslücke nun geschlossen werden. „Das ist wichtig, weil dieser Effekt künftig in der Modellierung stärker berücksichtigt werden kann – zum Beispiel, wenn es darum geht, abzuschätzen, wie sich der Verlust von Lebensraum auf die Biodiversität auswirkt“, bilanziert Chase.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Prof. Jonathan Chase (spricht nur Englisch)
    Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig
    Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
    Tel.: +49 341 9733120
    E-Mail: jonathan.chase@idiv.de

    Dr. Zsófia Horváth (spricht nur Englisch)
    WasserCluster Lunz, Lunz am See, Österreich
    Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig
    Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
    Tel.: Bitte Mobilnummer bei iDiv Medien und Kommunikation erfragen.
    E-Mail: hhzsofia@gmail.com

    Auf Wunsch kann iDiv Medien und Kommunikation den Kontakt zu einem deutschsprachigen Wissenschaftler vermitteln, der ebenfalls an der Studie beteiligt war.


    Originalpublikation:

    Horváth, Zsófia; Ptacnik, Robert; Vad, Csaba; Chase, Jonathan (online erschienen am 1. April 2019): Habitat loss over six decades accelerates regional and local biodiversity loss via changing landscape connectance. Ecology Letters. https://doi.org/10.1111/ele.13260


    Bilder

    Die Salzlacken in der Region Seewinkel (Österreich) sind besonders wertvolle Lebensräume.
    Die Salzlacken in der Region Seewinkel (Österreich) sind besonders wertvolle Lebensräume.
    Zsófia Horváth
    None

    Diese kleinen Krebstierchen gehören zum Zooplankton, das in der Studie untersucht wurde. Auf dem Bild ist ein Feenkrebs (Branchinecta orientalis, 3 - 4 cm groß) zu sehen sowie mehrere Wasserflöhe.
    Diese kleinen Krebstierchen gehören zum Zooplankton, das in der Studie untersucht wurde. Auf dem Bil ...
    Imre Potyó
    None


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Biologie, Umwelt / Ökologie
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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