idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Grafik: idw-Logo

idw - Informationsdienst
Wissenschaft

Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
08.04.2019 21:00

Optimal bewirtet: Wie ein Bakterium einen ganzen Plattwurm versorgt

Dr. Fanni Aspetsberger Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie

    Im Sandboden warmer Küstengewässer lebt Paracatenula – ein kleiner Wurm, der weder Mund noch Darm besitzt. Trotzdem fehlt es ihm an nichts dank Riegeria, dem Bakterium, das den Großteil des Körpers des winzigen Wurms ausfüllt. Riegeria umsorgt seinen Wirt rundum – es ist Landwirt, Quartiermeister und Koch in einem. Ein internationales Forscherteam um Harald Gruber-Vodicka und Oliver Jäckle vom Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie in Bremen hat nun herausgefunden, wie die Bakterien den Wurm mit Nahrung versorgen. Ihre Ergebnisse veröffentlichen sie in der Fachzeitschrift PNAS.

    Ob auf einer Expedition in der Antarktis, in der Raumfahrt oder auch nur beim Camping – wenn wir unser Essen nicht aus der Umgebung bekommen, müssen wir Proviant einpacken. ForscherInnen aus Bremen haben nun einen faszinierenden Rundum-Versorger in Form eines symbiotischen Bakteriums im sandigen Meeresboden der Insel Elba im Mittelmeer entdeckt. Das Bakterium lebt im Inneren seines Wirts, ein winziger Plattwurm, und liefert ihm alles, was er braucht. Es macht das so gut, dass der Wurm keinen Mund und keinen Darm mehr braucht. Es serviert die Speisen sogar in handlichen Portionen.

    Passt perfekt: seit 500 Millionen Jahren ein Paar

    Die Bakterien und der Wurm sind schon seit mindestens 500 Millionen Jahren ein Paar. Im Laufe dieser Jahre hat der Symbiont sein Genom auf das Allernötigste reduziert. Dennoch ist er in der Lage, den Wurm mit allem zu versorgen, was dieser zum Leben braucht. „Die Proviantpakete des Bakteriums enthalten auf jeden Fall Fette und Eiweiße, vermutlich auch Zucker und Fettsäuren ebenso wie Vitamine und eine Reihe anderer Stoffe zur Energie- und Nahrungsversorgung“, so Harald Gruber-Vodicka vom Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie in Bremen, Initiator und Leiter der Studie. „Das kennen wir von keiner anderen Symbiose, dass ein einziges Bakterium trotz eines so reduzierten Genoms so viele verschiedene Stoffe selbstständig produzieren und seinem Partner bereitstellen kann.“
    Während Pflanzen Licht als Energiequelle zur Herstellung von Biomasse nutzen, verwenden die Symbionten chemische Energie in einem Prozess namens Chemosynthese. Sie nutzen die Energie aus Schwefelwasserstoff – jener Verbindung, die den Geruch von faulen Eiern hervorruft – im umgebenden Sediment, um Kohlendioxid in organische Verbindungen umzuwandeln. Diese dienen dann dem Wirt als Nahrung.

    Nachhaltig ernten in der Paracatenula-Symbiose

    Besonders überrascht waren die ForscherInnen davon, wie die Symbionten die Nahrung an den Wurm bringen. „In allen bisher bekannten chemosynthetischen Symbiosen verdaut der Wirt die Bakterien, um an deren Inhalt zu kommen“, erklärt Erstautor Oliver Jäckle vom Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie in Bremen, der die Studie im Zuge seiner Doktorarbeit durchführte. „Manche chemosynthetische Symbionten besitzen zusätzlich sogenannte Transporter-Proteine, die die Lieferung der Nahrung an den Wirt übernehmen. Bei Paracatenula und seinen riesigen Symbionten fanden wir aber kaum Verdau oder Transporter-Proteine. Alles deutete auf einen anderen Mechanismus hin.“ Erst kurz vor Abschluss seiner Dissertation konnten Jäckle und Gruber-Vodicka das Rätsel mithilfe ihres Kollegen Niko Leisch und seiner Arbeit am Elektronenmikroskop lösen: Die Bakterien liefern dem Wurm viele kleine, tröpfchenartige Vesikel. „Es ist ein bisschen wie bei einem Obstgarten“, beschreibt Gruber-Vodicka diese Beobachtung. „Die Bakterien tragen kontinuierlich Früchte, die der Wurm erntet. Bei anderen Symbiosen geht es eher zu wie bei der Maisernte – wie ein Feld werden die Bakterien dort komplett abgeerntet, der Wurm verdaut die meisten Bakterienzellen. Das zeigt deutlich, wie bildgebende Analysen für das tiefe Verständnis der wechselseitigen Beziehung von Bakterien und Tieren entscheidend sein können.“

    Neue Einblicke dank interdisziplinärer Arbeitsweise

    Die vorliegende Arbeit liefert einen bisher nicht dagewesenen tiefgreifenden Einblick, wie eine Symbiose mit einem mund- und darmlosen Wirten funktioniert. Neben den bildgebenden Verfahren trugen insbesondere die weitgreifenden Vergleiche mit ähnlichen Symbiosen, beispielsweise bei Muscheln oder Röhrenwürmern, zu einem detaillierten Verständnis dieser besonderen Symbiose bei. „Durch unsere interdisziplinäre Arbeit, die Genomik mit biochemischen und elektronenmikroskopischen Untersuchungen als auch physiologischen Experimenten kombiniert, konnten wir aus verschiedenen Blickwinkeln auf diese Symbiose schauen“, schwärmt Jäckle. Mit diesem Wissen und viel Geduld ist es Jäckle gelungen, Paracatenula seit mittlerweile drei Jahren im Labor zu halten und zu vermehren.
    Ausgehend von diesen spannenden Ergebnissen wollen Jäckle, Gruber-Vodicka und ihre KollegInnen nun das Genom des Wurms nutzen, um seine Rolle genauer zu untersuchen. „Der Wurm hat keine Mittel zur Ausscheidung, scheint aber auch keine Art von Zellmüll zu haben. Alles, was die Bakterien liefern, wird offenbar vom Wurm auf die eine oder andere Weise genutzt“, so Gruber-Vodicka. Zudem kommt Paracatenula nicht nur im Mittelmeer vor, sondern konnte bereits von den Bremer ForscherInnen an mehreren Standorten weltweit gesammelt werden. Derzeit vergleich sie, wie Symbionten verschiedener Wirtsarten die Nahrungsbereitstellung lösen, aber auch, wie sich diese Prozesse in den Linien der Paracatenula entwickelt haben, die sich vor zehn bis hundert Millionen Jahren in verschiedene Arten aufgeteilt haben.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Dr. Harald Gruber-Vodicka
    Abteilung Symbiose
    Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie, Bremen
    Telefon: +49 421 2028-760
    E-Mail: hgruber@mpi-bremen.de

    Dr. Fanni Aspetsberger
    Pressesprecherin
    Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie, Bremen
    Telefon: +49 421 2028-947
    E-Mail: faspetsb@mpi-bremen.de


    Originalpublikation:

    Oliver Jäckle, Brandon K. B. Seah, Målin Tietjen, Nikolaus Leisch, Manuel Liebeke, Manuel Kleiner, Jasmine S. Berg, und Harald R. Gruber-Vodicka: Chemosynthetic symbiont with a drastically reduced genome serves as primary energy storage in the marine flatworm Paracatenula. PNAS. DOI: 10.1073/pnas.1818995116


    Weitere Informationen:


    http://mpi-bremen.de


    Bilder

    Paracatenula lebt rund um den Globus überall dort, wo es Sand unter geschützten Bedingungen gibt. Die weiße Färbung von Paracatenula ist ihren symbiotischen Bakterien zu verdanken.
    Paracatenula lebt rund um den Globus überall dort, wo es Sand unter geschützten Bedingungen gibt. Di ...
    Oliver Jäckle/Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie
    None

    Harald Gruber-Vodicka vom Bremer Max-Planck-Institut bei der Feldarbeit. In Seegraswiesen vor der Mittelmeerinsel Elba sammelten die ForscherInnen solche sogenannten Sedimentkerne.
    Harald Gruber-Vodicka vom Bremer Max-Planck-Institut bei der Feldarbeit. In Seegraswiesen vor der Mi ...
    Manuel Kleiner
    None


    Anhang
    attachment icon Paracatenula-Würmer in ihrer Labor-Heimat. Die Plattwürmer wohnen hier in Glasgefäßen, die u.a. mit Sand und Seegras-Pellets gefüllt sind.

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler
    Biologie, Geowissenschaften, Meer / Klima, Umwelt / Ökologie
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).