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08.07.2020 17:01

Sexualhormone: Wirkung auch auf den Darm

Dr. Sibylle Kohlstädt Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Deutsches Krebsforschungszentrum

    Dass Sexualhormone die Fortpflanzungsorgane regulieren, ist allgemein bekannt. Umstritten ist bislang allerdings, ob und wie sie auf andere Organe des Köpers wirken. Wissenschaftler vom Deutschen Krebsforschungszentrum und vom Huntsman Cancer Institute an der University of Utah fanden heraus, dass Ecdyson, ein Sexualhormon der Fruchtfliege, das Verhalten von Darm-Stammzellen und damit auch die Struktur und Funktion des gesamten Organs drastisch beeinflusst.

    Ecdyson, das den menschlichen Steroidhormonen sehr ähnlich ist, stimuliert das Wachstum der Darm-Stammzellen und fördert damit das Größenwachstum des weiblichen Darms. Das steigert einerseits die Fruchtbarkeit der Weibchen, begünstigt aber andererseits offenbar die Entstehung von Tumoren. Die Ergebnisse wurden nun in der Zeitschrift Nature veröffentlicht.

    Sexualhormone wie Östrogen, Progesteron und Testosteron regulieren das Wachstum und die Physiologie der Fortpflanzungsorgane während der Pubertät, während des weiblichen Monatszyklus und der Schwangerschaft. Nicht überraschend war daher, dass diese Hormone auch die Tumorentstehung in Brust, Gebärmutter und Prostata fördern. Dagegen sind die Einflüsse der geschlechtsspezifischen Steroidhormone auf nicht-geschlechtsspezifische Organe bislang wenig erforscht und gelten als umstritten.

    Aurelio Teleman, Stoffwechsel-Experte am Deutschen Krebsforschungszentrum und Bruce Edgar, Stammzellbiologe am Huntsman Cancer Institute, haben nun an Fruchtfliegen untersucht, wie Sexualhormone auf die Stammzellen des Darms wirken. „Wir wussten, dass sich bei Fruchtfliegen der Darm beider Geschlechter unterscheidet. Das Organ ist bei weiblichen Fruchtfliegen größer als bei den Männchen, und Weibchen erkranken viel häufiger an Darmtumoren als Männchen. Aber wir wussten nicht, warum das so ist“, erklärt Bruce Edgar. Mit ihrer aktuellen Arbeit, die nun in der Zeitschrift „Nature“ veröffentlicht wurde, liefern die beiden Wissenschaftler Erklärungen für diese Phänomene.

    Die Teams von Edgar und Teleman fanden heraus, dass das geschlechtsspezifische Hormon Ecdyson die Wachstumseigenschaften von Stammzellen im Darm – also bemerkenswerterweise nicht in einem Fortpflanzungsorgan – drastisch verändern kann. Diese Veränderungen wirken sich auf die Struktur und Funktion des gesamten Organs aus. Ecdyson stimuliert die Teilung von Darm-Stammzellen und lässt den Darm insgesamt wachsen. Wenn männliche Fliegen mit der Nahrung Ecdyson erhalten, führt dies dazu, dass sich ihre sonst langsam teilenden Stammzellen genauso schnell teilen wie die der weiblichen Tiere. Das deutet darauf hin, dass der Spiegel des Geschlechtshormons für die Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Darm-Stammzellen verantwortlich ist.

    Für die Fruchtfliege bringt die Wirkung des Ecdysons im Laufe ihres Lebens sowohl Vor- als auch Nachteile mit sich. Zunächst hilft mehr Ecdyson den Weibchen bei der Fortpflanzung, indem es den Darm vergrößert. So kann das Organ mehr Nährstoffe verwerten, was der Fliege hilft, mehr Eier zu legen. Doch im späteren Leben schafft das von den Eierstöcken produzierte Ecdyson offenbar ein günstigeres Umfeld für das Tumorwachstum, was die Lebensspanne der weiblichen Fruchtfliegen verkürzen könnte: Die Forscher hatten im Darm der älteren Weibchen deutlich mehr Stammzellen entdeckt, deren Erbgut durch Mutationen stark geschädigt war, als bei gleichalten Männchen. Derartig mutierte Zellen entarten häufig zu Krebszellen. „Für den evolutionären Vorteil einer verbesserten Fruchtbarkeit müssen die Weibchen möglicherweise mit einer verkürzten Lebensspanne bezahlen“, spekuliert Aurelio Teleman.

    Die experimentellen Arbeiten wurden größtenteils von Sara Ahmed, einer gemeinsamen Doktorandin im Edgar- und im Teleman-Labor am Zentrum für Molekulare Biologie der Universität Heidelberg (ZMBH) und am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) durchgeführt. „Unsere Arbeit liefert einen der ersten Beweise dafür, dass Sexualhormone das Verhalten nicht-sexueller Organe wie des Darms verändern“, erklärt die Forscherin.

    Der Mensch hat zwar kein Ecdyson, aber verwandte Steroidhormone wie Östrogen, Progesteron oder Testosteron – und deren Rezeptoren. Die Forscher wollen nun die Beziehung von Stammzellen und Steroidhormonen auch in menschlichen Organen eingehender analysieren. Östrogen und Testosteron sind als treibende Kraft bei Brust-, Gebärmutter- und Prostatakrebs bereits bekannt. Die aktuelle Arbeit an Drosophila legt nahe, auch bei Krebsarten in anderen Organen, beispielsweise im Magen-Darm-Trakt, nach möglichen Einflüssen von Steroidhormonen zu suchen.

    Die Arbeit wurde von den National Institutes of Health unterstützt, vom National Cancer Institute (P30 CA01420114), vom National Institute of General Medical Sciences (R01 124434), vom Europäischen Forschungsrat, vom Deutschen Krebsforschungszentrum und der Huntsman Cancer Foundation.

    Sara Mahmoud H. Ahmed, Julieta A. Maldera, Damir Krunic, Gabriela O. Paiva-Silva, Clothilde Pénalva, Aurelio A. Teleman & Bruce A. Edgar: Fitness trade-offs incurred by ovary-to-gut steroid signalling in Drosophila.
    Nature 2020, https://doi.org/10.1038/s41586-020-2462-y

    Ein Bild zur Pressemitteilung steht zur Verfügung unter:
    www.dkfz.de/de/presse/pressemitteilungen/2020/bilder/ecdysone-paper.jpg

    BU: Sexualhormone steigern die Gefahr, dass onkogene Mutationen Tumoren auslösen: Mitte: Darmstammzellen mit einer krebstreibenden Mutation (grün), rechts: dieselben Zellen unter Einfluss des Sexualhormons

    Nutzungshinweis für Bildmaterial zu Pressemitteilungen
    Die Nutzung ist kostenlos. Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) gestattet die einmalige Verwendung in Zusammenhang mit der Berichterstattung über das Thema der Pressemitteilung bzw. über das DKFZ allgemein. Bitte geben Sie als Bildnachweis an: „Quelle: Teleman/DKFZ“.
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    Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Über 1.300 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können.
    Beim Krebsinformationsdienst (KID) des DKFZ erhalten Betroffene, interessierte Bürger und Fachkreise individuelle Antworten auf alle Fragen zum Thema Krebs.
    Gemeinsam mit Partnern aus den Universitätskliniken betreibt das DKFZ das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) an den Standorten Heidelberg und Dresden, in Heidelberg außerdem das Hopp-Kindertumorzentrum KiTZ. Im Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK), einem der sechs Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung, unterhält das DKFZ Translationszentren an sieben universitären Partnerstandorten. Die Verbindung von exzellenter Hochschulmedizin mit der hochkarätigen Forschung eines Helmholtz-Zentrums an den NCT- und den DKTK-Standorten ist ein wichtiger Beitrag, um vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik zu übertragen und so die Chancen von Krebspatienten zu verbessern.
    Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren.

    Ansprechpartner für die Presse:

    Dr. Sibylle Kohlstädt
    Pressesprecherin
    Kommunikation und Marketing
    Deutsches Krebsforschungszentrum
    Im Neuenheimer Feld 280
    69120 Heidelberg
    T: +49 6221 42 2843
    F: +49 6221 42 2968
    E-Mail: S.Kohlstaedt@dkfz.de
    E-Mail: presse@dkfz.de
    www.dkfz.de


    Originalpublikation:

    Sara Mahmoud H. Ahmed, Julieta A. Maldera, Damir Krunic, Gabriela O. Paiva-Silva, Clothilde Pénalva, Aurelio A. Teleman & Bruce A. Edgar: Fitness trade-offs incurred by ovary-to-gut steroid signalling in Drosophila.
    Nature 2020, https://doi.org/10.1038/s41586-020-2462-y


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Biologie, Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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