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05.11.2020 14:29

ERC Synergy Projekt zur Arzneimitteltoleranz bei unbehandelbaren Pilzinfektionen

Manuela Zingl GB Unternehmenskommunikation
Charité – Universitätsmedizin Berlin

    Gemeinsame Pressemitteilung der Charité – Universitätsmedizin Berlin und der Universität Tel Aviv

    Arbeitsgruppen an der Charité – Universitätsmedizin Berlin und der Universität Tel Aviv gehen in den kommenden sechs Jahren der Frage nach, auf welche Weise invasive Pilzerreger einer Behandlung entgehen und eine Toleranz gegenüber antimykotischen Substanzen entwickeln können. Grundlegendes Wissen über krankheitserregende Pilze einerseits und Entdeckungen auf Ebene des Zellstoffwechsels andererseits kommen in diesem gemeinsam geleiteten Projekt zusammen. Ein Synergy Grant des Europäischen Forschungsrates (ERC) unterstützt das umfangreiche Vorhaben mit insgesamt 9,7 Millionen Euro.

    Systematische Ursachenforschung an Charité und Universität Tel Aviv

    Pilzinfektionen sind weit verbreitet und in vielen Fällen nicht lebensbedrohlich. Eine Ausnahme bilden jedoch invasive Pilzinfektionen, die zur Sepsis – eine schwerwiegende, systematische Reaktion des Organismus auf eine unkontrollierte Infektion – beitragen können. Pilzerkrankungen dieser Art erreichen eine Sterblichkeitsrate von bis zu 50 Prozent, sind meist schwer zu behandeln, und stehen im Zusammenhand mit mindestens 1,6 Millionen Todesfällen jährlich. Im Gegensatz zu bakteriellen Infektionen, für die mehrere antimikrobielle Medikamente zur Verfügung stehen, haben sich bisher nur drei spezielle Wirkstoffklassen als klinisch wirksam gegen invasive Pilzinfektionen erwiesen. Dass nur so wenige wirksame Medikamente verfügbar sind, liegt unter anderem an der Ähnlichkeit der Zellen von Mensch und Säugetier und von Pilzzellen. Dementsprechend bestehen nur wenige pilzspezifische Angriffspunkte für Medikamente.

    Hinzu kommt: Es sind nicht nur sehr wenige Anti-Pilz-Medikamente verfügbar, auch die Wirksamkeit dieser Präparate nimmt ab. Beispielsweise lassen sich etwa die Hälfte der invasiven Infektionen durch Candida albicans, den sogenannten Soorpilz und häufigsten menschlichen Krankheitserreger, durch Fluconazol, das in dieser Situation am häufigsten verwendete Antimykotikum, nicht wirksam bekämpfen. Therapieversagen wie dieses lassen sich teilweise durch eine Toleranz oder auch Resistenz der Pilzerreger gegenüber Anti-Pilz-Medikamenten erklären. Diese erlaubt es Pilzzellen, trotz einer Behandlung weiterzuwachsen.

    Was genau für ein Versagen der Behandlung von Pilzerkrankungen sorgt, das wollen die Teams um Prof. Dr. Markus Ralser, Direktor des Instituts für Biochemie und Arbeitsgruppenleiter Biochemie und Systembiologie des Stoffwechsels an der Charité, und Prof. Dr. Judith Berman, Arbeitsgruppenleiterin an der Shmunis School of Biomedical and Cancer Research, George S. Wise Faculty of Life Sciences der Universität Tel Aviv, nun herausfinden. Eine der zentralen Hypothesen hierbei: Die Ursache ist möglicherweise im Stoffwechselgeschehen zu finden. „Wir konnten bereits in Studien beobachten, dass unterschiedliche Zelltypen zusammenarbeiten, indem sie Metaboliten, wie beispielsweise Nährstoffe, austauschen und dadurch gemeinsam eine Toleranz entwickeln", erklärt Prof. Ralser. „Diese metabolische Kooperation führt zu einer Angleichung der Zellen. Wir haben Hinweise darauf, dass diese stoffwechselbasierte Heterogenität ein Schlüssel für Prozesse wie Arzneimittelresistenzen oder aber -toleranzen sein könnte. Inhibitoren von Stoffwechselwegen scheinen zudem das Stressüberleben einiger Zellen zu beeinflussen.“

    Die zugrundeliegenden biologischen Mechanismen werden die Forschungsteams in Berlin und Tel Aviv nun im Detail untersuchen. „Die Situation bei invasiven Pilzerregern unterscheidet sich grundlegend von der Situation bei antibiotika-resistenten Bakterien", wie Prof. Berman beschreibt. „Bei problematischen bakteriellen Infektionen erwerben Erreger oft Mutationen, die sie gegen die Antibiotika resistent machen. Resistenzen bei krankheitserregenden Pilzen sind jedoch nicht so häufig und verbreiten sich nicht so schnell. Hier stellen wir fest, dass Pilzzellen heterogen werden und sich ihrem Umfeld angleichen, wobei ein Teil der Zellen auch unter Einfluss eines Anti-Pilz-Medikamentes weiterhin langsam wächst. Untersucht man diese wachsenden Zellen, so zeigt sich, dass arzneimittelresistente und nicht-resistente Zellen ähnlich wachsen wie die ursprünglichen Pilzstämme. Resilienz oder auch Resistenz ist demnach in den Zellen selbst angelegt und wird nicht durch ähnliche Arten von Mutationen verursacht, wie dies bei bakteriellen Infektionen der Fall ist.“

    In einem hochgradig interaktiven Arbeitsprogramm werden Prof. Berman und Prof. Ralser nun Tausende von Pilzstämmen auf ihre Medikamentenresistenz testen und ihre Eigenschaften auf Stoffwechselebene vergleichen. Zu diesem Zweck werden sie mit Klinikern und Biologen in ganz Europa, Kanada und den Vereinigten Staaten zusammenarbeiten. Gemeinsames Ziel ist es, die molekularen Wege zu entschlüsseln, die Arzneimittelresistenzen bei Pilzerkrankungen erklären. Außerdem wollen sie neue Konzepte und Leitsubstanzen entwickeln, die verhindern, dass krankmachende Pilzzellen die Toleranz oder auch Resilienz gegenüber Medikamenten erhöhen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wollen dazu beitragen, dass künftig neue Antimykotika und Kombinationstherapien entwickelt werden können, die gegen tödliche invasive Pilzinfektionen wirksam sind.

    Prof. Dr. Markus Ralser studierte Genetik und molekulare Biologie in Salzburg, Österreich und schloss seinen PhD im Bereich neurodegenerativer Erkrankungen am Max Planck Institut (MPI) für molekulare Genetik in Berlin ab. Nachdem er an der VU Amsterdam, Niederlande, im Bereich der Massenspektrometrie ausgebildet wurde, gründete er eine Juniorgruppe am MPI für molekulare Genetik in Berlin. Diese übersiedelte er dann 2011 an die University of Cambridge in Großbritannien. Seit 2013 ist er Gruppenleiter am Francis Crick Institute in London. 2018 erhielt er die Einstein Professur für Biochemie und ist seitdem einer von zwei Leitern des Departments für Biochemie an der Charité. Schwerpunkte seiner Arbeiten bilden der zentrale Kohlenhydrat- und Aminosäurestoffwechsel, beispielsweise der evolutionäre Ursprung des Kohlenhydratstoffwechsels, die metabolische Antwort auf oxidativen Stress, oder die Anwendung von sich selbst-etablierenden Hefegemeinschaften zur Untersuchung des Nährstoffaustausches. Seine Arbeiten wurden mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit der EMBO Gold Medal, dem BioMed Central Resarch Award, der Starling Medal und der Colworth Medal.

    Prof. Dr. Judith Berman promovierte an der Fakultät für Biologie am Weizmann Institute of Science in Israel und begann ihre Arbeit als Associate Professor an der University of Minnesota. Wenig später konnte sie bereits eine Professur an der McKnight University, Abteilung für Genetik & Zellularbiologie annehmen. Im Jahr 2012 übernahm sie eine Professur in der Abteilung für Molekulare Zellbiologie der Universität Tel Aviv, Israel. Prof. Berman ist eine weltweit führende Expertin auf dem Gebiet der Erforschung von Toleranzen bei Pilzerregern und erhielt zahlreiche Auszeichnungen und Ehrungen. Dazu gehören die Mitgliedschaft in der Europäischen Organisation für Molekularbiologie und der Genetics Society of America, weiterhin ist sie Fellow der American Academy for the Advancement of Science sowie Fellow der American Academy of Microbiology (ASM).

    ERC Synergy Grant: Der Europäische Forschungsrat fördert in Synergy Grants Teams von zwei bis vier exzellenten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Die Projekte sollen zu Entdeckungen an den Schnittstellen zwischen Disziplinen und zu substantiellen Fortschritten an den Grenzen des Wissens führen. Als Voraussetzung gilt, dass das Vorhaben nur durch die Zusammenarbeit der Forscherinnen und Forscher möglich ist. Die maximale Fördersumme pro Projekt beträgt zehn Millionen Euro für eine Laufzeit von bis zu sechs Jahren.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Prof. Dr. Markus Ralser
    Direktor des Instituts für Biochemie
    Charité – Universitätsmedizin Berlin
    t: +49 30 450 528 142
    Email: markus.ralser@charite.de


    Weitere Informationen:

    https://biochemie.charite.de/
    https://erc.europa.eu


    Bilder

    Prof. Dr. Markus Ralser
    Prof. Dr. Markus Ralser
    Foto: Janie Airey


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler
    Biologie, Medizin
    überregional
    Forschungsprojekte, Kooperationen
    Deutsch


     

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