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12.01.2021 10:10

Ohne lange Signalkette geht es auch

Lisa Dittrich Presse, Kommunikation und Marketing
Justus-Liebig-Universität Gießen

    Wie ein Zytokin die Wanderung von Zellen direkt steuern kann – Publikation von internationalem Wissenschaftlerteam unter Leitung der Universität Gießen erschienen

    Zytokine sind wichtige Botenstoffe des Immunsystems. Ihre Funktion wird deutlich, wenn zu viele davon ausgeschüttet werden: Dieser „Botensturm“ führt bei Grippe zu Gliederschmerzen am ganzen Körper, bei modernen Krebsimmuntherapien zu starken Nebenwirkungen oder bei schweren Verläufen von COVID-19 zu einem Entzündungssyndrom. Die Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Andreas Meinhardt am Institut für Anatomie und Zellbiologie der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Zytokin MIF, dem Makrophagen-Migrationsinhibitionsfaktor. Nun konnte sie in einer internationalen Kooperation zeigen, wie dieses Zytokin die Wanderung von Zellen ohne lange Signalkette direkt steuern kann. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift „Journal of Cell Science“ veröffentlicht.

    Der Makrophagen-Migrationsinhibitionsfaktor MIF gehört zu den der ersten entdeckten Zytokinen, von dem inzwischen auch ein eng verwandtes Protein (MIF-2) bekannt ist. MIF kann unter anderem eine Wanderungsbewegung von Makrophagen, den Fresszellen des Immunsystems, in Richtung der höchsten MIF-Konzentration auslösen. Wenn man MIF und Makrophagen miteinander mischt, hat man daher den Eindruck, als ob sich die Makrophagen kaum noch bewegten – daher der etwas umständliche und irreführende Name.

    Bislang hatte man angenommen, dass die Wirkungen von Zytokinen größtenteils über Bindeproteine (Rezeptoren) auf der Zelloberfläche über eine Signalkette ins Innere der Zelle weitergeleitet werden. „MIF wird jedoch von den meisten Zellen selbst produziert, ist also ein allgegenwärtiges Protein, das damit auch Wirkungen in der Zelle direkt ausüben sollte“, so Prof. Andreas Meinhardt. „Wir haben MIF daher mit einer Art Angelhaken inklusive Köder versehen, um Proteine in Bindegewebszellen zu ‚fischen‘, die an MIF binden und so eine direkte Wirkung vermitteln könnten.“ Um in der Vielzahl der gefundenen Partnerproteine diejenigen zu identifizieren, die wirklich wichtig sind, wurde die Angelpartie jetzt auch mit MIF-2 wiederholt und nach Proteinen gesucht, die sowohl an MIF als auch an MIF-2 binden. Diese Partnerproteine wurden von Uwe Pleßmann aus der Forschungsgruppe Bioanalytische Massenspektrometrie von Prof. Dr. Henning Urlaub am Max-Planck-Institut für Biophysikalische Chemie in Göttingen identifiziert.

    „Überraschenderweise sind fast alle gefundenen gemeinsamen Partnerproteine beim Umbau eines wichtigen Teils des Stützgerüstes einer Zelle beteiligt“, sagt Studienkoordinator Dr. Jörg Klug vom Institut für Anatomie und Zellbiologie der JLU. „Durch stetigen Umbau des sogenannten Aktin-Zytoskeletts bewegt sich eine Zelle vorwärts: Während am hinteren Ende das Skelett abgebaut wird, wird es am anderen Zellende vorgetrieben.“

    Ist zur Vermittlung dieser Zellbewegung ein Rezeptor notwendig? Um diese Frage beantworten zu können, wurden in Zusammenarbeit mit Lin Leng, PhD und Richard Bucala, MD, PhD von der Yale University in den USA Bindegewebszellen eingesetzt, die den MIF-Rezeptor CD74/CD44 von Natur aus nicht besitzen, und mit solchen verglichen, die experimentell mit diesem Rezeptor ausgestattet worden waren.

    Die Wanderung der Bindegewebszellen wurde mit einem speziellen Zeitraffer-Mikroskop im Labor von Prof. Dr. Robert Grosse (heute Universität Freiburg) am Institut für Pharmakologie der Universität Marburg verfolgt, gefilmt und ausgewertet. Nach Zugabe von MIF oder MIF-2 wanderten die Zellen schneller, wobei MIF – im Gegensatz zu MIF-2 – keinen Rezeptor benötigte, um die Zellwanderung zu vermitteln. Denn auch nachdem das in den Zellen ohne Rezeptor natürlicherweise vorhandene MIF entfernt wurde, wanderten die Zellen immer noch schneller, wenn MIF von außen zugegeben wurde. Doch wie gelangt das MIF in die rezeptorlosen Zellen? Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler blockierten verschiedene Wege für die Aufnahme von Proteinen und fanden so heraus, dass das MIF über sogenannte Caveolae, kleine tropfenförmige Einbuchtungen der Zellmembran, aufgenommen wird.

    „Das aufgenommene MIF führt zu sichtbaren Änderungen des Aktin-Zytoskeletts und damit zur Zellwanderung“, fasst Dr. Klug die Ergebnisse zusammen. „Unsere gerade veröffentlichten Untersuchungen führen zu einem besseren Verständnis der Wirkungen von MIF – einem Zytokin mit großer klinischer Bedeutung bei zahlreichen Erkrankungen. Wir sprechen deshalb auch augenzwinkernd vom ‚Most Interesting Factor – MIF‘.“

    Publikation
    Paweł Szczęśniak, Tamara Henke, Suada Fröhlich, Uwe Plessmann, Henning Urlaub, Lin Leng, Richard Bucala, Robert Grosse, Andreas Meinhardt und Jörg Klug (2020: Extracellular MIF, but not its homologue D-DT, promotes fibroblast motility independent of its receptor CD74/CD44. J Cell Sci, in press. DOI: 10.1242/jcs.217356

    Weitere Informationen
    https://doi.org/10.1242/jcs.217356

    Kontakt

    Dr. Jörg Klug
    Institut für Anatomie und Zellbiologie
    Telefon: 0641 99-47157
    E-Mail: joerg.klug@anatomie.med.uni-giessen.de

    Die 1607 gegründete Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) ist eine traditionsreiche Forschungsuniversität, die rund 28.000 Studierende anzieht. Neben einem breiten Lehrangebot – von den klassischen Naturwissenschaften über Rechts- und Wirtschaftswissenschaften, Gesellschafts- und Erziehungswissenschaften bis hin zu Sprach- und Kulturwissen¬schaften – bietet sie ein lebenswissenschaftliches Fächerspektrum, das nicht nur in Hessen einmalig ist: Human- und Veterinärmedizin, Agrar-, Umwelt- und Ernährungswissenschaften sowie Lebensmittelchemie. Unter den großen Persönlichkeiten, die an der JLU geforscht und gelehrt haben, befindet sich eine Reihe von Nobelpreisträgern, unter anderem Wilhelm Conrad Röntgen (Nobelpreis für Physik 1901) und Wangari Maathai (Friedensnobelpreis 2004). Seit dem Jahr 2006 wird die Forschung an der JLU kontinuierlich in der Exzellenzinitiative bzw. der Exzellenzstrategie von Bund und Ländern gefördert.


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler
    Biologie
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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