idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Grafik: idw-Logo

idw - Informationsdienst
Wissenschaft

Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
29.09.2021 11:00

Das Unschmelzbare schmelzbar machen

Sebastian Hollstein Abteilung Hochschulkommunikation/Bereich Presse und Information
Friedrich-Schiller-Universität Jena

    Chemikerinnen und Chemiker der Universität Jena entwickeln einen Weg, eigentlich nicht schmelzbare metallorganische Gerüstverbindungen – sogenannte MOFs – zu schmelzen. Dies erlaubt die schmelzebasierte Herstellung von Glasbauteilen für Anwendungen in der Energie- und Umwelttechnik.

    Gläser sind aus dem täglichen Leben nicht wegzudenken. Einer der wichtigsten Gründe dafür ist, dass Glasgegenstände über den Weg der Schmelze nahezu universell und kostengünstig in den vielfältigsten Formen und Größen hergestellt werden können. Die Verarbeitung in der (zäh-)flüssigen Phase bietet eine Vielfalt, die mit anderen Werkstoffen kaum erreichbar ist. Dies setzt aber voraus, dass das Material, aus dem das Glas in seiner chemischen Zusammensetzung besteht, überhaupt schmelzbar ist.

    Besonders großes Interesse haben in den vergangenen Jahren sogenannte metallorganische Gerüstverbindungen erlangt – kurz: MOFs (von engl. Metal Organic Frameworks). Aufgrund ihrer speziellen Eigenschaften wird ihnen ein großes Potenzial für zukünftige Anwendungen in der Energie- und Umwelttechnik zugeschrieben, aber auch in der Sensorik sowie in den Bio- und Lebenswissenschaften. So eignen sie sich etwa als Ausgangsmaterial für Filtermembranen zur Trennung von Gasen in technischen Verbrennungsprozessen oder für die Wasseraufbereitung. Grundlage für die Fülle möglicher Anwendungen ist dabei vor allem eine herausragende Eigenschaft der MOFs: ihre hohe und weitestgehend kontrollierbare Porosität. Denn die Vertreter dieser Stoffklasse bestehen aus anorganischen Teilchen, die durch organische Moleküle zu einem Netzwerk aus Poren verbunden sind. Eine der Herausforderungen ist es, tatsächlich Bauteile aus den überwiegend in Pulverform vorliegenden MOFs herzustellen. Hier kommt der Weg über das Glas ins Spiel.

    Trade-Off zwischen Eigenschaften und Verarbeitbarkeit

    Doch abgesehen von einigen wenigen Ausnahmen verhindert ausgerechnet die Porosität, dass die Materialien geschmolzen und so zu Bauteilen der gewünschten Form verarbeitet werden können. Chemikerinnen und Chemiker der Friedrich-Schiller-Universität Jena haben nun gemeinsam mit britischen Kollegen eine Lösung für dieses Problem gefunden. Über ihre Forschungsergebnisse berichten sie in der aktuellen Ausgabe des Forschungsmagazins „Nature Communications“.

    Um aus MOFs Bauteile für industrielle Anwendungen zu erzeugen, können sie beispielsweise zu sogenannten Hybridgläsern verarbeitet werden. Dazu muss man sie allerdings einschmelzen – ein Vorgang, der in diesem Fall nicht unkompliziert ist. Denn bisher lässt sich nur eine Handvoll Vertreter dieser Stoffklasse auch tatsächlich einschmelzen. „Bei den meisten bekannten MOF-Materialien ist gerade die hohe Porosität einer der Gründe, dass sie – bevor sie beim Erwärmen den Schmelzpunkt erreichen und sich verflüssigen – thermisch zersetzt werden, das heißt, sie verbrennen“, erklärt Vahid Nozari, Doktorand am Lehrstuhl für Glaschemie der Universität Jena. Ausgerechnet die Eigenschaft, die diese Materialien so interessant macht, verhindert also eine mögliche Verarbeitung über den Glasweg.

    Ideale Kombination aus Flüssigkeit, Matrixmaterial und Schmelzbedingungen identifizieren

    Wie also macht man ein nicht schmelzbares Material schmelzbar, um es dann im flüssigen Zustand formen und verarbeiten zu können? Auf diese Frage hat das Team um den Jenaer Professor Lothar Wondraczek nun eine Antwort gefunden. „Wir haben die Poren mit einer ionischen Flüssigkeit gefüllt, die die innere Oberfläche so stabilisiert, dass sich der Stoff schließlich schmelzen lässt, noch bevor es zu einer Zersetzung kommt“, erklärt Wondraczek die Forschungsarbeiten. Die Jenaer Forschenden konnten so zeigen, wie normalerweise nicht schmelzbare Stoffe aus der MOF-Familie der zeolithischen Imidazolatgerüste (ZIFs) tatsächlich in den flüssigen Zustand überführt und schließlich in ein Glas umgewandelt werden können. „Über diesen Weg ließe sich zukünftig das gewünschte Bauteil, etwa eine Membran oder Scheibe, formen. Reste der hilfsweise verwendeten ionischen Flüssigkeit können im Anschluss wieder ausgewaschen werden.“

    Der Schlüssel für zukünftige Anwendungen sind die Reaktionen, die zwischen der ionischen Flüssigkeit und dem MOF-Material stattfinden. Diese bestimmen die Umkehrbarkeit des Prozesses, also die Möglichkeit, die Flüssigkeit nach dem Schmelzvorgang wieder auszuwaschen. Sind die Reaktionen nicht angepasst, so findet entweder keine ausreichende Stabilisierung der Porenoberfläche statt, oder es kommt zu einer unumkehrbaren chemischen Verbindung zwischen MOF und Flüssigkeit. Hierfür müssen also mit Blick auf die gewünschte Anwendung ideale Kombinationen von Flüssigkeiten, Matrixmaterialien und Schmelzbedingungen identifiziert werden, so dass auch großvolumige Objekte möglich werden.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Prof. Dr. Lothar Wondraczek
    Otto-Schott-Institut für Materialforschung der Universität Jena
    Fraunhoferstraße 6, 07743 Jena
    Tel.: 03641 / 948500
    E-Mail: lothar.wondraczek[at]uni-jena.de


    Originalpublikation:

    V. Nozari, C. Calahoo, J. M. Tuffnell, D. A. Keen, T. D. Bennett und L. Wondraczek (2021): Ionic liquid facilitated melting of the metal-organic framework ZIF-8, Nature Communications, DOI: 10.1038/s41467-021-25970-0


    Bilder

    Vahid Nozari von der Universität Jena untersucht am Mikroskop das synthetische Glas, das aus einem MOF-Material besteht.
    Vahid Nozari von der Universität Jena untersucht am Mikroskop das synthetische Glas, das aus einem M ...
    Foto: Jens Meyer/Uni Jena

    Vahid Nozari von der Universität Jena plaziert eine Materialprobe unter einem Mikroskop während der Untersuchung eines neuen synthetischen Glases, das aus einer nichtschmelzbaren metallorganischen Gerüstverbindung MOF (Metal Organic Frameworks) besteht.
    Vahid Nozari von der Universität Jena plaziert eine Materialprobe unter einem Mikroskop während der ...
    Foto: Jens Meyer/Uni Jena


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Chemie, Physik / Astronomie, Umwelt / Ökologie, Werkstoffwissenschaften
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).