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30.11.2022 14:30

Lecanemab verlangsamte das Fortschreiten der Alzheimer-Krankheit in frühen Stadien

Dr. Bettina Albers Pressestelle der DGN
Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V.

    Berlin – Offensichtlich konnte in der Alzheimer-Therapie ein Durchbruch mit Lecanemab erzielt werden. Der Antikörper richtet sich gegen sogenannte Protofibrillen, ein toxisches Zwischenprodukt von Amyloid-Fibrillen, hat also einen spezifischeren Ansatzpunkt als die bisherigen Antikörper, die enttäuschten. Die neuen Studiendaten sind überzeugend und konsistent, die Publikation lässt auch nicht auf Sicherheitssignale schließen. Allerdings gibt es Medienberichte über zwei Todesfälle in der Open-Label-Extensionsphase der Studie, denen nachgegangen werden muss.

    Auf dem Alzheimer-Kongress in San Francisco wurde vor wenigen Stunden eine Phase-3-Studie [1] vorgestellt, die einen Meilenstein für die Behandlung der Alzheimer-Erkrankung darstellen könnte. An Demenz leiden weltweit 50 Millionen Menschen; in Deutschland sind es 1,6 Millionen – im Jahr 2050 könnten es bereits 2,8 Millionen sein [2] – und ein Großteil der Demenzen ist auf die Alzheimer-Erkrankung zurückzuführen.

    Bisher hatten Studien zu Antikörpern enttäuscht – der erhoffte Effekt im Hinblick auf die Verlangsamung des kognitiven und funktionellen Abbaus konnte nicht nachgewiesen werden. Die bisher getesteten Antikörper (Aducanumab und Gantenerumab) richteten sich gegen aggregiertes Amyloid. Es handelt sich dabei um ein Eiweiß-Molekül, das sich im Gehirn ansammelt, sich dort zwischen den Nervenzellen wie ein Belag absetzt – man spricht daher auch von Alzheimer-Plaques – und die Nervenzellen schädigt. Diese Amyloid-Ablagerungen sind typisch für Alzheimer und waren daher Target der zuvor getesteten Antikörper, die nicht überzeugten.

    Nun konnte offensichtlich ein Durchbruch mit einem anderen Antikörper, Lecanemab, erzielt werden, der sich gegen sogenannte Protofibrillen richtet. Es handelt sich dabei um toxische Zwischenprodukte von Amyloid-Fibrillen, winzigen Bestandteilen der Amyloid-Zellen. „Möglicherweise haben wir nun einen Angriffspunkt gefunden, der einen Unterschied im klinischen Verlauf macht“, erklärt Prof. Dr. med. Jörg B. Schulz, Aachen, Sprecher der Kommission Demenz der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN).

    In der gestern Nacht präsentierten Studie wurden 1.795 Teilnehmende mit einer Alzheimer-Erkrankung in den Frühstadien randomisiert, 898 erhielten Lecanemab (10 mg pro kg Körpergewicht i.v. alle zwei Wochen), 897 ein Placebo. Nach 18 Monaten wurde der Effekt auf den sogenannten CDR-SB-Score (Clinical Dementia Rating–Sum of Boxes) erhoben. Es handelt sich um einen etablierten Score zur Einschätzung der Schwere der Demenz, der Faktoren wie Gedächtnis, Orientierung, Urteils- und Problemlösungsvermögen, Geschäftsfähigkeit, häusliches Leben und Hobbies sowie die Fähigkeit, sich selbst zu versorgen, einbezieht. Bei Studieneinschluss lag der mittlere CDR-SB-Score bei etwa 3,2 in beiden Gruppen. Der Unterschied zwischen den Gruppen war nach 1,5 Jahren beträchtlich: Der Score hatte sich um 1,21 in der Verumgruppe und um 1,66 in der Placebogruppe verändert (p<0,001).

    „Die Effekte der Behandlung mit Lecanemab waren in allen untersuchten primären und sekundären Endpunkten signifikant positiv. Gemessen mit der CDR-SB wurde die Erkrankungsprogression um 27% verlangsamt, bei den Aktivitäten des täglichen Lebens machte der Unterschied 37% aus. Die Unterschiede zwischen den mit Lecanemab und Placebo behandelten Patientinnen und Patienten waren bereits nach sechs Monaten signifikant und nahmen mit weiterer Behandlungsdauer zu. Die PET-Amyloid Last wurde sehr deutlich und signifikant reduziert“, erklärt der Alzheimer-Experte. „Die Daten sind überzeugend und konsistent, so dass wir nun auf eine schnelle Zulassung hoffen, wenn die Zulassungsbehörden das Medikament als sicher einstufen.“

    Im Hinblick auf mögliche schwere Nebenwirkungen gab es in der Studie keine Überraschungen. Wie bei der Therapie mit gegen Amyloid gerichteten Antikörpern traten zwar auch unter Behandlung mit Lecanemab Nebenwirkungen auf, darunter Ödeme und Mikrohämorrhagien („Amyloid-related imaging abnormality“/ARIA). Diese blieben allerdings meist klinisch stumm. So lag die ARIA-H-Rate (ARIA-H: Zerebrale Mikroblutungen und oberflächliche Siderose) bei 17,0 % in der Lecanemab-Gruppe und bei 8,7 % in der Placebogruppe, das Auftreten von symptomatischen ARIA-H lag hingegen nur bei 0,7 % in der Lecanemab-Gruppe und bei 0,2 % in der Placebogruppe. „In der Studie sind keine Sicherheitssignale zu erkennen, das Nutzen-Risiko-Profil lässt sich aus diesen Daten als positiv bewerten“, schlussfolgert Prof. Schulz.

    Allerdings gibt es in den USA Berichte [3] über zwei Todesfälle, die nach der eigentlichen Studie in der Open-Label Extensionsphase auftraten. Eine Frau starb infolge einer Hirnblutung nach rtPA -Therapie bei Verschluss der Arteria cerebri media, ein weiterer Patient entwickelte eine Gehirnblutung unter Antikoagulation und im Anschluss einen tödlichen Herzinfarkt. „Diesen Berichten muss nun nachgegangen werden, auch muss untersucht werden, ob die Alzheimer-Medikation das Risiko für solche Ereignisse erhöhen könnte. Die Zulassungsbehörden arbeiten hier sehr sorgfältig. Werden diese Zweifel an der Sicherheit ausgeräumt, hätten wir endlich ein wirksames Medikament gegen Alzheimer.“

    Wichtig sei allerdings, dass der Antikörper nur in den Frühphasen der Alzheimer-Erkrankung mit nur milden kognitiven Einschränkungen erfolgreich ist. Lecanemab verlangsamt das Fortschreiten der Erkrankung, mache sie nicht rückgängig, Patientinnen und Patienten mit ausgeprägtem Krankheitsbild und schwerer Demenz profitieren also nicht von der Therapie.

    [1] van Dyck CH, Swanson CJ, Aisen P et al. Lecanemab in Early Alzheimer’s Disease. NEJM 2022; published on November 29, 2022. DOI: 10.1056/NEJMoa2212948
    [2] Livingston G, Huntley J, Sommerlad A et al. Dementia prevention, intervention, and care: 2020 report of the Lancet Commission. Lancet 2020 Aug 8; 396 (10248): 413-446
    [3] https://www.science.org/content/article/second-death-linked-potential-antibody-t...

    Pressekontakt
    Pressestelle der Deutschen Gesellschaft für Neurologie
    c/o Dr. Bettina Albers, albersconcept, Jakobstraße 38, 99423 Weimar
    Tel.: +49 (0)36 43 77 64 23
    Pressesprecher: Prof. Dr. med. Hans-Christoph Diener, Essen
    E-Mail: presse@dgn.org

    Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN)
    sieht sich als wissenschaftliche Fachgesellschaft in der gesellschaftlichen Verantwortung, mit ihren 11.400 Mitgliedern die neurologische Krankenversorgung in Deutschland zu sichern und zu verbessern. Dafür fördert die DGN Wissenschaft und Forschung sowie Lehre, Fort- und Weiterbildung in der Neurologie. Sie beteiligt sich an der gesundheitspolitischen Diskussion. Die DGN wurde im Jahr 1907 in Dresden gegründet. Sitz der Geschäftsstelle ist Berlin. www.dgn.org

    Präsident: Prof. Dr. med. Christian Gerloff
    Stellvertretender Präsident: Prof. Dr. Lars Timmermann
    Past-Präsidentin: Prof. Dr. med. Christine Klein
    Generalsekretär: Prof. Dr. Peter Berlit
    Geschäftsführer: David Friedrich-Schmidt
    Geschäftsstelle: Reinhardtstr. 27 C, 10117 Berlin, Tel.: +49 (0)30 531437930, E-Mail: info@dgn.org


    Originalpublikation:

    DOI: 10.1056/NEJMoa2212948


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
    überregional
    Forschungs- / Wissenstransfer, Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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