idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instance:
Share on: 
04/30/2015 18:00

Überraschung am Rezeptor

Gunnar Bartsch Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Julius-Maximilians-Universität Würzburg

    Alles Leben basiert auf der Fähigkeit, Reize aus der Umwelt wahrnehmen und darauf reagieren zu können. Rezeptoren übernehmen dabei eine wichtige Funktion. Bei der Untersuchung einer speziellen Klasse von Rezeptoren haben Wissenschaftler der Uni Würzburg jetzt eine unerwartete Entdeckung gemacht.

    Ein Rezeptor sitzt in der Zellwand und streckt eine Art Arm nach außen. Kommen dort, gelöst im Plasma, ein bestimmtes Molekül oder Protein – beispielsweise ein Hormon oder ein Neurotransmitter – vorbeigeschwommen, registriert der Rezeptor das mit diesem Arm und gibt die Information ans Zellinnere weiter. Die Zelle kann dann reagieren und – wenn nötig – spezielle Maßnahmen in die Wege leiten. Dieses Bild haben vermutlich viele Menschen, vor allem Laien, vor Augen, wenn sie an einen Rezeptor denken.

    Reaktion auf mechanische Reize

    Es geht aber auch anders: Dann reagieren diese Rezeptoren auf mechanische Reize aus der Umwelt, etwa auf Vibrationen, Schallwellen oder auf eine Dehnung und tragen dazu bei, dass Lebewesen hören, Bewegungen wahrnehmen und die eigenen Bewegungen steuern können. Diese Fähigkeiten haben Wissenschaftler der Universität Würzburg jetzt für eine große Klasse von Rezeptoren nachgewiesen, bei denen man solche Eigenschaften bisher nicht vermutet hatte. Über ihre Entdeckung berichten sie online in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Cell Reports.

    G-Protein-gekoppelte Rezeptoren, kurz GPCR, stehen im Mittelpunkt der Arbeit von Dr. Tobias Langenhan und Dr. Robert Kittel. Genauer gesagt, eine spezielle Klasse dieser Rezeptor-Superfamilie: die sogenannten Adhäsions-GPCRs. In einer DFG-Forschergruppe, deren Sprecher Langenhan ist, untersuchen die beiden gemeinsam mit Wissenschaftlern an den Universitäten Leipzig, Mainz, Erlangen-Nürnberg sowie am Amsterdam Medical Center der Universität Amsterdam die Eigenschaften dieser Rezeptoren. Vor knapp einem halben Jahr hat die Forschergruppe die Arbeit aufgenommen; jetzt liegen die ersten Ergebnisse vor.

    Wichtige Angriffsstelle für Medikamente

    „G-Protein-gekoppelten Rezeptoren werden zu Hunderten im menschlichen Erbgut kodiert; ihre Arbeitsweise ist mittlerweile sehr gut verstanden“, sagt Tobias Langenhan. Für ihre Bedeutung spricht unter anderem die Tatsache, dass rund die Hälfte aller klinisch zugelassenen Medikamente an diesen Rezeptoren ansetzen – und dabei gegen so unterschiedliche Krankheiten wirken wie beispielsweise Bluthochdruck, Asthma oder Morbus Parkinson. Ganz anders die Adhäsions-GPCR: Sie bilden zwar die zweitgrößte Klasse innerhalb der GPCR-Familie, sind aber bislang „schlecht verstanden“, so Langenhan.

    Das zu ändern, ist Ziel der Forschergruppe. Und ein erstes, überraschendes Ergebnis, konnten die Wissenschaftler jetzt der Öffentlichkeit präsentieren: „Wir konnten nachweisen, dass ein spezieller Rezeptor aus der Gruppe der Adhäsions-GPCR an der Wahrnehmung mechano-sensorischer Stimuli beteiligt ist“, sagt Robert Kittel. Oder, anders formuliert: Wenn Lebewesen hören, leichte Berührungen wahrnehmen oder sich bewegen, sind solche GPCR mit im Spiel.

    Verhaltensänderungen bei der Fruchtfliege

    In ihrer Studie haben sich die Wissenschaftler auf die Larven der Fruchtfliege Drosophila konzentriert. „Wir haben bei den Tieren präzise das Gen entfernt, das den Rezeptor Latrophilin kodiert, und mit veränderten Varianten ersetzt“, schildert Langenhan die Vorgehensweise. Anschließend haben die Forscher das Verhalten der Larven genauestens beobachtet.

    Dabei zeigte sich beispielsweise, dass Larven, denen der Rezeptor fehlte, ein auffälliges Bewegungsmuster an den Tag legten und geringere Distanzen bewältigten als die gesunde Vergleichsgruppe. Statt sich gezielt vorwärts zu bewegen, ließen sie außerdem über lange Phasen hinweg nur ihre Köpfe schwingen. In einem weiteren Experiment haben die Forscher spezielle Zellen des Larven-Nervensystems, die für die Wahrnehmung von Vibrationsreizen verantwortlich sind, genauer unter die Lupe genommen. Der Befund dort: Larven ohne Latrophilin-Rezeptoren zeigten deutlich schwächere elektrische Antworten als Larven, die diese Rezeptoren besitzen. Das gleiche Bild fand sich im Bereich des Hörens: Larven ohne Rezeptoren benötigten deutlich lautere Signale für einen Fluchtreflex, verglichen mit gesunden Exemplaren.

    Ein Rezeptor als Verstärker

    „Es spricht also alles dafür, dass diese Rezeptoren Bewegungen des extrazellulären Raums im Vergleich zur Zelle registrieren und diese Information an das Zellinnere weiterleiten“, fasst Robert Kittel die Ergebnisse zusammen. Ähnlich wie ein Schiff, das mit seinem Anker am Meeresgrund festmacht, docken Adhäsions-GPCRs an umliegenden Strukturen an und reagieren, wenn ihr „Arm“ gedehnt oder gestaucht wird.

    Was die Arbeit der Wissenschaftler in diesem Fall geringfügig erschwert, ist die Tatsache, dass im Fall der Rezeptoren nicht ein „Alles-oder-Nichts-Prinzip“ gilt. „Es ist nicht so, dass Larven, denen Latrophilin fehlt, taub und bewegungsunfähig sind“, so Tobias Langenhan. Die Rezeptoren würden vielmehr modulierend in die jeweiligen Prozesse eingreifen und sie verstärken oder dämpfen.

    Gute Grundlage für weitere Experimente

    Die Ergebnisse dieser Studie sind nach Ansicht von Robert Kittel und Tobias Langenhan ein bedeutender Schritt auf dem Weg zu einer Klassifikation der Adhäsions-GPCR. 33 Varianten von ihnen gibt es im menschlichen Körper. Viel spricht dafür, dass sie auch dort vergleichbare Aufgaben übernehmen wie bei der Fliegenlarve. Beispielsweise finden sie sich in den Haarzellen im Innenohr. Fehlen sie oder sind defekt, entwickeln die Betroffenen ein sogenanntes „Usher-Syndrom“, eine Krankheit, die mit einer früh einsetzenden Innenohrschwerhörigkeit oder Gehörlosigkeit von Geburt an einhergeht.

    Die neuen Erkenntnisse sind nach Langenhans Worten eine gute Grundlage, um jetzt „weitere Modelle zu entwickeln und in Experimenten zu testen“. Schließlich gebe es immer noch zahlreiche ungelöste Fragen im Zusammenhang mit den Rezeptoren. Beispielsweise die, wie das Signal innerhalb des Rezeptors transportiert und welche „biochemische Kaskade“ dabei angestoßen wird. Oder weshalb der Rezeptor während seiner Entstehung immer in zwei Teile zerfällt, an der Zellmembran aber wieder zusammengesetzt auftaucht.

    „Wir haben jetzt den Vorhang ein Stück weit beiseite gezogen an einer unerwarteten Ecke der Physiologie“, so Robert Kittel. Deshalb sind die beiden Wissenschaftler zuversichtlich: „Da kommt noch was nach!“

    Zur Person

    Robert Kittel ist seit 2009 Leiter der Emmy-Noether-Gruppe „Physiology and plasticity of the active zone in vivo“ am Physiologischen Institut der Universität Würzburg.

    Tobias Langenhan ist seit 2009 Gruppenleiter am Lehrstuhl für Physiologie (Schwerpunkt Neurophysiologie) der Universität Würzburg und seit Oktober 2014 Leiter der DFG-Forschergruppe „Elucidation of Adhesion-GPCR Signaling“.

    Scholz et al., The Adhesion GPCR Latrophilin/CIRL Shapes Mechanosensation, Cell Reports (2015)

    Kontakt

    Dr. Tobias Langenhan, MSc DPhil (Oxon), T: (0931) 31-88681; tobias.langenhan@uni-wuerzburg.de

    Dr. Robert J. Kittel, T: (0931) 31-86046; Robert.Kittel@uni-wuerzburg.de


    More information:

    http://for2149.uni-wuerzburg.de Mehr Informationen zur Forschergruppe
    http://dx.doi.org/10.1016/j.celrep.2015.04.008 Zur Originalpublikation


    Images

    Schematische Darstellung der Wirkungsweise von Latrophilin. Der Rezeptor moduliert die Wahrnehmung von Reizen aus der Umwelt.
    Schematische Darstellung der Wirkungsweise von Latrophilin. Der Rezeptor moduliert die Wahrnehmung v ...
    Scholz et al., Cell Reports (c) 2015 The Authors
    None


    Criteria of this press release:
    Journalists, Scientists and scholars
    Biology, Medicine
    transregional, national
    Research results
    German


     

    Schematische Darstellung der Wirkungsweise von Latrophilin. Der Rezeptor moduliert die Wahrnehmung von Reizen aus der Umwelt.


    For download

    x

    Help

    Search / advanced search of the idw archives
    Combination of search terms

    You can combine search terms with and, or and/or not, e.g. Philo not logy.

    Brackets

    You can use brackets to separate combinations from each other, e.g. (Philo not logy) or (Psycho and logy).

    Phrases

    Coherent groups of words will be located as complete phrases if you put them into quotation marks, e.g. “Federal Republic of Germany”.

    Selection criteria

    You can also use the advanced search without entering search terms. It will then follow the criteria you have selected (e.g. country or subject area).

    If you have not selected any criteria in a given category, the entire category will be searched (e.g. all subject areas or all countries).