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09/24/2021 13:30

Gendernephrologie – Besonderheiten dialysepflichtiger Frauen

Dr. Bettina Albers Pressearbeit
Deutsche Gesellschaft für Nephrologie e.V. (DGfN)

    Frauen haben hormonbedingt einen natürlichen Nieren- und Gefäßschutz. Dieser sorgt dafür, dass Nierenerkrankungen bei ihnen zunächst langsamer voranschreiten. Außerdem haben Frauen generell eine geringere Sterblichkeit als gleichaltrige Männer. Dennoch scheinen bei Dialysepatientinnen diese beiden Vorteile nicht zum Tragen zu kommen – ihre Sterblichkeit ist ebenso hoch wie die ihrer Mitpatienten. Es stellt sich also die Frage, ob Behandlungsunterschiede für das relativ schlechtere Outcome verantwortlich sind. Eine aktuelle Studie [1] zeigt z. B., dass Patientinnen mit diabetischer Nephropathie höhere Blutdruck- und Blutfettwerte haben als ihre Mitpatienten.

    Sowohl die Prävalenz als auch die Progression der chronischen Niereninsuffizienz ist bei Männern und Frauen unterschiedlich. Für viele Nierenkrankheiten ist die Progressionsrate bei Frauen langsamer als bei Männern. Der „weibliche Schutzfaktor“ bei Nierenkrankheiten wurde für die membranöse Glomerulonephritis, die polyzystische Nierendegeneration, die chronische Niereninsuffizienz unklarer Ätiologie, die fokal sklerosierende Glomerulonephritis und IgA-Nephropathie gezeigt [2]. Weibliche Geschlechtshormone können protektiv auf Niere und Blutgefäße wirken, z. B. über einen hemmenden Effekt auf die Proliferation des Mesangiums oder der extrazellulären Matrix. So kann Östradiol die TGF-beta1-induzierte Bildung von Kollagen in der Niere inhibieren [3]. Auch Podozyten sind Zielzellen von Geschlechtshormonen: Östradiol kann die Testosteron-induzierte Apoptose von Podozyten verhindern [4].

    Höhere Mortalität von Dialysepatientinnen – trotz „Hormonschutz“
    Obwohl die Progressionsrate der chronischen Niereninsuffizienz bei Frauen langsamer ist und die Mortalität von Frauen in der Allgemeinbevölkerung geringer ist als die von Männern, so ist die Mortalität dialysepflichtiger Frauen mit der dialysepflichtiger Männer vergleichbar hoch [5]. Die relative Erhöhung der Sterblichkeitsrate (bzw. der nun fehlende Überlebensvorteil) dialysepflichtiger Frauen lässt sich nicht durch vermehrte kardiovaskuläre Ereignisse erklären, sondern vielmehr durch eine erhöhte Sterblichkeit insbesondere jüngerer, dialysepflichtiger Frauen (<45 Jahren) und durch eine Übersterblichkeit von terminal niereninsuffizienten Frauen mit Diabetes mellitus. Als mögliche Gründe hierfür werden eine niedrigere Rate an primären arteriovenösen Fisteln bei Frauen [6], eine kürzere Dialysedauer bei Frauen [6], ein höherer Body Mass Index der Frauen ebenso wie mögliche Unterschiede im Zugang zur medizinischen Versorgung oder in der ärztlichen Aufmerksamkeit gegenüber einer multimodalen therapeutischen Zielerreichung diskutiert [5].

    Ein Erklärungsversuch für die hohe Sterblichkeit, insbesondere von jüngeren dialysepflichtigen Frauen gegenüber älteren ist, dass diese dem Schutz der weiblichen Geschlechtshormone kürzer ausgesetzt sind als Frauen, die in späterem Lebensalter dialysepflichtig werden. Denn mit Beginn der Dialyse stellen sich häufig Zyklusunregelmäßigkeiten, Anovulation und vorzeitige Menopause ein. Nur 10%–42% der prämenopausalen, dialysepflichtigen Frauen menstruieren regelmäßig. Schwangerschaften sind insgesamt selten und Frühgeburten sind häufig [7].

    Erhalten Frauen eine schlechtere Behandlung?
    Aus vielen Studien ist bekannt, dass eine kürzere Dialysedauer generell mit einer höheren Sterblichkeit einhergeht – und bei Frauen wurde eine kürzere Dialysedauer in Registerdaten belegt: Weibliches Geschlecht wies eine OR von 1,8 für eine Wochendialysedauer <12 Stunden auf [8]. Auch die DOPPS- und die ANZDT-Daten zeigten, dass weibliches Geschlecht ein Prädiktor für eine Dialysedauer von < 12 Stunden/Woche ist. Dennoch ist damit nicht gesagt, dass Frauen automatisch schlechter dialysiert werden, es ist gut möglich, dass sie aufgrund eines geringeren Körpergewichts gar nicht so lange dialysisert werden müssen, um den gleichen Grad der Entgiftung zu erreichen. Das Kt/V, das Maß der Dialyseeffektivität, wurde in der oben genannten Registerstudie [8] an über 26.000 Patientinnen und Patienten leider nicht berücksichtigt, so dass nicht ausgeschlossen ist, dass trotz kürzerer Dialysezeit das Kt/V möglicherweise besser ist als die Wochendialysedauer impliziert. Neue Studien müssen hier eine Klärung herbeiführen.

    Der optimale Zeitpunkt für den Beginn einer Dialyse wurde und wird kontrovers diskutiert und könnte ebenfalls einen Einfluss auf die Mortalität haben. Bei Frauen und nicht kaukasischen Menschen in den USA liegt dieser Zeitpunkt später als bei Männern und Kaukasiern [9].

    Auch die niedrigere Rate an Dialysefisteln könnte das Überleben von Dialysepatientinnen negativ beeinflussen. Eine niedrigere Rate an primären Fisteln bei dialysepflichtigen Frauen wird oft durch kleinere Gefäßdurchmesser und tiefer liegende Gefäße am Unterarm erklärt, so dass bei Frauen der präoperativen sonographischen Untersuchung der Armgefäße eine besondere Bedeutung zukommt [6]. Denn auch bei Frauen gilt der Grundsatz „fistula first“ – Dialyse über Katheter geht mit einem schlechteren Überleben einher.

    Auffällig ist außerdem: Dialysepflichtige Mädchen und Frauen erhalten in jedem Lebensalter seltener ein Nierentransplantat als dialysepflichtige Jungen oder Männer [10]. Die Gründe hierfür sind unklar. Folgende Ursachen werden diskutiert: (1) weniger Forschung bei dialysepflichtigen Frauen und ethnischen Minoritäten, (2) unzureichende Patientenaufklärung, (3) mangelnder Wille, sich ärztlich vorzustellen aus kulturellen oder ökonomischen Gründen, (4) geschlechtsspezifisch unterschiedliche Bewertung der Schwere der Symptome sowohl durch die/den Patienten/in als auch durch die Ärztin/den Arzt.

    Eine aktuelle chinesische Studie [1] zeigte, dass Patientinnen mit diabetischer Nephropathie höhere Blutdruck- und Blutfettwerte aufweisen als männliche Patienten. Weibliche Betroffene erhielten auch häufiger eine RAAS-Blockade (86,6% vs. 76,6%, p=0,039) und Statine, was zeigt, dass diese CKD-Risikofaktoren bei ihnen zumindest erkannt und behandelt werden.

    „Frauen scheinen zwar durch weibliche Geschlechtshormone zunächst besser als Männer vor einem rasanten Abfall der Nierenfunktion geschützt zu sein, erreichen sie aber das Stadium der terminalen Niereninsuffizienz, verlieren sie diesen ‚Bonus‘ und haben eine ebenso hohe Mortalität wie Männer“, so das Fazit von Prof. Dr. Sylvia Stracke, Leiterin des Bereichs Nephrologie, Dialyse, Hochdruckkrankheiten und Rheumatologie der Universität Greifswald und Kongresspräsidentin der 13. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie. „Gründe dafür könnten in einer schlechteren Versorgung von Frauen an der Dialyse liegen: Sie werden später dialysiert, kürzer und häufig nicht über eine primäre Fistel. Diese Mankos gilt es zu beheben, um das Outcome von Frauen, insbesondere den jüngeren Frauen, an der Dialyse zu verbessern.“

    [1] Wang Y, Zangh J, Zhang J et al. Sex Differences in Biopsy-Confirmed Diabetic Kidney Disease. Front. Endocrinol., 29 July 2021 | https://doi.org/10.3389/fendo.2021.670674

    [2] Neugarten J , Acharya A , Silbiger SR. Effect of gender on the progression of nondiabetic renal disease: a meta-analysis. J Am Soc Nephrol 2000;1:319-329

    [3] Blush J, Lei J, Ju W et al. Estradiol reverses renal injury in Alb/TGFbeta1 transgenic mice. Kidney Int 2004; 66: 2148-2154

    [4] Doublier S , Lupia E , Catanuto P et al. Testosterone and 17 beta -estradiol have opposite effects on podocyte apoptosis that precedes glomerulosclerosis in female estrogen receptor knockout mice. Kidney Int 2011; 79:404-413

    [5] Carrero JJ, de Jager DJ, Verduijn M et al. Cardiovascular and Noncardiovascular Mortality among Men and Women Starting Dialysis. Clin J Am Soc Nephrol 2011;6:1722-1730

    [6] Miller CD, Robbin ML, Allon M. Gender differences in outcomes of arteriovenous fistulas in hemodialysis patients. Kidney Int 2003; 63:346–352

    [7] Sanefy H. Gender-Specific Issues in Liver and Kidney Failure and Transplantation: A Review. J Women Health 2005;14:617-625

    [8] Couchoud C, Kooman J, Finne P et al. From registry data collection to international comparisons: examples of haemodialysis duration and frequency. Nephrol Dial Transplant 2009; 24:217-224

    [9] Kausz AT, Obrador GT, Arora P et al. Late initiation of dialysis among women and ethnic minorities in the United States. J Am Soc Nephrol 2000;11:2351-7

    [10] Garg PP, Furth SL, Fivush BA et al. Impact of gender on access to the renal transplant waiting list for pediatric and adult patients. J Am Soc Nephrol 2000;11:958-964

    Pressekontakt
    Pressestelle der DGfN
    Dr. Bettina Albers
    presse@dgfn.eu
    Tel. 03643/ 776423 / Mobil 0174/ 2165629


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    Criteria of this press release:
    Journalists
    Medicine
    transregional, national
    Scientific conferences, Transfer of Science or Research
    German


     

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