Antrittsvorlesung an der Hochschule Fresenius: Professor Dr. Christian Haas setzt auf Interaktionsforschung, um therapeutische Maßnahmen effektiver abzustimmen
Idstein. Sinn und Zweck von interdisziplinären Teams und fachübergreifenden Behandlungsansätzen werden unter Fachleuten im Gesundheitswesen kaum hinterfragt. Der Nutzen für den Patienten gilt als selbstverständlich. Mit diesem Gemeingut brach der Sportwissenschaftler Professor Dr. Christian Haas bei seiner Antrittsvorlesung am 4. Mai an der Hochschule Fresenius in Idstein.
Viel hilft nicht immer viel - im Gegenteil: Parallel ablaufende Behandlungen können den Patienten überfordern und damit den Heilungsprozess behindern. Um positiven und negativen Wechselwirkungen auf die Spur zukommen, beschäftigt sich Haas schwerpunktmäßig mit Interaktionsforschung. Das Laufen spielt dabei eine besondere Rolle.
Laufen für die Gesundheit - mehr als ein Slogan
„Er läuft und läuft und läuft...“: Was für den VW Käfer gilt, gilt auch für den Menschen - seit drei bis vier Millionen Jahren. Laut Haas ist Laufen die markante Bewegungsform des Menschen schlechthin. Tatsächlich löst das Laufen eine wichtige biochemische Reaktion aus: In den Nervenzellen werden neurotrophe Faktoren freigesetzt, die das Überleben der Nervenzellen sichern. Für die Entdeckung der neurotrophen Faktoren wurde 1986 ein Nobelpreis verliehen. „Die Bedeutung für die Neurorehabilitation ist enorm, denn eine gezielte Freisetzung neurotropher Faktoren kann positive Auswirkungen auf den Verlauf neurologischer Erkrankungen wie Multiple Sklerose oder Parkinson haben“, erklärte Haas. Viel, schnell und bergab laufen hat gute Auswirkungen - allerdings gibt es auch hier Grenzen, denn wenn es für den Läufer zu anstrengend wird, werden die neurotrophen Faktoren zerstört. Hochleistungssportler haben daher weniger neurotrophe Faktoren als Freizeitsportler.
Stochastische Resonanztherapie: Mit gezielten Reizen Nerven aktivieren
Gerade bei neurologischen Erkrankungen sind die Patienten in ihren Bewegungen oft eingeschränkt. Ein degenerativer Krankheitsverlauf kann zu einem Teufelskreis führen: Zunehmende Bewegungsarmut fördert den Abbau von Nervenzellen, was zu weiteren Bewegungseinschränkungen führt. Um diesen Teufelskreis zu durchbrechen, hat Haas die stochastische Resonanztherapie entwickelt, wofür er 2002 den „Fresenius Innovations- und Erfinderpreis“ auf der MEDICA erhielt. Dabei werden zufällige (stochastische) Reize über die Füße auf die Muskulatur und das Nervensystem ausgeübt. Diese Reize ähneln denen, die durch das Laufen provoziert werden. Vorteil dieser Technologie: Auch bei gehunfähigen Menschen ist eine Freisetzung neurotropher Faktoren möglich; außerdem ist eine Überanstrengung ausgeschlossen, da das Herz-Kreislauf-System nicht belastet wird, erklärte Haas.
Wirkung interdisziplinärer Therapieansätze: Noch großer Forschungsbedarf
Haas machte in seiner Antrittsvorlesung an der Hochschule Fresenius klar, dass fachübergreifende Therapieansätze ihre Berechtigung haben. Aber sie können im schlimmsten Fall kontraproduktiv sein, wenn sie schlecht abgestimmt sind: „Untersuchungen in Unfallkliniken deuten darauf hin, dass Kombinationsmaßnahmen große Risiken negativer Auswirkungen in sich bergen. Patienten werden oft überfordert und ermüden.“ Insofern sei es in interdisziplinären Teams notwendig, im Sinne der „Goal-Setting-Theorie“ klare Ziele und Wege zu diesen Zielen zu vereinbaren. Wann steht welche Maßnahme an? Wann muss eine Behandlung ausgesetzt werden? Das sind laut Haas zentrale Fragen, denn die Devise „alles parallel“ sei meist nicht zielführend. Haas gehört zu den wenigen Wissenschaftlern, die sich mit der Interaktionsforschung beschäftigen. In den vergangenen Jahren hat er untersucht, wie sich sportliche und neurologische Trainingsmaßnahmen auf Erkrankungen wie Parkinson, Multiple Sklerose und Rückenmarksverletzungen auswirken. Diese Forschung will er nun an der Hochschule Fresenius fortsetzen. Haas: „Ich freue mich, dass in Idstein alle drei großen therapeutischen Fachrichtungen auf akademischem Niveau vertreten sind. Ergotherapie, Logopädie und Physiotherapie spielen eine zentrale Rolle in der Rehabilitation. Jede Fachrichtung hat gute therapeutische Methoden: Insofern ist es besonders spannend, an der Entwicklung fachübergreifender Entscheidungsstrukturen zu arbeiten.“
Zur Person:
Professor Dr. Christian Haas, Jahrgang 1972, studierte Sportwissenschaften und promovierte 2001 an der Goethe-Universität Frankfurt mit dem Thema „Simulation und Regulation mechanischer Schwingungen im alpinen Skirennlauf“. Auf der Gesundheitsmesse MEDICA wurde Haas 2002 mit dem „Fresenius Innovations- und Erfinderpreis“ ausgezeichnet. In seiner Habilitationsschrift von 2007 - ebenfalls Goethe-Universität - befasste er sich mit der mechano-ozillatorischen Reizapplikation beim Menschen. Der weitere wissenschaftliche Werdegang führte Haas an die Universität des Saarlandes, wo er eine Vertretungsprofessur in Sportwissenschaft innehatte. Seit 2010 leitet Haas die Forschungsgruppe „Neuro-mechanische Interaktion beim Stehen, Gehen und Laufen“ des Forschungsprojekts „Präventive Biomechanik“ (PräBionik) im Rahmen der hessischen Landesoffensive zur Entwicklung wissenschaftlicher Exzellenz. Mehr als 100 Beiträge hat Haas in internationalen Fachzeitschriften mit den Schwerpunkten Neurorehabilitation, Motorisches Lernen, Stochastische Resonanz veröffentlicht. Haas ist Gründungsmitglied der Deutschen Unfall- und Katastrophenopfer Hilfe und Mitglied des Scientific Board der European Interdisciplinary Society for Clinical and Sports Application (EISCSA).
Berufen: Professor Dr. Christian Haas
Foto: privat
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Ernährung / Gesundheit / Pflege
überregional
Forschungs- / Wissenstransfer, Personalia
Deutsch
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