Neue methodische Herangehensweise bringt erstaunliche Ergebnisse bei der Untersuchung sozialer Interaktionen: Gehirnströme verraten, ob Schülern der Unterricht gefällt oder nicht
Frankfurt, 28.4.2017. Mit einer neuartigen methodischen Herangehensweise hat ein internationales Team von Neurowissenschaftlern vom Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik, Frankfurt am Main, der New York University, USA, und der University of Florida, USA, erstaunliche Ergebnisse bei der Untersuchung von sozialen Interaktionen erzielt. Das Fachjournal Current Biology präsentiert nun die Ergebnisse der Studie.
Anders als in üblichen Standardversuchen begleiteten die Wissenschaftler eine Gruppe von zwölf Gymnasiasten sowie ihre Lehrer ein ganzes Schuljahr lang; sie erfassten deren Hirnaktivität während des Biologieunterrichts mit Hilfe mobiler EEG (Elektronenzephalogramm)-Technik. Die Synchronisierung der Gehirnströme spiegelte wider, wie sehr die Schüler den Unterricht mochten und wie sympathisch sie sich gegenseitig fanden.
„Wie stark unsere Gehirnströme mit denen einer anderen Person synchronisiert sind, scheint ein guter Prädiktor dafür zu sein, wie gut wir miteinander auskommen und wie stark wir uns engagieren”, erläutert Hauptautorin Suzanne Dikker, Wissenschaftlerin am Department of Psychology der New York University und an der Universität Utrecht in den Niederlanden. „Unseren Ergebnissen zufolge ist die Hirn-zu-Hirn-Synchronizität ein möglicher neuraler Marker für soziale Interaktionen im Alltag.”
Seniorautor David Poeppel, Geschäftsführender Direktor des Max-Planck-Instituts für empirische Ästhetik in Frankfurt am Main und Professor an der New York University, ergänzt: „Die Studie liefert eine vielversprechende neue Methode für die neurowissenschaftliche Untersuchung von Gruppeninteraktionen.“
In früheren Untersuchungen wurden typischerweise einzelne Personen oder Einzelinteraktionen in einem streng kontrollierten Laborumfeld erfasst. Im Gegensatz dazu hat diese Arbeit dynamische soziale Interaktionen in einem komplexen Gruppensetting in natürlicher Umgebung außerhalb des Labors untersucht.
Mit Hilfe mobiler EEG-Aufzeichnungsgeräte verglichen die Wissenschaftler die Gehirnströme der Schüler. Anschließend wurden die Schüler befragt, wie sehr sie andere Schüler und den Lehrer mochten. Darüber hinaus machten die Schüler Angaben dazu, wie gut ihnen die Gruppenaktivitäten generell gefielen. Beide Faktoren – sowohl das Engagement in der Klassengemeinschaft als auch die soziale Dynamik – gelten als entscheidend für den Lernerfolg.
Die Ergebnisse ergaben eine positive Korrelation zwischen der Unterrichtsbewertung eines Schülers und dessen Hirnsynchronizität mit seinen Mitschülern als Gruppe – mit anderen Worten: Je stärker die Hirnströme eines Schülers mit denen in der Klasse insgesamt übereinstimmten, desto wahrscheinlicher gab er eine positive Bewertung für den Unterricht ab. Und je größer die Synchronizität zwischen einzelnen Schülern und ihren Mitschülern war, umso größer war die Wahrscheinlichkeit, dass sie den Lehrstil des Lehrers positiv beurteilten.
Die Forscher gingen auch der Frage nach, ob die Hirn-zu-Hirn-Synchronizität wiedergibt, wie sehr die Schüler einander mögen. Sie fanden heraus, dass Schüler, die sich einander näherstanden, während des Unterrichts eine stärkere Synchronizität aufwiesen. Dies war jedoch nur dann der Fall, wenn sie direkt vor dem Unterricht persönlich miteinander zu tun hatten. Dieses Ergebnis lässt vermuten, dass eine persönliche Interaktion direkt vor einer gemeinsamen Erfahrung von Bedeutung ist – selbst dann, wenn während der Erfahrung selbst kein direkter Kontakt besteht. Darüber hinaus wurde bei Schülern, die Gruppenaktivitäten als bedeutend für ihr Leben bezeichneten, eine stärkere Synchronizität mit ihren Mitschülern nachgewiesen.
Laut der Autoren ist davon auszugehen, dass die Hirn-zu-Hirn-Synchronisierung durch geteilte Aufmerksamkeit unterstützt wird. Diese neue Herangehensweise bietet einen quantitativen Ansatz zur Messung von Faktoren, die sozialen Zusammenhalt in Gruppen vermitteln.
Originalpublikation
Dikker, S.*, Wan, L.*, Davidesco, I., Kaggen, L., Oostrik, M., Michalareas, G., McClintock, J., Van Bavel, J.J., Ding, M., Poeppel, D. (in press). Brain-to-Brain Synchrony Tracks Real-World Dynamic Group Interactions in the Classroom. Current Biology, http://dx.doi.org/10.1016/j.cub.2017.04.002
*equal contribution
Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik, Frankfurt am Main
Das Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik wurde 2013 in Frankfurt am Main gegründet und beschäftigt derzeit über 130 Mitarbeiter. Das Institut erforscht interdisziplinär, was wem warum und unter welchen Bedingungen ästhetisch gefällt. Dabei widmen sich die Forschungen in den drei Abteilungen Sprache und Literatur, Musik sowie Neurowissenschaften insbesondere den Grundlagen ästhetisch wertenden Wahrnehmens und Erlebens.
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Ein mobiles EEG misst die Gehirnströme einer Schülerin
Quelle: Foto: Diane Quinn und Micah Schaffer
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Lehrer/Schüler, Studierende, Wissenschaftler
Gesellschaft, Pädagogik / Bildung, Psychologie
überregional
Forschungs- / Wissenstransfer, Forschungsergebnisse
Deutsch
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