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17.05.2017 10:04

Warum wir Steuern zahlen

Stephan Brodicky Öffentlichkeitsarbeit
Universität Wien

    Utl: Zwang und Legitimität bewirken ähnliches Verhalten

    Warum entscheiden wir uns, Steuern zu zahlen? Ist es der Zwang durch eine "drakonische" Steuerbehörde oder leisten wir gerne einen Beitrag und empfinden dies als moralische Verantwortung gegenüber der Gesellschaft? Wirtschafts- und NeuropsychologInnen der Universität Wien haben die Auswirkung von unterschiedlichen Maßnahmen von Steuerbehörden auf Steuerentscheidungen untersucht, um zugrundeliegende neuronale Mechanismen zu beschreiben. Die Studie erscheint aktuell in der Fachzeitschrift "Social Cognitive and Affective Neuroscience".

    Eine mit Zwang arbeitende Steuerbehörde fokussiert auf strenge Kontrollen und Strafen. Im Gegensatz dazu setzt eine Steuerbehörde, die mit Legitimität arbeitet, auf Nachvollziehbarkeit und professionelle Unterstützung der SteuerzahlerInnen. Ein ForscherInnenteam um Katharina Gangl und Daniela Pfabigan – beide sind mittlerweile an der Universität Göttingen bzw. an der der Universität Peking als Wissenschafterinnen tätig – haben sich in zwei Experimenten näher mit der Frage beschäftigt, ob diese Entscheidungen von den jeweiligen durch Zwang oder Legitimität geprägten Rahmenbedingungen der Steuerbehörde abhängig sind und ob unterschiedliche neuronale Prozesse dafür verantwortlich sein könnten.

    In beiden Experimenten wurden die VersuchsteilnehmerInnen gebeten, Steuerentscheidungen in zwei fiktiven Staaten zu treffen. Die Hälfte der Steuerentscheidungen fanden in einem Staat statt, dessen Steuerbehörde mit Zwang arbeitet; die zweite Hälfte in einem Staat, dessen Steuerbehörde mit Legitimität arbeitet. Die jeweils aktuelle Steuerbehörde wurde detailliert beschrieben. Die ProbandInnen konnten anschließend in mehreren Runden entscheiden, ob sie ihr fiktives Jahreseinkommen versteuern oder nicht. Am ersten Experiment nahmen 80 Personen teil. Hier stand die Entscheidungsdauer im Vordergrund – werden Steuerentscheidungen unterschiedlich schnell getroffen, je nachdem ob die Behörde mit Zwang oder Legitimität arbeitet? Im zweiten Experiment wurde zusätzlich die Hirnaktivität mittels Elektroencephalographie (EEG) gemessen, damit die WissenschafterInnen den exakten Zeitverlauf des Entscheidungsprozesses noch genauer nachvollziehen konnten. Außerdem mussten die TeilnehmerInnen die bearbeiteten Steueraufgaben mittels eines Fragebogens individuell beurteilen.

    Auf der Verhaltensebene zeigte sich rasch, dass sowohl Zwang als auch Legitimität zu ähnlich hoher Steuerehrlichkeit führten – allerdings aus unterschiedlicher Motivation. Während die Versuchspersonen unter Zwang angaben, Steuern lediglich zu zahlen, weil sie mussten, berichteten sie unter Legitimität, dass sie auch freiwillig Steuern abgeführt hätten.

    Auf neuronaler Ebene zeigte sich hingegen ein überraschender Effekt: Steuerentscheidungen unter Zwang waren einfacher zu treffen als unter Legitimität. Während der Zwang vermutlich einfach zu kalkulierende Prozesse auslöst, dürfte Legitimität zu einem komplexeren Konflikt zwischen Selbstinteresse (dem Einbehalten der zu zahlenden Steuern für eigene Zwecke) und dem Gemeinwohl der Gesellschaft führen. Die WissenschafterInnen vergleichen ihre Beobachtung im Labor mit dem Phänomen des Schnellfahrens im Straßenverkehr. "Angedrohte Kontrollen und Strafen führen dazu, dass man seinen Fahrstil nur deshalb anpasst, weil man einer Strafe entgehen will. Der eigentliche Zweck der Geschwindigkeitsbeschränkungen – nämlich die Sicherheit für alle VerkehrsteilnehmerInnen zu erhöhen – gerät dabei in Vergessenheit", so Gangl. Pfabigan ergänzt: "Umgekehrt dürfte der Ansatz der Legitimität, der das nachvollziehbare Erklären von Sachverhalten beinhaltet, zum Nachdenken anregen und moralische Aspekte in den Vordergrund rücken. Dies bewirkt offenbar, dass man deshalb langsam fährt oder eben Steuern bezahlt, weil man seinen Betrag zum Gemeinwohl leisten will".

    Publikation in "Social Cognitive and Affective Neuroscience"
    Coercive and legitimate authority impact tax honesty: evidence from behavioral and ERP experiments Katharina Gangl, Daniela M. Pfabigan, Claus Lamm, Erich Kirchler and Eva Hofmann
    Social Cognitive and Affective Neuroscience 2017
    doi: 10.1093/scan/nsx029
    https://academic.oup.com/scan/article/3574846/Coercive-and-legitimate-authority-...

    Wissenschaftliche Kontakte
    Dr. Katharina Gangl
    Wirtschafts- und Sozialpsychologie
    Universität Göttingen
    T +49/551/39-13563
    gangl@psych.uni-goettingen.de

    Dr. Daniela M. Pfabigan
    School of Psychological and Cognitive Sciences
    Peking University
    T +86/131/21959054
    daniela.pfabigan@pku.edu.cn

    Univ.-Prof. Mag. Dr. Claus Lamm
    Institut für Psychologische Grundlagenforschung und Forschungsmethoden
    Universität Wien
    1010 Wien, Liebiggasse 5
    T +43-1-4277-471 30
    claus.lamm@univie.ac.at

    Univ.-Prof. Mag. Dr. Erich Kirchler
    Institut für Angewandte Psychologie: Arbeit, Bildung, Wirtschaft
    Universität Wien
    1010 Wien, Universitätsstraße 7
    T +43-1-4277-473 32
    M +43-664-602 77-473 32
    claus.lamm@univie.ac.at

    Rückfragehinweis
    Mag. Alexandra Frey
    Pressebüro der Universität Wien
    Forschung und Lehre
    1010 Wien, Universitätsring 1
    T +43-1-4277-175 33
    M +43-664-602 77-175 33
    alexandra.frey@univie.ac.at

    Die Universität Wien ist eine der ältesten und größten Universitäten Europas: An 15 Fakultäten und vier Zentren arbeiten rund 9.700 MitarbeiterInnen, davon 6.800 WissenschafterInnen. Die Universität Wien ist damit auch die größte Forschungsinstitution Österreichs sowie die größte Bildungsstätte: An der Universität Wien sind derzeit rund 94.000 nationale und internationale Studierende inskribiert. Mit über 175 Studien verfügt sie über das vielfältigste Studienangebot des Landes. Die Universität Wien ist auch eine bedeutende Einrichtung für Weiterbildung in Österreich. 1365 gegründet, feierte die Alma Mater Rudolphina Vindobonensis im Jahr 2015 ihr 650-jähriges Gründungsjubiläum. http://www.univie.ac.at


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Gesellschaft, Philosophie / Ethik, Politik, Psychologie, Recht
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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