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26.06.2019 10:46

Studie: Wie Finanzkrisen Menschen unzufriedener machen und wie sich das verhindern lässt

Tom Leonhardt Pressestelle
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

    Finanzkrisen haben nicht nur starke Verwerfungen im ökonomischen System zur Folge: Sie beeinflussen auch direkt die Lebenszufriedenheit der Menschen. Am stärksten betroffen sind die Schwachen der Gesellschaft, auch wenn diese unter Umständen gar nicht selbst mit Aktien spekulieren. Das ist das Ergebnis einer neuen Studie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) und des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH). Diese negativen Folgen könnten die Kauflust der Menschen schmälern und die Wirkung der Krise sogar noch verstärken. Die Studie wurde kürzlich in der Fachzeitschrift "The B.E. Journal of Economic Analysis & Policy" veröffentlicht.

    Eine höhere Unsicherheit auf dem Finanzmarkt wirkt sich direkt auf die Lebenszufriedenheit der Menschen aus. Was zunächst naheliegend klingt, hat Jun.-Prof. Dr. Lena Tonzer im Rahmen einer empirischen Analyse wissenschaftlich belegt. "Dieses Phänomen wirkt verstärkt in Finanzkrisen", sagt Lena Tonzer. Und: "Der Effekt trifft vor allem die Schwachen in der Gesellschaft." Soll heißen: Arbeitslose und weniger gut Ausgebildete leiden verstärkt unter der Unsicherheit auf den Finanzmärkten, und zwar auch dann, wenn sie selbst gar nicht mit Aktien spekulieren.

    Grundlage ihrer empirischen Analyse bildeten unter anderem die Daten aus den so genannten Eurobarometer-Umfragen, einer öffentlichen Meinungsumfrage, die von der Europäischen Kommission in regelmäßigen Abständen in Auftrag gegeben wird. Ziel ist es, dabei die Stimmung in den einzelnen Ländern der EU zu erfassen. Dabei werden unter anderem auch Fragen zur Lebenszufriedenheit gestellt. Auf dieser Basis fand Tonzer unter anderem heraus, dass der Effekt der persönlichen Unzufriedenheit in Zeiten von finanzieller Unsicherheit jeweils in den Ländern am höchsten war, die von der Finanz- und Staatsschuldenkrise am stärksten getroffen wurden: genauer in Spanien, Portugal, Italien, Griechenland und Irland.

    Eine solch dezidierte Analyse ist kein Selbstzweck: "Es ist wichtig herauszufinden, welche Bevölkerungsgruppen besonders betroffen sind. Nur so lässt sich mit politischen Maßnahmen gegensteuern", erklärt Tonzer. So konnte sie auch Belege dafür finden, dass der beschriebene Effekt in jenen Ländern geringer ausfiel, in denen es ein effektives staatliches Absicherungssystem gibt. Daraus ergeben sich gleich mehrere Schlussfolgerungen: "Es gibt wirksame Möglichkeiten der politischen Einflussnahme, um negativen Effekten in der Gesellschaft entgegenzuwirken. Diese sollten genutzt werden, um die Schwachen in der Gesellschaft zu schützen."

    Um das Auftreten von Finanzmarktkrisen von vornherein zu vermeiden oder die Einbrüche abzuschwächen, können so genannte makroprudenzielle Politiken eingeführt werden, zum Beispiel der antizyklische Kapitalpuffer. Dahinter versteckt sich nichts anderes, als dass Banken in guten Zeiten mehr Eigenkapital ansammeln, damit sie in schlechten Zeiten einen Puffer haben, um Verluste leichter wegstecken und weiterhin Kredite an die Realwirtschaft vergeben zu können. So hat der Ausschuss für Finanzstabilität des Bundesministeriums der Finanzen erst kürzlich der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht empfohlen, diesen Kapitalpuffer in Deutschland zu aktivieren.

    Ein weiterer wichtiger Punkt sei die Erkenntnis, dass ein soziales Absicherungssystem zwar wichtig ist, es dürfe jedoch nicht auf Kosten einer Erhöhung der Staatsschulden gewährleistet werden, so Tonzer. Denn in unsicheren Zeiten sinkt die Lebenszufriedenheit in Ländern mit höheren Staatsschulden tendenziell mehr, was wiederum das System weiter belasten und die Ängste der Menschen zusätzlich erhöhen würde. Lena Tonzer: "Wenn sie mehr Angst haben, weil sie in eine unsichere Zukunft blicken, kaufen die Menschen vermutlich weniger und sind nicht so investitionsfreudig. Die Folge wäre eine weitere Abwärtsspirale." In Bezug auf ihre Analyse ist sie sicher: "Es lohnt sich, sich diese weichen Faktoren anzuschauen, denn alles hängt mit allem zusammen."


    Originalpublikation:

    Tonzer L. Elevated Uncertainty during the Financial Crisis: Do Effects on Subjective Well-Being Differ across European Countries? The B.E. Journal of Economic Analysis & Policy (2019). doi: 10.1515/bejeap-2018-0099


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, jedermann
    Wirtschaft
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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