Das Institut für Mathematik der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) koordiniert ein neues europäisches Doktorandennetzwerk. Im Zentrum der 14 Forschungsprojekte steht die Frage, wie sich komplexe mechanische Systeme künftig besser modellieren und am Computer simulieren lassen. Hierfür stellt die Europäische Union im Rahmen von Horizon 2020 rund 3,6 Millionen Euro für vier Jahre zur Verfügung. Neben der MLU sind elf weitere Universitäten und Forschungseinrichtungen aus acht europäischen Ländern beteiligt. Das Projekt startet mit einem Kickoff-Meeting am 24. und 25. Oktober 2019 in Halle.
Seilbahnen für Skilifte, Kabelbäume in der Automobiltechnik und medizinische Endoskope wirken auf den ersten Blick sehr unterschiedlich, teilen sich aber eine besondere Eigenschaft: "Sie bestehen aus sehr beweglichen, flexiblen Komponenten, die an Schläuche oder Seile erinnern", sagt der Projektkoordinator Prof. Dr. Martin Arnold vom Institut für Mathematik der MLU. Das macht es in der Praxis schwer, ihr Verhalten genau vorherzusagen. Bisher würden viele Unternehmen für neue Produkte und Projekte vor allem auf Erfahrungswissen setzen, so Arnold weiter. Gleichzeitig sei es schwierig und kostspielig, diese Produkte zu optimieren.
An dieser Stelle setzt das neue Doktorandennetzwerk "Joint Training on Numerical Modelling of Highly Flexible Structures for Industrial Applications" an, an dem Universitäten aus Belgien, Deutschland, Frankreich, Kroatien, Norwegen, Österreich, Slowenien und Spanien beteiligt sind. Ziel ist es, für diese Anwendungen einen sogenannten "digital twin" zu erstellen, also ein möglichst genaues, virtuelles Abbild. Dabei geht es vor allem darum, nicht nur das Verhalten einzelner Bauteile zu modellieren, sondern die Eigenschaften des gesamten Systems. So lassen sich bereits in der Entwicklungsphase sehr viele Simulationen durchspielen und zum Beispiel auch der Materialverschleiß berechnen.
Die Forschungsprojekte greifen dafür auf die sogenannte Balkentheorie, ein klassisches Modell der Mechanik, zurück. Wie sich das Modell auf hochkomplizierte technische Systeme anwenden lässt, ist eine bisher ungelöste Frage, die von den Promovendinnen und Promovenden geklärt werden soll. Das Spektrum der Arbeiten reicht dabei von der angewandten Mathematik über die Mechanik bis hin zur industrienahen Forschung. In Halle und im norwegischen Trondheim werden die mathematischen Grundlagen hierfür erforscht, andere Projekte widmen sich der konkreten industriellen Anwendung.
Neben der akademischen Ausbildung absolvieren die 14 Doktorandinnen und Doktoranden auch ein dreimonatiges Praktikum in einer nicht-akademischen Partnereinrichtung, meist Unternehmen. Auch Gastaufenthalte an den im Netzwerk kooperierenden Partneruniversitäten sind Teil der Ausbildung.
Europäische Doktorandennetzwerke sind eine Fördermaßnahme des Marie-Sklodowska-Curie-Programms der Europäischen Kommission. Ziel ist es, Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler mit den Fähigkeiten auszustatten, die sowohl im wissenschaftlichen als auch im nichtwissenschaftlichen Umfeld einer Karriere förderlich sind. Deshalb sind neben europäischen Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen auch 13 nicht-akademische Einrichtungen an den Projekten beteiligt. Die Konkurrenz bei der Einwerbung eines Netzwerks ist extrem hoch: Im Jahr 2019 wurden nur 103 der 1.341 begutachteten Projektanträge zur Förderung angenommen.
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