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05/12/2009 12:32

Vortrag zu ethischen Fragen von "Hirndoping" vor dem Arbeitskreis Medizinethik

Friederike Wütscher Redaktion und Öffentlichkeitsarbeit
Europäische Akademie zur Erforschung von Folgen wissenschaftlich-technischer Entwicklungen Bad Neuenahr-Ahrweiler GmbH

    Bad Neuenahr-Ahrweiler, 12. Mai 2009. - Im Arbeitskreis Medizinethik der Europäischen Akademie GmbH am 11. Mai ging es um die Frage der ethischen Beurteilung der Einnahme von Psychopharmaka durch Gesunde, die dadurch ihre kognitiven Fähigkeiten oder auch ihre emotionale Befindlichkeit verbessern möchten. Eine solche Zweckentfremdung von Medikamenten wie Antidepressiva (z.B. Prozac bzw. Fluctin) oder Psychostimulantien (z.B. Ritalin) wird landläufig gerne als "Hirndoping" bezeichnet.

    Jedoch begann der Philosoph Dr. Thorsten Galert, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Europäischen Akademie, seinen Vortrag zum Thema mit dem Vorschlag, statt von Hirndoping in neutralerer Weise über "pharmazeutisches Neuroenhancement" zu sprechen. Viele Argumente, die gegen das Doping im Leistungssport sprächen, ließen sich nicht ohne Weiteres auf die Verbesserung des Geistes durch Psychopharmaka übertragen. Beispielsweise werde die Ächtung des Dopings im Sport oftmals mit der Verzerrung des Wettbewerbs begründet. Wenn es dagegen um den freien Wettbewerb der kognitiven Fähigkeiten gehe, so könne laut Galert faktisch ohnehin nicht von Chancengleichheit die Rede sein. Wer das Geld dazu habe, könne und dürfe hierzulande seine geistigen Ressourcen durch exklusive Bildungsangebote, Coaching oder auch Meditation veredeln.
    Auch koffeinhaltige Getränke mit ihrer aufputschenden und alkoholische Getränke mit ihrer stimmungsaufhellenden Wirkung würden gerne und ohne moralische Bedenken konsumiert. Wer dem Konsum von Psychopharmaka zu Zwecken des Neuroenhancements daher grundsätzlich kritisch gegenüberstehe, müsse erläutern, was diese Mittel von althergebrachten und allgemein anerkannten Formen der geistigen Optimierung unterscheide. Galert führte die intuitive Ablehnung, die viele Menschen gegen die nicht-therapeutische Nutzung von Psychopharmaka haben, darauf zurück, dass diese als schädlich betrachtet würden. Tatsächlich sei viel zu wenig über mögliche Langzeitfolgen des Konsums solcher Medikamente durch Gesunde bekannt. Aus ethischer Perspektive handele es sich bei dem Verweis auf Nebenwirkungen jedoch um ein eher schwaches Argument, weil es immerhin sein könne, dass die Pharmaforschung irgendwann mit relativ nebenwirkungsarmen Präparaten aufwarten werde.
    Auch wenn laut Galert viele der gängigen Vorbehalte gegen das pharmazeutische Neuroenhancement näherer Betrachtung nicht standhielten, gebe es dennoch guten Grund, einer um sich greifenden Nutzung dieser Möglichkeiten kritisch gegenüberzustehen. So wäre es sicher problematisch, wenn Menschen das Gefühl gewinnen würden, im gesellschaftlichen Wettbewerb nur noch "gedopt" bestehen zu können. An dieser Stelle sei auch eine besonders besonnene Medienberichterstattung gefragt. Mit Ausnahme des jüngst erschienenen Gesundheitsreports der DAK zum Schwerpunktthema "Doping am Arbeitsplatz" gebe es bisher kaum verlässliche Belege dafür, wie verbreitet in Deutschland die Zweckentfremdung verschreibungspflichtiger Psychopharmaka tatsächlich sei. Ein gesellschaftlicher Druck zum Hirndoping lasse sich jedoch auch ganz ohne wissenschaftliche Belege herbeireden.
    Mit diesem Vortrag berichtete Galert aus der von ihm koordinierten Projektgruppe der Europäischen Akademie zu den Potentialen und Risiken des pharmazeutischen Neuroenhancements, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird. Es handelte sich um die 28. Vortragsveranstaltung des Arbeitskreises Medizinethik, der vom Förderverein der Europäischen Akademie veranstaltet wird.

    Projekte der Europäischen Akademie zum Thema "Enhancement":
    o Potentiale und Risiken des pharmazeutischen Enhancements psychischer Eigenschaften (Laufzeit: 7/06-10/09)
    o Die Wiederherstellung und Erweiterung menschlicher Fähigkeiten durch neuronale Implantate (Laufzeit: 4/06-3/09)
    o Eingriffe in die Psyche. Neue Interventionsmöglichkeiten als gesellschaftliche Herausforderungen (abgeschlossen; Laufzeit: 1/04-6/06)

    Publikation der Europäischen Akademie zum Thema "Enhancement":
    o Reinhard Merkel, Gerhard Boer, Jörg Fegert, Thorsten Galert, Dirk Hartmann, Bart Nuttin, Steffen Rosahl: Intervening in the Brain. Changing Psyche and Society (Band 29 der Reihe "Ethics of Science and Technology Assessment", hrsg. von C. F. Gethmann), Springer Verlag, Berlin 2007

    Die Europäische Akademie zur Erforschung von Folgen wissenschaftlich-technischer Entwicklungen Bad Neuenahr-Ahrweiler gGmbH wurde 1996 vom Land Rheinland-Pfalz und dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR) gegründet. Direktor der Gesellschaft ist der Philosophieprofessor Dr. Dr. h.c. Carl Friedrich Gethmann. Wissenschaftlich-interdisziplinäre Arbeitsgruppen widmen sich der Erforschung und Beurteilung von Folgen wissenschaftlich-technischer Entwicklungen für das individuelle und soziale Leben des Menschen und seine natürliche Umwelt. In wissenschaftlicher Unabhängigkeit führt die Akademie einen Dialog mit Wirtschaft, Kultur, Politik und Gesellschaft. Damit will sie zu einem rationalen Umgang der Gesellschaft mit Folgen wissenschaftlich-technischer Entwicklungen beitragen.


    More information:

    http://www.ea-aw.de -- weitere Informationen zu diesem Thema und zur Europäischen Akademie


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    Criteria of this press release:
    Medicine, Philosophy / ethics, Politics, Psychology, Social studies
    transregional, national
    Research projects, Scientific conferences
    German


     

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