Laut dem Statistischen Amt der EU in Luxemburg leben Frauen in Deutschland im Durchschnitt 83 und etwa in Bulgarien nur 71 Jahre lang. Davon verbringen sie in Bulgarien aber 66 Jahre, in Deutschland nur 58 Jahre gesund. Diese und ähnliche Statistiken werden immer wieder durch die Medien ungeprüft verbreitet, zuletzt in der Neuen Zürcher Zeitung vom 15. Juli 2014 unter dem Titel „Langes Leben, gesundes Leben“, sind aber aus mindestens zwei Gründen falsch.
Erstens gibt die als Lebenserwartung genannte Zahl keinesfalls, wie oft behauptet, die durchschnittliche Lebenszeit von heute geborenen Menschen an. Sie sagt allein: Wenn alle altersspezifischen Mortalitätsraten (Todesfälle pro Altersklasse pro Zeit) auch in Zukunft so bleiben wie sie heute sind, dann lebt ein heute geborenes Mädchen in Deutschland im Mittel 83 Jahre. Da diese altersspezifischen Mortalitätsraten aber vermutlich weiter abnehmen werden, leben heute geborene Kinder im Durchschnitt weitaus länger. Dieser Effekt wird in der amtlichen Statistik durchaus anerkannt (man spricht hier von „Periodensterbetafeln“), auch Lebensversicherer berücksichtigen ihn bei ihrer Prämienkalkulation.
Zweitens wird die Zahl der gesund verbrachten Lebensjahre, der sogenannte Healthy Life Years-Indikator, aus Umfragen geschätzt. Da aber die Befragten selbst bewerten, ob sie in den letzten sechs Monaten vor der Befragung aus Krankheitsgründen in ihren üblichen Betätigungen behindert waren, sind diese Zahlen international nicht vergleichbar. Denn was als krank oder als eine Behinderung gilt, variiert beträchtlich – auch aufgrund kultureller Unterschiede – über Raum und Zeit. So ist aus zahlreichen empirischen Untersuchungen bekannt, dass sich Menschen auf dem Land von leichtem Fieber oder Rückenschmerzen kaum behindert führen, Menschen in der Stadt dagegen wohl.
Ohne objektives Messsystem sind die EU-Zahlen zur gesunden Lebenserwartung aber nicht belastbar und damit für eine international vergleichbare Beurteilung von wenig Wert.
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Ansprechpartner:
Prof. Dr. Walter Krämer, Tel.: (0231) 755-3125
Mit der „Unstatistik des Monats“ hinterfragen der Berliner Psychologe Gerd Gigerenzer, der Dortmunder Statistiker Walter Krämer und RWI-Vizepräsident Thomas Bauer jeden Monat sowohl jüngst publizierte Zahlen als auch deren Interpretationen. Alle „Unstatistiken“ finden Sie im Internet unter www.unstatistik.de.
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