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05/31/2017 12:05

Innere Uhr aus dem Takt: Unregelmäßige Zeitwahrnehmung bei Schizophrenie

Petra Giegerich Kommunikation und Presse
Johannes Gutenberg-Universität Mainz

    Metastudie untersucht Zeitwahrnehmung und zeitliche Informationsverarbeitung bei Patienten mit Schizophrenie anhand von 68 Studien aus 65 Jahren

    An Schizophrenie erkrankte Menschen haben ein anderes Zeitgefühl als gesunde. Die Wahrnehmung einer Zeitdauer schwankt bei schizophrenen Menschen stärker als bei nicht erkrankten Personen. Patienten mit Schizophrenie sind ebenfalls weniger präzise bei der Beurteilung zeitlicher Abfolgen. Dies ergab eine Metastudie von Psychologen der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU). Sie haben dazu 68 internationale Veröffentlichungen aus den vergangenen 65 Jahren herangezogen und so die Daten von 957 Schizophreniepatienten mit 1060 gesunden Kontrollpersonen verglichen.

    Obwohl das Krankheitsbild der Schizophrenie schon seit langem bekannt ist, ist der genaue Zusammenhang zwischen kognitiven und neurologischen Beeinträchtigungen auf der einen Seite und den Symptomen der Patienten auf der anderen Seite nach wie vor unklar. Eine gängige Theorie in der Schizophrenieforschung geht davon aus, dass dem Krankheitsbild Fehler in der zeitlichen Informationsverarbeitung zugrunde liegen könnten und es auf diese Weise zu den bekannten Symptomen wie Halluzinationen, beispielsweise Stimmenhören, oder einem Auseinanderfallen von Handlungen und Gedanken kommt. Die Psychologen Sven Thönes, mittlerweile Mitarbeiter am Leibniz-Institut für Arbeitsforschung in Dortmund, und Dr. Daniel Oberfeld-Twistel vom Psychologischen Institut der JGU haben in der Metastudie untersucht, ob die theoretisch angenommene Störung von Zeitwahrnehmung und zeitlicher Verarbeitung bei Schizophreniepatienten tatsächlich vorliegt.

    Unter „Zeitwahrnehmung“ wird in der Mainzer Metastudie die Beurteilung eines Zeitraums verstanden, zum Beispiel schätzen die Probanden, für wie viele Sekunden ein Quadrat auf einem Bildschirm zu sehen ist. Der Begriff „zeitliche Verarbeitung“ erfasst die Abfolge von Ereignissen; die Probanden beurteilen hier zum Beispiel, ob zuerst ein blaues und dann ein rotes Quadrat zu sehen war oder umgekehrt.

    Innere Uhr bei Schizophrenie tickt nicht im Rhythmus

    Deutlich beeinträchtigt ist nach dem Ergebnis der psychologischen Studie bei schizophrenen Menschen die Präzision der Zeitwahrnehmung und der zeitlichen Verarbeitung. Das heißt, ihre Schätzungen waren im Vergleich zu der nicht erkrankten Kontrollgruppe viel variabler. Im Beispiel: Sollte die Dauer der Präsentation eines Quadrats, das jeweils für 1 Sekunde auf dem Bildschirm erscheint, 20 Mal nacheinander geschätzt werden, dann wiesen die Schätzungen der Schizophreniepatienten wesentlich größere Schwankungen auf als die der Kontrollgruppe. Der Durchschnittswert – also die mittlere Schätzung in Sekunden – war jedoch bei beiden Gruppen gleich groß.

    Diese Ergebnisse zeigen, dass die innere Uhr bei an Schizophrenie erkrankten Menschen nicht unbedingt schneller oder langsamer tickt, sondern dass sie nicht konstant tickt: Der Rhythmus ist ungleichmäßig, fassen die beiden Wissenschaftler Thönes und Oberfeld-Twistel zusammen. Die Probleme bei der Beurteilung von zeitlichen Abfolgen könnten aber auch unabhängig vom allgemeinen Zeitempfinden mit grundlegenden kognitiven Defiziten bei Schizophrenie zusammenhängen. „Man geht heute davon aus, dass die Verarbeitungsprozesse bei Schizophrenie beeinträchtigt sind, dass die Informationsübertragung im Gehirn etwas aus dem Takt geraten ist“, erklärt Oberfeld-Twistel weiter. Das könnte ein Grund sein, weshalb eine klare zeitliche Abfolge nicht als solche wahrgenommen wird.

    Die Metastudie zeigt außerdem, dass bestimmte Aspekte bisher noch nicht ausreichend untersucht wurden und in künftigen Forschungsprojekten thematisiert werden sollten, darunter auch der mögliche Einfluss von Medikation und Neurotransmittern.

    Veröffentlichung:
    Sven Thönes, Daniel Oberfeld
    Meta-analysis of time perception and temporal processing in schizophrenia: Differential effects on precision and accuracy
    Clinical Psychology Review, 29. März 2017
    DOI: 10.1016/j.cpr.2017.03.007

    Weitere Informationen:
    PD Dr. Daniel Oberfeld-Twistel
    Abt. Allgemeine Experimentelle Psychologie
    Psychologisches Institut
    Johannes Gutenberg-Universität Mainz
    Tel. +49 6131 39-39274
    Fax +49 6131 39-39268
    E-Mail: oberfeld@uni-mainz.de
    http://www.staff.uni-mainz.de/oberfeld/

    Weitere Links:
    http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0272735816302707 (Article)


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    Criteria of this press release:
    Journalists, all interested persons
    Biology, Medicine, Psychology
    transregional, national
    Research results, Scientific Publications
    German


     

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