idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instance:
Share on: 
08/07/2017 11:16

„Virtuelles Mikroskop“ für Sinnesforschung entwickelt

Stefan Weller Stabsstelle Unternehmenskommunikation, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Universitätsmedizin Göttingen - Georg-August-Universität

    Forscher der Universitätsmedizin Göttingen und des Italienischen Instituts für Technologie entwickeln neues Verfahren für die Sinnesforschung: Aus den Reaktionen von Nervenzellen auf Sinnesreize lassen sich die Verschaltungen der Nervenzellen in einem Netzwerk sichtbar machen. Veröffentlicht im renommierten Wissenschaftsmagazin „Nature Communications“.

    (umg) Die Entwicklung von Sinnesprothesen zum Sehen oder Hören ist ein Ziel von Sinnesforschung. Doch die Arbeit der Sinnesforscher war bisher erschwert, weil sie die natürlichen Verknüpfungen der Nervenzellen dafür nicht genau genug untersuchen können.

    Eine Forschergruppe der Universitätsmedizin Göttingen hat in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern des Italienischen Instituts für Technologie ein neues Verfahren für die Sinnesforschung entwickelt. Mit ihm gelingt es, aus Messungen der Reaktionen einzelner Nervenzellen auf sensorische Reize ein Abbild vorgeschalteter Nervenzellen zu rekonstruieren. Das „virtuelle Mikroskop“ macht komplexe Verschaltungen von Nervenzellen „sichtbar“, die bisher nicht erkennbar waren. Dies erleichtert die Untersuchung der Sinnessysteme und damit auch die Entwicklung von Sinnesprothesen.

    Die Untersuchungen zur Entwicklung des neuartigen virtuellen Mikroskops für die Sinnesforschung wurden unter der Leitung von Prof. Dr. Tim Gollisch, Professor für „Sensory Processing in the Retina“ in der Klinik für Augenheilkunde an der Universitätsmedizin Göttingen, durchgeführt. Mit ihrer neuartigen Methode haben die Forscher bereits Verschaltungen von Nervenzellen in der Netzhaut des Auges rekonstruiert. Für die Zukunft hoffen sie, dass sich damit auch Therapiemethoden testen und verbessern lassen, die derzeit zur künstlichen Anregung der Netzhaut im Fall von Blindheit entwickelt werden. Die Ergebnisse sind jetzt im renommierten Wissenschaftsmagazin „Nature Communications“ veröffentlicht.

    Originalveröffentlichung: Liu JK, Schreyer HM, Onken A, Rozenblit F, Khani MH, Krishnamoorthy V, Panzeri S, Gollisch T (2017). Inference of neuronal functional circuitry with spike-triggered non-negative matrix factorization. Nature Communications 8, Article number: 149 (2017). doi:10.1038/s41467-017-00156-9. https://www.nature.com/articles/s41467-017-00156-9

    „Die Nervenzellen in unseren Sinnessystemen reagieren auf spezifische Sinnesreize in der Umgebung und lassen uns so beispielsweise Farbe, Bewegungen und Töne erkennen. Auf welche Reizeigenschaften eine Nervenzelle reagiert, hängt größtenteils davon ab, von welchen anderen, vorgeschalteten Nervenzellen sie ihre Eingänge erhält. Im dichten Gedränge der Nervenfasern im Gehirn ist aber meist nicht ohne Weiteres ersichtlich, welche Nervenzellen mit welchen anderen verbunden sind. Dies erschwert die Untersuchung der Sinnessysteme und damit auch die Entwicklung von Sinnesprothesen“, sagt Prof. Dr. Tim Gollisch, Senior-Autor der Publikation.

    WIE DAS VIRTUELLE MIKROSKOP FUNKTIONIERT

    Um die Verschaltungen der Nervenzellen zu rekonstruieren, bedienen sich die Forscher moderner Analysemethoden aus dem Feld des maschinellen Lernens. Üblicherweise werden diese Methoden beispielsweise für die Analyse von Bildern verwendet, etwa um Objekte in Fotos zu erkennen. Diese Vorgehensweise haben die Forscher abgewandelt, um statt Objekten in Fotos nun einzelne Nervenzellsignale in komplexen Aktivierungsmustern zu erkennen. „Wir verwenden die Datenanalyse wie ein virtuelles Mikroskop, um ein Abbild der neuronalen Verschaltungen zu erstellen“, sagt Prof. Gollisch. „Wir messen die Signale von etwa hundert Nervenzellen einer Zellschicht und können anschließend zirka tausend Zellen der vorhergehenden Zellschicht rekonstruieren und bestimmen, welche einzelnen Zellen zwischen diesen Zellschichten verbunden sind.“

    Zugrunde liegt diesem virtuellen Mikroskop ein mathematisches Modell der Verschaltungen. Leistungsstarke Computer helfen bei der Berechnung. Trotzdem dauert es einige Tage, bis die komplexen Rechnungen durchgeführt und die Zellschichten rekonstruiert sind. Anschließend bietet sich ein detailreicher Blick auf die Verschaltungen der Nervenzellen der Netzhaut. „Wenn in einer an sich blinden Netzhaut einige Zellen der einen Zellschicht durch lichtsensitive Proteine künstlich erregbar sind dann können wir mit dieser Methode erfassen, wie die künstliche Erregung an die nächste Zellschicht weitergegeben wird“, sagt Prof. Gollisch. Damit, so die Hoffnung, lassen sich diese Therapieansätze zur Wiederherstellung des Sehsinns bei Blindheit überprüfen und verfeinern, um möglichst natürliche Aktivierungsmuster hervorzurufen.

    WEITERE INFORMATIONEN
    Universitätsmedizin Göttingen, Georg-August-Universität
    Klinik für Augenheilkunde
    AG Sensory Processing in the Retina
    Prof. Dr. Tim Gollisch, Telefon 0551 / 39-13542, tim.gollisch@med.uni-goettingen.de
    www.retina.uni-goettingen.de


    Images

    Gefärbte Nervenzelle der Netzhaut in rot, zusammen mit elliptischen Bereichen, die die Umrisse vorgeschalteter Nervenzellen anzeigen.
    Gefärbte Nervenzelle der Netzhaut in rot, zusammen mit elliptischen Bereichen, die die Umrisse vorge ...
    Abbildung: umg
    None

    Prof. Dr. Tim Gollisch, Klinik für Augenheilkunde der Universitätsmedizin Göttingen (UMG).
    Prof. Dr. Tim Gollisch, Klinik für Augenheilkunde der Universitätsmedizin Göttingen (UMG).
    Foto: privat
    None


    Criteria of this press release:
    Journalists
    Biology, Medicine
    transregional, national
    Research results, Scientific Publications
    German


     

    Gefärbte Nervenzelle der Netzhaut in rot, zusammen mit elliptischen Bereichen, die die Umrisse vorgeschalteter Nervenzellen anzeigen.


    For download

    x

    Prof. Dr. Tim Gollisch, Klinik für Augenheilkunde der Universitätsmedizin Göttingen (UMG).


    For download

    x

    Help

    Search / advanced search of the idw archives
    Combination of search terms

    You can combine search terms with and, or and/or not, e.g. Philo not logy.

    Brackets

    You can use brackets to separate combinations from each other, e.g. (Philo not logy) or (Psycho and logy).

    Phrases

    Coherent groups of words will be located as complete phrases if you put them into quotation marks, e.g. “Federal Republic of Germany”.

    Selection criteria

    You can also use the advanced search without entering search terms. It will then follow the criteria you have selected (e.g. country or subject area).

    If you have not selected any criteria in a given category, the entire category will be searched (e.g. all subject areas or all countries).