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Wissenschaft
Die Pilze sind eine für Laien kaum überschaubare vielfältige Gruppe von Lebewesen und selbst bei Wissenschaftlern immer wieder für eine Überraschung gut. Der Pilzkundler Dr. Michael Weiß hat entdeckt, dass sich innerhalb der Gruppe der Ohrlappenpilze eine Familie ähnlich aussehender Pilze verborgen hat, die genetisch aber deutlich anders ausgestattet sind. Den Sebacinaceen begegnen Forscher seither an den unterschiedlichsten Stellen.
Vertreter der Sebacinales sind Partner in Wurzelsymbiosen zahlreicher Pflanzenfamilien
Wie eng zwei Lebewesen miteinander verwandt sind, lässt sich in vielen Fällen an ihrem Aussehen, ihren Formen und Strukturen erkennen. Das ist allerdings oft nicht mit dem bloßen Auge möglich. So konnten die verwandten Pilze der Gruppe der Auriculariales (Ohrlappenpilze), die als Holzzersetzer leben, nur mit Hilfe elektronenmikroskopischer Aufnahmen zusammengebracht werden. Die namengebende Gattung Auricularia heißt auf Deutsch Judasohr. Ein glibbriger Vertreter dieser Gattung ist aus China-Restaurants unter dem Namen Mu-Errh bekannt. Der Mykologe Dr. Michael Weiß vom Botanischen Institut der Universität Tübingen hat überprüft, ob sich die vermutete Verwandtschaft der Auriculariales-Pilze, die ähnliche Mikrostrukturen in ihren Geweben zeigen, auch in den Genen widerspiegelt. Denn mit Hilfe von molekularbiologischen Methoden lassen sich die Erbanlagen verschiedener Organismen direkt miteinander vergleichen. Dabei ergab sich Überraschendes: Zwar waren etliche Gruppenmitglieder der Auriculariales tatsächlich eng verwandt, doch eine Teilgruppe ließ sich aufgrund der Genanalysen ganz klar davon abgrenzen: die Familie der Sebacinaceen. Die Pilze dieser Gruppe haben keine besonderen Eigenschaften, die sie von anderen Vertretern der Auriculariales sichtbar unterscheiden. Und nachdem Michael Weiß die unscheinbaren Pilze aus ihrem bisherigen Versteck bei den Auriculariales geholt hatte, entdeckten Forscher sie auf einmal überall.
Bei dem Versuch, die Abgrenzung der Sebacinaceen von den Auriculariales zu verstehen, fiel Michael Weiß auf, dass die Ökologie ganz unterschiedlich ist: "Die Auriculariales sind Zersetzer von Totholz, sie lassen sich leicht auf Holzspänen anziehen - womit in Asien etwa der Mu-Errh-Pilz in riesigen Mengen industriell erzeugt wird. Die Sebacinaceen bilden dagegen Krusten auf dem Waldboden und überziehen dabei auch gefallenes Laub." Die Pilzfamilie sei bisher oft übersehen worden, weil viele der Sebacinaceen nur sehr unscheinbare oder gar keine Fruchtkörper bilden - also etwa gestielte Hüte oder Knollen, die Laien als den eigentlichen Pilz bezeichnen würden. Vor einigen Jahren hat der Mykologe mit Hilfe der von ihm bestimmten DNA-Sequenzen die Verwandtschaftsbeziehungen der Auriculariales und Sebacinaceen berechnet und die Daten in einer Gendatenbank im Internet veröffentlicht. "Das war der Auslöser der weiteren Entwicklungen", erzählt Michael Weiß. In der Gendatenbank im Internet gibt es nämlich die Möglichkeit, beliebige DNA-Sequenzen einzugeben und mit allen dort vorhandenen Sequenzen über spezielle Algorithmen vergleichen zu lassen. Dann wird von dem Programm angezeigt, in welchen Arten oder Organismen bisher schon gleiche oder ähnliche DNA-Sequenzen gefunden worden sind. "Aus Frankreich kam ein Anruf von einem Forscher, der DNA-Sequenzen aus klein geschnittenen Pflanzenwurzeln isoliert und bestimmt hatte. Er hat auf gut Glück in der Datenbank gesucht und ihm wurden als ähnlichste Sequenzen meine Sebacinaceen-Sequenzen angezeigt", berichtet Weiß.
An sich ist es überhaupt nicht ungewöhnlich, dass sich an Pflanzenwurzeln Pilzgeflechte finden. Im Gegenteil: viele Pflanzen wie zum Beispiel die Waldbäume unserer Breiten, Eiche, Buche, Tanne oder Fichte, sind auf Pilze angewiesen, die den Baumwurzeln über ein riesiges Netz ihrer feinen Ausläufer helfen, genügend Wasser und Nährstoffe aus dem Boden aufzunehmen. Im Gegenzug erhält der Pilz von der Pflanze Zuckerverbindungen, die er nicht selbst herstellen kann. Diese Gemeinschaft oder Symbiose, von der beide Partner profitieren, wird als Mykorrhiza - Pilzwurzel - bezeichnet. Mehr als 80 Prozent der Landpflanzen gehen nach Schätzungen der Wissenschaftler solche Symbiosen mit Pilzen ein. Bei vielen Orchideen werden die Pilze sogar für die Keimung der Samen gebraucht, da diese sehr klein sind und kaum Speicherstoffe enthalten.
Michael Weiß hat zusammen mit anderen Forschern die Verhältnisse bei der Nestwurz-Orchidee genauer untersucht. Die Pflanze besitzt kein Chlorophyll, den grünen Blattfarbstoff, der sie befähigen würde, das Sonnenlicht als Energiequelle zu nutzen. "Die Nestwurz benötigt ganz spezielle Pilze an ihren Wurzeln, um überleben zu können. Es stellte sich heraus, dass dies mehrere Arten der unscheinbaren und bisher so häufig übersehenen Sebacinaceen sind", sagt der Forscher. Außerdem muss die Vogelnestwurz im Wald wachsen, zum Beispiel in der Nähe von Buchen. "Diese Pilze bilden nämlich auch mit den Bäumen Mykorrhizen", erklärt er. Die Nestwurz-Orchidee ist über den Pilz mit den Baumwurzeln verbunden: "Die Orchidee ernährt sich praktisch vom Baum. Sie ist ein Parasit auf dem Baum - über den Pilz." Inzwischen haben Michael Weiß und seine Kollegen Vertreter der Sebacinaceen in den unterschiedlichsten Mykorrhiza-Typen und bei ganz unterschiedlichen Pflanzen aus etlichen Familien, aus Proben weltweit gefunden. "Meine Kollegin Sabrina Setaro hat zum Beispiel in Ecuador lianenförmige Erikagewächse untersucht und einen bisher unbekannten Mykorrhiza-Typ gefunden. Auch dort sind die Sebacinaceen beteiligt", sagt Weiß. "Sie tauchen in immer mehr Pflanzenwurzeln auf, aus China, Afrika oder Südamerika - wenn man genau nachsieht."
Mittlerweile sei auch klar, dass der Pilz Piriformospora indica, der verschiedentlich schon als "Wunderpilz" bezeichnet wurde, weil er in Gewächshausexperimenten als Mykorrhizapartner die Erträge und Krankheitsresistenz von zahlreichen Nutzpflanzen steigert, zu den Sebacinaceen gehört. Der indische Forscher Prof. Ajit Varma hat erkannt, dass der Pilz aus der Wüste Nordwest-Indiens leicht kultivierbar ist. "Darüber haben wir auch einen experimentellen Zugang zu den Sebacinaceen. Die Forschung hat an dieser Stelle eine schwunghafte Entwicklung genommen, weil die Ergebnisse auch wirtschaftlich interessant sind für die Pflanzenvermehrung und den Zierpflanzenbau. Neueste Forschungen haben klar gezeigt, dass Vertreter dieser Pilzgruppe das Wachstum ihrer Pflanzenpartner fördern und ihre Resistenz gegen Schadpilze erhöhen können", erklärt Weiß.
Ein seit längerem bekannter Vertreter der Sebacinaceen ist Sebacina vermifera. Von diesem Pilz wurden bereits in den 1960er-Jahren Kulturen angelegt. "Sebacina vermifera hat keine Fruchtkörper, wenig Besonderheiten, nur auffallend lange Sporen - die pilzlichen Verbreitungseinheiten. Bei der Untersuchung der DNA-Sequenzen zeigte sich aber, dass es sich nicht um eine Art, sondern um einen großen Artenkomplex handelt", sagt Michael Weiß. In dieser Grauzone sei die klassische Einteilung in der Systematik in Gattungen und Arten kaum möglich. "Manche Wissenschaftler halten das klassische System daher auch für überholt. Über die genetischen Unterschiede ließe sich ein System erstellen, das die natürlichen Verwandtschaftsverhältnisse besser widerspiegelt", berichtet der Forscher.
Nach umfassenden Analysen hat Michael Weiß aus der Familie der Sebacinaceen eine eigene neue Ordnung Sebacinales gemacht, die in der Hierarchie der Pilzsystematik auf einer höheren Ebene steht - die Unterschiede zu den Auriculariales und anderen Ordnungen rechtfertigen dies. Nach Einschätzung von Weiß werden die Sebacinales bald wiederum in zwei Familien eingeteilt werden, die vorläufig mit A und B benannt sind. "Aus der Gruppe B hat noch niemand Fruchtkörper gesehen, doch die Pilzfäden sind praktisch überall auf der Welt in Mykorrhizen zu finden", sagt Weiß. Michael Weiß nimmt an, dass die Sebacinales weltweit und auf einem riesigen Pflanzenspektrum vorkommen. "Welche Effekte sie im Detail auf die Pflanzen haben, bietet einen großen Raum für künftige Forschung", sagt er.
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Nähere Informationen:
Neue Fachpublikation zu dem Themengebiet, die in einer Onlinevorabveröffentlichung der PNAS am 20. November 2006 erschienen ist und am 5. Dezember in der Druckversion erscheinen soll:
Deshmukh S, Hückelhoven R, Schäfer P, Imani J, Sharma M, Weiss M, Waller F & Kogel K-H (2006) The root endophytic fungus Piriformospora indica requires host cell death for proliferation during mutualistic symbiosis with barley.
Proceedings of the National Academy of Sciences of the USA 103: 18450-18457.
Dr. Michael Weiß
Spezielle Botanik/Mykologie
Auf der Morgenstelle 1
72076 Tübingen
Tel. 0 70 71/2 97 88 13
Fax 0 70 71/29 53 44
E-Mail: michael.weiss@uni-tuebingen.de
Der Pressedienst im Internet: http://www.uni-tuebingen.de/uni/qvo/pd/pd.html
Criteria of this press release:
Biology, Environment / ecology, Information technology, Oceanology / climate, Zoology / agricultural and forest sciences
transregional, national
Research results
German
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