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12/07/2023 14:41

Polarlichter über der Karibik

Dr. Birgit Krummheuer Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung

    Der Sonnensturm vom Februar 1872 war außergewöhnlich heftig. Eine aktuelle Studie liefert neue Erkenntnisse zu dem Extrem-Ereignis.

    Vor 151 Jahren traf ein gewaltiger Sonnensturm auf die Erde: Am 4. Februar 1872 meldeten Telegrafenämter in vielen Teilen der Welt stundenlange Störungen und Ausfälle; Polarlichter waren selbst in Indien, Sudan und in der Karibik zu sehen. In der Fachzeitschrift The Astrophysical Journal legt eine Gruppe von 22 Wissenschaftler*innen, die von der Universität Nagoya in Japan geleitet wurde und zu der ein Forscher des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung (MPS) in Göttingen gehört, jetzt die bisher umfassendste Untersuchung des ungewöhnlichen Ereignisses vor. Dafür werteten die Forscher*innen eine Vielzahl historischer Aufzeichnungen, Messungen und Dokumente aus Europa, Asien, Afrika, den USA und Australien aus – darunter auch bisher unbekannte Quellen. Wie die Studie zeigt, gehört der Sonnensturm von 1872 zu den drei heftigsten, die jemals direkt beobachtet wurden. Zudem konnte das Team erstmals die Region auf der Sonne identifizieren, die den Sturm ausgelöst hatte. Dies kann helfen zu verstehen, wie solch gewaltige Sonnenstürme entstehen und wie sie sich ankündigen.

    In heftigen Eruptionen schleudert die Sonne immer wieder Strahlung und hochenergetische, geladene Teilchen ins All. Breiten sich diese in Richtung der Erde aus und treffen auf das irdische Magnetfeld, spricht man von einem Sonnensturm. Kleinere Stürme machen sich durch bunt leuchtende Polarlichter in hohen Breiten bemerkbar; stärkere Exemplare können in der Atmosphäre und zum Teil sogar in Bodennähe so starke elektrische Ströme induzieren, dass Funkübertragungen beeinträchtigt und Transformatoren zerstört werden. Berühmtestes Beispiel ist das so genannte Carrington-Ereignis von 1859. Als Folge des stärksten bisher bekannten Sonnensturms brach in weiten Teilen Nordeuropas und Nordamerikas das Telegrafennetzwerk zusammen; Polarlichter waren sogar in Rom, Mexiko und Kuba zu sehen.

    Forschende gehen davon aus, dass ein ähnlich starker Sonnensturm heutzutage deutlich weitreichendere Konsequenzen hätte – nicht zuletzt, weil die heutige Infrastruktur empfindlich von Satelliten abhängt, die ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen werden können. Umso drängender ist das Anliegen, heftige Ereignisse dieser Art vorhersagen zu können. „Extrem starke Sonnenstürme treten nur sehr, sehr selten auf“, erklärt MPS-Wissenschaftler Dr. Theodosios Chatzistgeros, Koautor der aktuellen Studie. „Grundsätzlich ist das natürlich gut, es erschwert aber die Erforschung dieser Ereignisse“, fügt er hinzu. Um Gesetzmäßigkeiten zu erkennen, bleibt Wissenschaftler*innen deshalb nur der Blick in die Vergangenheit.

    Etwa auf den Sonnensturm vom 4. Februar 1872. Ähnlich wie beim Carrington-Ereignis waren auch 13 Jahre später Polarlichter in ungewöhnlich niedrigen Breiten zu sehen: Ein rotes, blaues oder violettes Leuchten, gleißend helle Streifen und weitere Lichterscheinungen zeigten sich Aufzeichnungen zur Folge etwa am Himmel über dem heutigen Mumbai (Indien), über Khartum (Sudan) und über der Karibik. Auch von weitreichenden Störungen des Telegraphenbetriebs wird berichtet. In der aktuellen Studie tragen Forscher*innen bereits bekannte sowie neu entdeckte Quellen zusammen und werten sie aus. Dabei blicken sie nicht nur auf die außergewöhnlichen Vorgänge, die sich am 4. Februar 1872 auf der Erde entfalteten, sondern schauen auch auf die Vorgänge auf der Sonne in den Tagen davor.

    Regelmäßige Zeichnungen der Sonne

    An mehreren Observatorien wie etwa in den italienischen Städten Rom, Palermo und Moncalieri gehörten im späten 19. Jahrhundert regelmäßige Sonnenbeobachtungen zum wissenschaftlichen Alltag. Die Astronomen waren vertraut mit dem etwa elfjährigen Sonnenfleckenzyklus, zeichneten Anzahl, Größe, Form und Anordnung der dunklen Gebiete auf der Sonnenoberfläche sorgsam auf und konnten zum Teil auch Eruptionen beobachten. Ihre Skizzen und Einträge lieferten den Autor*innen der aktuellen Studie entscheidende Informationen. So fertigte etwa der Jesuitenpater Angelo Secchi, Leiter der Vatikansternwarte, in den Tagen vor dem Sonnensturm detaillierte Handzeichnungen der Sonnenflecke an.

    „Heute wissen wir, dass Sonnenflecken mit starken Magnetfeldern an der sichtbaren Oberfläche der Sonne einhergehen. Oftmals sind sie Ausgangspunkt von Sonneneruptionen“, erklärt Chatzistergos. Die Zeichnungen Secchis und weiterer Zeitgenossen aus den letzten Januar- und ersten Februartagen 1872 zeigen einen sprunghaften Anstieg der Anzahl der Sonnenflecken. Die Autor*innen der aktuellen Studie konnten eine Gruppe von Sonnenflecken identifizieren, die den Sonnensturm ausgelöst haben müssen. Zeit und Ort ihres Auftretens passen genau. Dabei mutet die Ansammlung dunkler Flecken zunächst eher unspektakulär an: Weder ihre Gesamtgröße noch die Abmessungen der einzelnen Flecken ist außergewöhnlich. Allerdings folgt die Anordnung der Flecken innerhalb der Gruppe nicht den typischen Gesetzmäßigkeiten. Die Magnetfeldarchitektur, auf die diese Anordnung hinweise, habe das Potential eine große Menge an Energie freizusetzen, so Chatzistergos.

    Polarlichter bis zu den Tropen

    Die Folgen des Ausbruchs zeigten sich auf der Erde schon bald. Am 4. Februar 1872 verkündeten Routinemessungen des Erdmagnetfeldes unter anderem aus Greenwich (England), Tiflis (Georgien) und Mumbai (Indien) das Einsetzen des Sturms. Die Daten erlauben es den Forschern einzugrenzen, wie stark der Sturm das Erdmagnetfeld abgeschwächt haben muss. Beinah noch eindrucksvoller sind die zahlreichen Sichtungen von Polarlichtern. Das Forscherteam wertete Berichte in Zeitungen, Chroniken und wissenschaftlichen Zeitschriften aus, sowie Zeichnungen, Tage- und Schiffslogbucheinträge aus Asien, Europa, Afrika, Australien und Amerika. Einige dieser Quellen waren zuvor nicht bekannt gewesen. Die äquatornächsten Polarlichtsichtungen stammen demnach aus dem karibischen Tobago, nur 11 Breitengrade nördlich des Äquators.

    Insgesamt entsteht so ein umfassendes Bild des Extrem-Sonnensturms: Neben dem Carrington-Ereignis von 1859 und einem weiteren Sturm von 1921 zählt der Sonnensturm von 1872 demnach zu den drei heftigsten bisher bekannten Ereignissen. Seit Beginn des Weltraumzeitalters ist kein so starker Sturm mehr aufgetreten.

    Sonnenaktivität nimmt zu

    Aktuell durchläuft die Sonne ihren so genannten 25. Sonnenzyklus und nähert sich ihrem nächsten Maximum an, das sie in etwa im Laufe des nächsten Jahres erreichen dürfte. Die damit verbundenen häufigeren und stärkeren Sonnenstürme haben sich in den vergangenen Wochen auch in Deutschland und sogar in Teilen Südeuropas bemerkbar gemacht: Die kürzlich aufgetretenen Polarlichter waren sogar in Teilen von Griechenland und Italien zu sehen. Dennoch sind extreme Sonnenstürme wie das Carrington-Ereignis und der Sturm von 1972 eher seltene Phänomene – selbst in Zeiten zunehmender Sonnenaktivität. Weitere Forschung zu vergangenen Sonnenstürmen ist notwendig, um solche Ereignisse in Zukunft besser zu verstehen.


    Contact for scientific information:

    Dr. Theodosios Chatzistergos
    Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung
    Tel.: +49 551 384979-232
    E-Mail: Chatzistergos@mps.mpg.de


    Original publication:

    Hisashi Hayakawa et al.:
    The Extreme Space Weather Event of 1872 February: Sunspots, Magnetic Disturbance, and Auroral Displays,
    The Astrophysical Journal, 959 23, Dezember 2023
    DOI: 10.3847/1538-4357/acc6cc
    Link: https://iopscience.iop.org/article/10.3847/1538-4357/acc6cc


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    Criteria of this press release:
    Journalists
    Physics / astronomy
    transregional, national
    Research results
    German


     

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