Der Beitrag von Philologie und Kulturwissenschaft zu den Science Studies besteht zum einen in der Untersuchung der Übergänge, Korrespondenzen und Brüche zwischen poetischem, kulturellem und fachlichem Wissen, zum anderen in der Analyse der Rhetorik und Poetologie wissenschaftlicher Erkenntnis, d.h. von Wissensfiguren, Argumentationsstrukturen, Darstellungs- und Symbolisierungsformen, Erzähl- und Interpretationsmustern der Forschung. Zudem geht es um die toten Winkel, die bei der Ausdifferenzierung der 'zwei Kulturen' und der fortschreitenden Spezialisierung der einzelnen Disziplinen notwendig entstehen, aber auch um die Erkundung von Perspektiven produktiver Zusammenarbeit zwischen experimenteller und philologischer, zwischen empirischer und historischer Forschung.
Intuition und Kalkül - damit geht es auch um jene Erkenntnisse, die erst nachträglich konzeptualisiert werden, um das epistemologisch 'Unbewußte' und ungeplante Effekte systematischer Wissensproduktion, d.h. um das Kalkulierte der Intuition ebenso wie das Intuitive und Implizite des Kalküls.
Messen und Deuten - diese Unterscheidung scheint eher als die von Natur- und Geisteswissenschaften geeignet, das Verhältnis zwischen empirischen und historischen, experimentellen und hermeneutischen Erkenntnissen - die oft konfliktreiche Gegenstellung der "zwei Kulturen" - zu beschreiben.
Die Frage nach blinden Flecken (in) der Wissensproduktion zielt auch auf die Paratexte und Palimpseste der Theorien und auf Momente des An-Ästhetischen, Unsichtbaren, Unbewußten, ohne die sich neues Wissen nicht konstituieren kann.
Die einzelnen Tagungsbeiträge erkunden: diskursive Praktiken und Darstellungsformen, in die empirische Verfahren und Datenerhebungen eingebunden sind; die Rolle von Metaphern und Bildern bei der Organisation, Strukturierung und Neuordnung von Wissen, insbesondere bei Figuren, die zwischen mehreren Disziplinen zirkulieren; das oft Überlesene oder Übersehene wie jene sprachlichen Bilder und Spuren, die den Begriffen, den Ergebnissen und Theorien vorausgehen, wie etwa handschriftliche Entwürfe, Notizen und (Auf-)Zeichnungen, vermeintlich randständige Textelemente wie Vorwort, Fußnoten, Inhaltsverzeichnisse, Register.
PROGRAMM
Donnerstag, 27.10.
16.30 Sigrid Weigel, ZfL: Begrüßung
Caroline Welsh und Stefan Willer, ZfL: Einführung
I. Messen, Lesen, Deuten
Moderation: Caroline Welsh
17.00 Sigrid Weigel, ZfL: Die Vermessung der Engel. Wissenschaft und Kunst in der Säkularisierung
18.00 Cornelius Borck, McGill University, Montreal/Kanada: Reading - Recording - Rewriting. How to Make Sense of Brainscript
20.00 Abendveranstaltung
Moderation: Karlheinz Barck
Szenische Lesung: "Phallacy" von Carl Djerassi
mit Carl Djerassi, Stanford University/USA, und Isabella Gregor, Schauspielerin und Regisseurin, Berlin und Wien
Freitag, 28.10.
I. Messen, Lesen, Deuten (Fortsetzung)
Moderation: Yvonne Wübben
11.00 Hans-Jörg Rheinberger, MPI für Wissenschaftsgeschichte Berlin: Experimentelle Virtuosität
12.00 Stefan Rieger, IFK Wien: Formen des Lebens. Messungen am Inkommensurablen
II. Figuren des Wissens - Figuren der Übertragung
Moderation: Erik Porath
14.30 Caroline Welsh, ZfL: Die Figur der Stimmung in den Wissenschaften vom Menschen
15.30 Mai Wegener, ZfL: "? das Gefühl Liebe entspräche einer rechtsdrehenden Spiralbewegung der Hirnmoleküle ?". Zur Figur des Psychophysischen Parallelismus im ausgehenden 19. Jahrhundert
Moderation: Dorit Müller
17.00 Sabine Flach, ZfL: "Das Gefühl ist es, welches das Hirn korrigiert".
Zur Intuition als Arbeitsmethode
18.00 Britta Herrmann, Universität Bayreuth: Prometheus und Pygmalion als Übersetzer. Produktionsmythologeme zwischen Wissenschaft und Kunst im 18. Jahrhundert
20.00 Abendvortrag
Moderation: Sabine Flach
Werner Busch, Freie Universität Berlin: Zu Joseph Wright of Derbys "Tischplanetarium"
Samstag, 29.10.
III. Blinde Flecken der Epistemologie
Moderation: Mai Wegener
9.30 Dieter Kliche, ZfL: "Zellen im fremden Stock". Lichtenbergs Zusätze zu Erxlebens "Anfangsgründen der Naturlehre"
10.30 Ulrike Vedder, ZfL: Aktien und Akten. Zolas Übertragungen im Feld von Wissenschaft und Roman
12.00 Roland Borgards, Universität Gießen: Die Narkose, ein Nicht-Wissen, ein Nicht-Ding. Das Jahr 1867 und der blinde Fleck im Schmerz
Moderation: Sigrid Weigel
14.30 Anja Zimmermann, Univ. Hamburg: "Die Betrachtung des Weltganzen": Entwürfe künstlerischer und wissenschaftlicher Verfahrensweisen am Ende des 19. Jahrhunderts
15.30 Christine Blättler, ZfL: "Alles ist Vorwand für die Zahl". Das serielle Kalkül von Charles Fourier
17.00 Ohad Parnes, ZfL: Die Wissenschaftsgeschichte der Intuition - die Intuition der Wissenschaftsgeschichte
19.00 Abendveranstaltung
Moderation: Andreas Platthaus, Frankfurter Allgemeine Zeitung
Intuition und Kalkül - Statements und Podiumsdiskussion
mit André Blum, Gastroenterologe (Université de Lausanne/Schweiz), Aris Fioretos, Schriftsteller (Berlin), David Poeppel, Neurolinguist (University of Maryland/USA), Stefan Willer, Literaturwissenschaftler (ZfL)
Hinweise zur Teilnahme:
Termin:
27.10.2005 ab 16:30 - 29.10.2005 21:00
Veranstaltungsort:
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften,
Jägerstr. 22/23
10117 Berlin-Mitte
Einstein-Saal (5. Stock)
10117 Berlin
Berlin
Deutschland
Zielgruppe:
Studierende, Wissenschaftler
E-Mail-Adresse:
Relevanz:
international
Sachgebiete:
Geschichte / Archäologie, Sprache / Literatur
Arten:
Eintrag:
09.09.2005
Absender:
Sabine Zimmermann
Abteilung:
Zentrum für Literatur- und Kulturforschung Berlin (ZFL)
Veranstaltung ist kostenlos:
ja
Textsprache:
Deutsch
URL dieser Veranstaltung: http://idw-online.de/de/event14780
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