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Veranstaltung



18.05.2006 - 20.05.2006 | Berlin-Charlottenburg

Heinrich Heine und Sigmund Freud. Die Enden der Literatur und die Anfänge der Kulturwissenschaft

Ein Symposium des Zentrums für Literaturforschung im Literaturhaus Berlin

Der "die Signatur aller Erscheinungen so leicht begreift..."
(Heine, Florentinische Nächte)

"In diesem Streit über die Würdigung des Traumes scheinen nun
die Dichter auf derselben Seite zu stehen wie die Alten, wie das
abergläubische Volk und wie der Verfasser der Traumdeutung"
(Freud, Gradiva)

Im Jahr 2006 fallen der 150. Todestag Heinrich Heines (am 17. Februar) und der 150. Geburtstag von Sigmund Freud (am 6. Mai) zusammen. Diese biographische Koinzidenz ist Grund genug für das ZfL, um sie als kulturgeschichtliche Konstellation zum Thema eines Symposiums zu machen: der Tod des Dichters und Philosophen und die Geburt des Neurologen und Erfinders der Psychoanalyse, untersucht als Schwellensituation, in der sich das 'Ende der Kunstperiode' mit der Genese der ersten Kulturwissenschaft berührt, - einer Kulturwissenschaft, die Erfahrungen des Imaginären ebenso wie der Säkularisierung in die Wissenschaft aufgenommen hat.
Indem aber das Symposium nicht das Ende, sondern die Enden der Literatur in den Blick nimmt, befragt es jene Modi der literarischen Wahrnehmung und Darstellung, die in dieser Konstellation hervortreten, (re-) aktiviert werden und nicht nur neue Schreibweisen in der Literatur hervorbringen, sondern auch in andere Register Eingang finden. Ihnen verdankt sich nicht zuletzt die Geburt der Psychoanalyse und die Formulierung einer Kulturtheorie, die den Traum, das Gedächtnis und die Sprache des Unbewußten ins Zentrum stellt. Mit diesem Blickwechsel wird das 'Ende' in eine Kippfigur verwandelt: Diese eröffnet den Blick auf das kulturelle Gedächtnis und das Wissen der Literatur, das von den um 1900 entstehenden Kulturwissenschaften beerbt wurde, auf die Literatur als Traumdeutung und als Gedächtnis- und Kulturtheorie avant la lettre, auf die Passage von der Sprache des Traums zu den Gesetzen der Traumarbeit, von Heines metrischen und poetischen Witzen zu Freuds Theorie des Witzes.
Der Zufall des Datums soll zum Anlaß genommen werden, um zu diskutieren, von welchen Daten sich beider Werk herschreibt, um der Wahlverwandtschaft beider Autoren über die Generationen hinweg nachzugehen und die zahlreichen - expliziten wie verschwiegenen - Korrespondenzen zwischen beider Werk zu beleuchten: als jüdische Intellektuelle in den Hauptstädten der Moderne und im Zeitalter der Säkularisierung. Den bekanntesten Zutritt zum Schauplatz eines Dialogs zwischen Heine und Freud bilden die vielen Heine-Zitate in Freuds Witz-Buch. Doch wenn man von anderen Schriften, Begriffen und Bildern in Freuds Arbeiten zurückblickt auf Heines Literatur, wird eine Fülle weiterer Felder gemeinsamer Neugier, Faszination und Erkenntnisinteressen erkennbar: für Träume, Trauma und Tabus; für Phantasien, Phantasmen und Phantome; für Märchen und Mythen, für den Zusammenhang von Kult und Kultur; für die Verwandlung von Schuld und Schulden; für Athen und Jerusalem, das Paris des 19. Jahrhunderts und die Archäologie Roms; für die Götter im Exil und Geister der Kabbala.
Nicht nur lassen sich mit Freuds analytischen Konzepten viele Motive und Szenarien in Heines Literatur erstaunlich gut begreifen, als habe dessen Betrachtungsweise jenen Blick auf die Dauerspuren der Kultur antizipiert, aus dem Freud seine Kulturtheorie gewonnen hat. Auch hat der Dichter der Moderne dem Wissenschaftler des Unbewußten und des Gedächtnisapparats manche Motive vorgegeben, nicht zuletzt die Figur von 'Moses dem Ägypter'. Beide haben den eigenen Ort in der Moderne bewusst gestaltet und sich symbolisch als Autoren ihres Jahrhunderts, wenn nicht als Jahrhundertautoren verstanden: Heine, wenn er sich mit dem auf 1800 verschobenen Geburtsdatum als "erster Mann des 19. Jahrhunderts" vorstellt; Freud, wenn er das Erscheinen seiner Traumdeutung auf 1900 vordatiert und auf diese Weise das neue Jahrhundert mit seiner Theorie über die Gesetze des Traums eröffnet. Paris war für den einen Hauptstadt einer Moderne von Revolutionsemphase und Can Can-Ekstase, für den anderen Lehrstätte für die Wissenschaft von der Hysterie und Neuropathologie. Und beide haben - im Angesicht aktueller politischer Krisen, Pogrome und Kriege - ihre Situation als jüdische Intellektuelle neu reflektiert und die Bedeutung der Religionsgeschichte für die Moderne untersucht.
Während Heines Schreibweise die Grenzen der Dichtung überschreitet, wenn er bei seinen Reisen und Flanerien durch die Schriften und Bilder, die Räume und Archive der europäischen Kulturen die Spuren individueller und kollektiver Ängste und Wünsche in der Weltgeschichte kommentiert, ist die Erfindung der Psychoanalyse durch Freud umgekehrt nicht denkbar, wäre er nicht neben der Neurologie auch bei Dichtung und Kunst, Experten der Sprache des Unbewussten, in die Lehre gegangen.

Hinweise zur Teilnahme:
Wir bitten um formlose Anmeldung, Kontakt: ZfL, (Tel) 030/20192-173, (Fax) 20192-154, (Email) litera@zfl.gwz-berlin.de

Termin:

18.05.2006 - 20.05.2006

Veranstaltungsort:

Literaturhaus Berlin, Fasanenstr. 23
10719 Berlin-Charlottenburg
Berlin
Deutschland

Zielgruppe:

Studierende, Wissenschaftler

E-Mail-Adresse:

Relevanz:

international

Sachgebiete:

Sprache / Literatur

Arten:

Eintrag:

14.02.2006

Absender:

Susanne Hetzer

Abteilung:

Zentrum für Literatur- und Kulturforschung Berlin (ZFL)

Veranstaltung ist kostenlos:

ja

Textsprache:

Deutsch

URL dieser Veranstaltung: http://idw-online.de/de/event16304


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