Dass jedes Ding von Natur aus seine richtige Benennung erhalten habe, ist - seit Platon - Voraussetzung für ein Sprachverständnis, das von einer natürlich motivierten und unmittelbaren Beziehung zwischen Name und Ding ausgeht. Eine solche Namenstheorie impliziert, dass der Name im Ding schon vorhanden sei, dass er nur noch gefunden und extrahiert werden müsse. Einige religiös motivierte Namenskonzeptionen dagegen scheinen in eine etwas andere Richtung zu zielen. Hier ist es eher der Name, der das Ding, die Person oder die Sache prägt oder gar hervorbringt.
Im Namen, so z.B. der russische Philosoph Pavel Florenskij, erscheint das Genannte selbst. Namen sind nach Florenskij, der Tradition der Namensverehrung und Onomatodoxie (imjaslavie) folgend, Offenbarungen eines höheren Wesens. Er war sogar davon überzeugt, dass der Vorname eines Menschen sein Wesen vorausbestimmt. Mit diesen Überlegungen reagierte Florenskij auf einen Streit, den zu Beginn des 20. Jahrhunderts russisch-orthodoxe Mönche vom Athosberg auslösten, die davon ausgingen, dass Gott in seinem Namen selbst gegenwärtig sei. Die Verurteilung der praktizierten Namensverehrung im Jahre 1913 durch den Heiligen Synod aktivierte bei einigen russischen Religionsphilosophen (neben Florenskij auch Sergej Bulgakov und Aleksej Losev) ein spezifisches sprach- und religionsphilosophisches sowie ästhetisches Interesse an Fragen der Onomastik.
Mythopoetische und religiöse Namenskonzepte spielen in der Sprachphilosophie und Literatur der Moderne eine prominente Rolle, und dies, obwohl diese Konzepte in deutlichem Widerspruch zu jenen - seit Ferdinand de Saussure tonangebenden - Sprachtheorien stehen, die von der Konventionalität und Arbitrarität des Zeichens ausgehen. Auf der Arbeitstagung soll jene Kehrseite der modernen Sprachphilosophie untersucht werden, für die Namensphilosophie, Onomaturgie und Onomatopoetik relevant sind. Es geht um die Frage, worin die Attraktivität dieser Namenskonzepte im Einzelfall bestand und welche Ausprägungen diese Konzepte in concreto erfuhren.
Die Arbeitstagung findet im Kontext des ZfL-Projekts Intensität. Wirkungskonzepte in religiösen und ästhetischen Diskursen der Moderne statt, das ästhetische Konzepte und literarische Praktiken in der russischen Moderne untersucht, die von einer intensiven, der Sprache immanenten Wirkung ausgehen bzw. eine solche diskursiv inszenieren. Vor diesem Hintergrund gilt eine besondere Aufmerksamkeit der Frage, inwiefern Namenskonzepte als Formen sprachlicher Wirkung am Schnittpunkt von religiösen bzw. religionsphilosophischen, ästhetischen (mythopoetischen) und politischen Diskursen stehen.
Diese Phänomene sollen nicht nur für die russische Moderne, sondern im gesamteuropäischen Kontext diskutiert werden. Ausgehend von der Rolle der Namen (als sprachtheoretisches Konzept) in philosophischen und literarischen Texten der Moderne werden mit Benennung, Verehrung und Wirkung drei Dimensionen des Namens untersucht Denn über den Nominativ (Nennung) und den Vokativ (Anrufung) werden Vorbedingungen zur Konstitution des Namens wie des Subjekts, der Namensverehrung und einer wirksamen Inszenierung des Namens geschaffen.
Die Arbeitstagung wird in drei Sektionen gegliedert:
1. Mythopoetik: Welche Rolle spielt das kratyleische Namensverständnis in der Literatur der Moderne (u.a. bei Proust, Mallarmé, Chlebnikov, Kafka)? Wie wird das Verhältnis zwischen Onomaturg und Nomothet konzipiert und inszeniert? Wird der Name selbst als etwas zu Konstituierendes gedacht? Und was soll mit ihm oder durch ihn gegebenenfalls konstituiert werden?
2. Religion: Welche Rolle spielt der Name in unterschiedlichen Religionen? In welcher Weise wird in der Philosophie und Poetik der Moderne auf religiöse Traditionen zurückgegriffen? Welche kultischen und ethischen Kontexte werden aufgerufen (Auslöschung, Namensrettung bzw. -sicherung)? Welche Praktiken der Anrufung sowie der Wiederholung sind Vorbedingung für die Namensverehrung?
3. Politik: In wessen Namen wird gesprochen? Welcher Zusammenhang besteht zwischen Benennung bzw. Umbenennung und Machtausübung sowie zwischen Namen und Autorität (Paradigmenwechsel durch Umbenennung, Politisierung des Sprechens über Namen)?
Mit Vorträgen u.a. von:
Tomáš Glanc, Prag/Moskau
Michael Hagemeister, Basel
Andreas Kilcher, Tübingen
Erik Porath, Berlin
Thomas Schestag, Evanston
Elisabeth Strowick, Berlin
Stefan Willer, Berlin
Hinweise zur Teilnahme:
Kontakt:
Tatjana Petzer
Franziska Thun-Hohenstein
Zentrum für Literatur- und Kulturforschung Berlin
Schützenstr. 18
10117 Berlin
Termin:
04.05.2007 - 05.05.2007
Veranstaltungsort:
Zentrum für Literatur- und Kulturforschung Berlin
Schützenstr. 18
3. Etage
Trajekte-Tagungsraum 308
10117 Berlin
Berlin
Deutschland
Zielgruppe:
Studierende, Wissenschaftler
E-Mail-Adresse:
Relevanz:
überregional
Sachgebiete:
Kunst / Design, Medien- und Kommunikationswissenschaften, Musik / Theater, Sprache / Literatur
Arten:
Eintrag:
07.03.2007
Absender:
Susanne Hetzer
Abteilung:
Zentrum für Literatur- und Kulturforschung Berlin (ZFL)
Veranstaltung ist kostenlos:
ja
Textsprache:
Deutsch
URL dieser Veranstaltung: http://idw-online.de/de/event19765
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