Bereits seit Beginn der Neuzeit expandierte das Moskowiter Fürstentum gen Westen und Süden und zu Zeiten der Romanow-Dynastie umfasste Russland Gebiete mit überwiegend nichtrussischer und konfessionell heterogener Bevölkerung. Nach den Teilungen Polens und der Eroberung des Kaukasus und Zentralasiens im 18. und 19. Jahrhundert erhielt das Zarenreich Kontrolle über alte Kulturräume, die es im Zuge der Kolonialisierung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht zuletzt mittels der Sprachpolitik zu assimilieren versuchte. Polnisch, Ukrainisch und Litauisch wurden von Seiten St. Petersburgs verboten, das Russische sollte im Bildungs- und Behördenwesen im gesamten Imperium dominieren. Auch zu Sowjetzeiten lässt sich eine Kontinuität dieser Sprachpolitik Moskaus nachzeichnen. Nach einer kurzen liberalen Politik der "Verwurzelung" (Korennizacija) unter Lenin kam es zu einer forcierten Russifizierung unter Stalin. Zwar ohne Terrormaßnahmen, jedoch mit vergleichbarem Eifer wurde sie unter Chruschtschow, Tschernenko und Andropov fortgesetzt. Erst unter Michail Gorbatschow durfte die sowjetische Sprachpolitik im Zuge der Perestrojka öffentlich kritisiert werden und die einzelnen Republiken konnten Sprachgesetze verabschieden, die ein Aussterben der lokalen Sprachen verhinderten.
Zur Russifizierung im späten Zarenreich und in der Sowjetunion ist eine Fülle wissenschaftlicher Publikationen verfasst worden. Jedoch widmet sich die überwiegende Mehrheit ihrer Verfasser einer narrativen Darstellung der Russifizierung in einer bestimmten Unionsrepublik der UdSSR, bzw. in einer bestimmten Region z. B. im Baltikum im 19. Jahrhundert bzw. zwischen 1945-89 oder einer einzelnen Nation gegenüber. Die Russifizierung wurde beim Schreiben "nationaler Geschichten" einzelner nicht-russischer Nationen immer wieder berücksichtigt, jedoch wissenschaftlich nicht als ein Phänomen verstanden. Dadurch wurde die Russifizierung hauptsächlich im Kontext der Sprachpolitik Moskaus beleuchtet. Dabei sind weitere wichtige Aspekte (wie z. B. soziale, bildungstechnische, ideologische u.a.) dieses breitgefächerten und komplexen Konstruktes vernachlässigt worden.
Im Rahmen der Tagung werden die historischen Elemente der Russifizierungspolitik Petersburgs und Moskaus den nicht-russischen Völkern untersucht. Die Tagungsleitung liegt bei Dr. Zaur Gasimov.
PROGRAMM
Donnerstag, 20. Mai 2010
9.00
Begrüßung
Heinz Duchhardt (IEG, Mainz)
9.15-10.00
Zaur Gasimov (IEG, Mainz)
Russifizierung als Phänomen. Kulturelle, historische und sprachliche Aspekte
10.00-10.45
Karsten Brüggemann (Universität Tallinn)
"Russifizierung" als Repräsentation oder Wie russisch waren die deutschen Ostseeprovinzen des Zarenreichs unter Alexander III. und Nikolai II.
11.00-11.45
Irene Shneidere (Universität Riga)
The Policy of Russification in Latvia 1944-1991
11.45-12.30 Darius Staliunas (Universität Vilnius)
Russifizierung in den nordwestlichen Gouvernments (Litauen und Belarus)
14.00-14.45
Malte Rolf (Leibniz Universität Hannover)
Russifizierung oder Depolonisierung? Konzepte imperialer Herrschaft im Königreich Polen 1863-1915
14.45-15.30
Olena Betlii (Kyevo-Mohylan'ska Akademie, Kyiv)
Ten generations of russificators or Reading Kyiv through russification and de-russification in the 20th century
15.45-16.30
Stefan Troebst (GWZO, Universität Leipzig)
'Ein kleines Stückchen Rußland' in Moldova: Die Dnjestr-Republik 1990-2010
16.30-17.15
Kerstin Armborst-Weihs (IEG Mainz)
Jüdisches kulturelles Leben in der Sowjetunion im Zeichen der Russifizierung
Freitag, 21.05.2010
9.00-9.45 Lars Karl (HU Berlin)
Russisch-imperiale Geschichtspolitik im Nordkaukasus am Beispiel der Gestalt von Imam Shamil' (1880-1991)
9.45-10.30
Jan Kusber (Johannes Gutenberg-Universität Mainz)
Sibirien im Kontext der Russifizierung
10.45-11.30 Andreas Frings (Johannes Gutenberg-Universität Mainz)
Kyrillisierung gleich Russifizierung? Fallstricke in der Bewertung der sowjetischen
Schriftpolitik zwischen 1917 und 1941
11.30-12.30
Abschließende Diskussion und Verabschiedung
Hinweise zur Teilnahme:
Die Konferenz steht allen Interessierten offen. Eine Anmeldung ist notwendig und erfolgt per Email (ieg4@ieg-mainz.de) oder per Fax (06131-3935326)
Kontakt und weitere Informationen:
Dr. Zaur Gasimov
Institut für Europäische Geschichte
Alte Universitätsstr. 19
55116 Mainz
Tel.: 06131/3939369
Fax: 06131 39-30154
Termin:
20.05.2010 ab 09:00 - 21.05.2010 12:30
Veranstaltungsort:
Institut für Europäische Geschichte
Alte Universitätsstr. 19
Konferenzraum, 1. OG
55116 Mainz
Rheinland-Pfalz
Deutschland
Zielgruppe:
Studierende, Wissenschaftler
E-Mail-Adresse:
Relevanz:
überregional
Sachgebiete:
Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Kulturwissenschaften, Politik, Sprache / Literatur
Arten:
Eintrag:
15.04.2010
Absender:
Stefanie Wiehl
Abteilung:
Geschäftsführung / Öffentlichkeitsarbeit
Veranstaltung ist kostenlos:
ja
Textsprache:
Deutsch
URL dieser Veranstaltung: http://idw-online.de/de/event30937
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