In den letzten Jahren lässt sich innerhalb der Kulturwissenschaften ein verstärktes Interesse für das Themen- und Gegenstandsfeld ‚Religion’ verzeichnen. Im Zuge dessen hat sich auch die Literaturwissenschaft zunehmend mit dem Verhältnis von Literatur und Bibel beschäftigt und damit einen längst überfälligen Schritt getan. Schließlich sind die zahllosen biblischen Bezüge und Referenzen literarischer Texte ebenso augenscheinlich, wie sie über lange Zeit im toten Winkel der germanistischen Forschung lagen; ein toter Winkel, der um so auffälliger ist, wenn man ihn mit der Virulenz und Selbstverständlichkeit des Themas ‚Literatur und Bibel’ in anderen Nationalphilologien vergleicht. Die nicht eben umfangreiche germanistische Forschung dagegen ist meist älteren Datums, erschöpft sich oft in motivgeschichtlichen Sammelwerken, autormonographischen Quellenstudien oder in theologischer Literaturinterpretation und hat bislang keine Konzertierung oder systematische Reflexion erfahren. Heute, nach Intertextualitätstheorie und Diskursanalyse, nach Dekonstruktion, Mediengeschichte und Wissenspoetik, ist die Frage nach Bibel und Literatur indes neu zu stellen.
Doch so dringlich diese Aufgabe ist, so eminent sind die methodischen Probleme, die sie nach sich zieht. Schließlich ist alles andere als ausgemacht, ob und – falls ja – wie man Modelle von ‚Intertextualität’ auf das Verhältnis von Literatur und Bibel anwenden oder, radikaler noch, inwiefern man überhaupt von ‚der’ Bibel sprechen kann angesichts der Vielzahl von Vermittlungswegen, Gebrauchszusammenhängen und Lesarten dieser Texte. Auch eine Diskursgeschichte biblischen Wissens liegt bislang bestenfalls in Rudimenten vor. Und selbst die immer wieder proklamierte Rezeptionsgeschichte bleibt oft eine Leerformel angesichts eines nahezu grenzenlosen Gegenstands¬gebiets. Überdies scheinen nach wie vor einige Erkenntnisschranken in den Literatur- und Kulturwissenschaften die Wahrnehmung der produktiven Interferenz von Bibel und Literatur zu erschweren und forschungshemmend zu wirken. So ist etwa die Annahme, die Bibel sei ein inhärent dogmatischer Text, nach wie vor ebenso lebendig wie die alte Säkularisierungsdoktrin, nach der ein literarischer Text um so poetischer sei, je weiter er sich von seinen biblischen Prätexten entferne, und ein Autor um so moderner, je weniger er sich auf Biblisches beziehe.
Angesichts dieser Situation hat will die Tagung zum einen die bislang sehr verstreute Forschung aus ganz verschiedenen wissenschaftlichen Kontexten und Debatten zusammenführen. Zum anderen soll diese Konzertierung dezidiert über die Diskussion methodischer und theoretischer Probleme stattfinden, die sich bei literaturwissen¬schaftlichen, medien- und kulturgeschichtlichen, historischen und theologischen Arbeiten zum Verhältnis von Bibel und Literatur notwendigerweise stellen.
PROGRAMM
Donnerstag, 8. Juli 2010
Ort: ZfL, Schützenstr. 18, 10117 Berlin, Raum 308
13.30 Andrea Polaschegg (HU Berlin) und Daniel Weidner (ZfL): Einführung
Thomas Wortmann (Köln): Perikopen, Prätext, Pretext. Annette von Droste-Hülshoffs Geistliches Jahr
Giulia Radaelli (Bielefeld): „Wunder des Unglaubens“? Bibelübersetzung bei Ingeborg Bachmann
16.00 Andrea Fischer (Kassel): Literarische Rezeption von 2 Sam 11 (David, Batseba und Urija Erzählung)
Friedmar Tielker (Potsdam): „Irgendeine Judith, die wir ›zubegehren‹...“ – Bibelbezüge als Kontrapunkt bei der narrativen Affektdarstellung Fontanes
Frank Runcie (Montréal): Die Batsebaerzählung nach Torgny Lindren und Marek Halter
18.30 Robert Buch (Chicago): Untröstlich. Hans Blumenbergs Arbeit an der Passionsgeschichte
Elke Dubbels (Berlin): (De-)Figurationen des Messianischen in Hermann Brochs Romantrilogie Die Schlafwandler
Freitag, 9. Juli 2010
Ort: ZfL, Schützenstr. 18, 10117 Berlin, Raum 308
9.00 Nina Irrgang (Erlangen-Nürnberg): Zwischen „Bibel“ und „Literatur“. Das poetologische Konzept des Aristeasbriefes
Daniel Fehr (Princeton): Die Vermittlung der Unmittelbarkeit. Zum Vermittlungsgeschehen der Johannesapokalypse
11.00 Katharina Schoppa (Berlin): Poetik der Dissoziation. Trauma als strukturierendes Prinzip im Hohenlied
Dominik Rößler (Tübingen): Midraschtheorie und Moderne Hermeneutik. Ein Beitrag zum Verständnis von Text und Kommentar am Beispiel des rabbinischen Midrasch zum Hohelied Shir haShirim Rabba
13.45 PROJEKTVORSTELLUNGEN
Susanne Luther (Mainz): Lexikon der Bibelhermeneutik
Franziska Grießer-Birnmeyer (Erlangen-Nürnberg): Biblische Spuren in der deutschsprachigen Lyrik nach 1945
14.30 Christine Stridde (München): Selbstmitteilung und Selbstreferenz. Biblische Offenbarungsrede in der mystischen Literatur des Mittelalters am Beispiel des ‚Fließenden Lichts der Gottheit’ Mechthilds von Magdeburg
Aleksandra Prica (Zürich): Mittelalterliche Bibelauslegung im Spannungsfeld von Poetik und Exegese. Versuch einer mediologischen Perspektive
16.30 Cornelia Wild (München): Einverleibte Affekte. Ökonomie der Leidenschaften bei Angela von Foligno
Cornelia Temesvári (Berlin): Bibelspuren. Literarische Kabbala – „Transformationen“
18.30 Ulrike Wels (Potsdam): Wahrheit und Lüge. Zur kategorialen Unterscheidung von Bibel und Literatur im 16. und 17. Jahrhundert
Mimmi Woisnitza (Chicago): Von der Kanzel auf die Bühne. Die hermeneutische Funktion von Einbildung bei Luther und Lessing
Sonnabend, 10. Juli 2010
Ort: Humboldt-Uni Berlin, Dorotheenstraße 24, 10117 Berlin, Seminargebäude am Hegelplatz, Haus 1, Raum 1.103
9.00 Ralf Schlechtweg-Jahn (Bayreuth): Hybride Räume. Zur medialen Inszenierung von Typologie in der Armenbibel von 1471
Bernhard Metz (Berlin): Schriftfamilie. Biblische und literarische Texte als Druckwerke
11.00 Manuel Illi (Erlangen-Nürnberg): „Und Gott chillte“? Einige Überlegungen zu neueren ‚Bibelprojekten‘ aus literaturtheoretischer Perspektive
Alexander Dölecke (Münster): Zwischen Wunder und Gesinnungsterrorismus: Bibelübersetzung im Spannungsfeld von Texttreue und Interpretation
13.30 Tomislav Zelic (Zadar): Zum wissenspoetischen Status der Bibelfakturen in Alfred Döblins Berlin Alexanderplatz (1929) unter narratologischen und medien-geschichtlichen Gesichtspunkten
Dagmar Stöferle (München): Bibel und Bibliothek in Flauberts Tentation de Saint Antoine
15.30 Jadwiga Kita-Huber (Krakau): Theologie, Pastoralpraxis und Literatur. Zu den Vermittlungsinstanzen biblischer Prätexte bei Jean Paul
Almut-Barbara Renger (Berlin): Die Umwertung des Judas. Vom verschatteten Verräter zum erleuchteten Vertrauten
Hinweise zur Teilnahme:
Termin:
08.07.2010 ab 13:30 - 10.07.2010 17:00
Veranstaltungsort:
ZfL, Schützenstr. 18, 10117 Berlin, Trajekte-Tagungsraum (308)
und Humboldt-Universität. Seminargebäude am Hegelplatz, Dorotheenstr. 24, 10117 Berlin, Haus 1, Raum 1.103
10117 Berlin
Berlin
Deutschland
Zielgruppe:
Studierende, Wissenschaftler
E-Mail-Adresse:
Relevanz:
regional
Sachgebiete:
Kulturwissenschaften, Medien- und Kommunikationswissenschaften, Philosophie / Ethik, Religion, Sprache / Literatur
Arten:
Eintrag:
24.06.2010
Absender:
Sabine Zimmermann
Abteilung:
Zentrum für Literatur- und Kulturforschung Berlin (ZFL)
Veranstaltung ist kostenlos:
ja
Textsprache:
Deutsch
URL dieser Veranstaltung: http://idw-online.de/de/event31805
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