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Veranstaltung


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25.09.2010 - 28.09.2010 | Greifswald

Wechselkurse des Vertrauens

Internationales Symposion an der Nordischen Abteilung der Universität Greifswald
"Zur Konzeptualisierung von Ökonomie und Vertrauen im nordischen Idealismus (1800 - 1870)"

Der Übergang der skandinavischen Gesellschaften von absolutistisch organisierten zu liberal-bürgerlichen Gesellschaften vollzieht sich im Laufe des 19. Jahrhundert. In diesem Prozess spielen zwei Diskurse eine entscheidende Rolle, die zueinander in einem spannungsvollen Verhältnis stehen. Da ist zum einen der monetäre Diskurs, der nach Niklas Luhmann sogar als der entscheidende Motor bei der Herausbildung der bürgerlichen Gesellschaft fungiert.(1) Da ist zum anderen der Vertrauensdiskurs, dessen wechselnde Semantisierungen und symbolische Inszenierungen Ute Frevert in verschiedenen Studien rekonstruiert hat. Dabei weist sie auf einen entscheidenden Bedeutungswandel im 19. Jahrhundert hin. War Vertrauen zuvor noch überwiegend theologisch eingefärbt, wird es im bürgerlichen Zeitalter zu einem zentralen Begriff, der Ökonomie, Politik, Religion, familiäre Strukturen und (im „Selbstvertrauen“) das bürgerliche Selbstverhältnis verbindet.
Der Konnex zum monetären Diskurs leuchtet unmittelbar ein, ist eine bestimmte Währung doch nur so lange Wertmedium, solange ihr Vertrauen entgegengebracht wird. Die regulative Macht des Geldes ist somit nicht autopoetisch, sondern getragen von sozial ausgehandelten Vertrauensstrukturen. Folglich wurde Vertrauen selbst „als eine Kapitalform“ angesehen, „die die Transaktionskosten gering zu halten verspricht“. (2) Eine der wichtigen Aufgaben eines Handelshauses bestand (und besteht) in der symbolischen Markierung von Liquidität, lies: von Vertrauenswürdigkeit.
In Skandinavien wird dieser Konnex zwischen Vertrauen und monetärem Diskurs im frühen 19. Jahrhundert in unterschiedlichen Zusammenhängen evident. So wird Dänemark durch eine weitreichende Krise des Finanzmarktes erschüttert, die das Vertrauen in die selbstregulierenden Mechanismen der Ökonomie für lange Zeit untergräbt und das geltende Wertmodell fragwürdig erscheinen lässt. Auf der anderen Seite sieht man etwa an der sagenumwobenen Kredit-Finanzierungen eines Projektes wie des Götakanals in Schweden wie Vertrauen in Form von Staatsanleihen genutzt werden kann, um geradezu unmögliche Vorhaben zu schultern und erfolgreich zu realisieren. Die Literatur beobachtet diese Prozesse sehr genau und versucht sie in unterschiedlichen Konstellationen näher zu erforschen.
Aus literatursoziologischem Blickwinkel gewinnt die Verstrickung von Vertrauens- und monetärem Diskurs einen weiteren Grad an Komplexität. Bekanntermaßen geht die Literatur im 19. Jahrhundert auf den Markt. Mit der Herausbildung einer liberalen Presse wird die Schriftstellerei zu einem Beruf, der seinen Mann/seine Frau ernähren kann. Diese Transformation bringt die neue Rolle des integren Intellektuellen-Künstlers hervor, der die Abhängigkeit von möglichen Mäzenen und damit die Verpflichtung ihnen gegenüber abgeworfen hat und sich nun als selbständiger Akteur auf der kulturellen Bühne geriert. Deshalb muss der Künstler verschleiern, dass seine neue Freiheit nur durch die Unterwerfung unter die apersonalen Mechanismen des Marktes erkauft wurde, einer Logik, die nicht mehr wie im Feudalismus über die Repräsentation von Fülle und Grandeur königlicher Macht organisiert ist, sondern über die Logik der Knappheit. Seine Vertrauenswürdigkeit basiert somit auf einer Selbstinszenierung, die seine Unabhängigkeit von Mäzen und Markt markiert.
Dieser Wandlungsprozess findet in Skandinavien seine endgültige Form im radikalen Autor des Modernen Durchbruchs. Die Tagung interessiert jedoch nicht so sehr das Ergebnis, sondern der Weg im 19. Jahrhundert dorthin: Wie wird der monetäre Diskurs in der Frühphase der Globalisierung konstruiert und in der Kunst der Zeit repräsentiert? Welche Strukturen der Vertrauungsbildung werden nötig, damit er die Schlüsselstellung in der Herausbildung der bürgerlichen Gesellschaft übernehmen kann? Wie verändern sich Wertmodelle und damit verbunden, wie verändern sich die Konventionen, die Vertrauen ermöglichen sowie die Zeichen, über die Glaub- und Kreditwürdigkeit vermittelt werden? Welche neuen Loyalitäten werden aufgebaut, die eine Lösung vom Mäzenatensystem ermöglichen, ohne die neue Bindung an den monetären Diskurs zu offenbaren: die Nation, die Religion, die autonome Kunst? Könnte man behaupten, dass der künstlerische Realismus gerade daraus seine Überzeugungskraft bezieht, dass er mit der Anrufung der Wirklichkeit eine Loyalität suggeriert, die aufgrund ihrer scheinbaren Überprüfbarkeit besonders vertrauenswürdig erscheint?
Die Tagung nimmt sich vor, beispielhaft zu rekonstruieren, 1) wie der Vertrauensdiskurs die Literatur des nordischen Idealismus grundierend durchzieht und welche anderen Diskurse auf dieser Basis aufbauen, 2) wie die Literatur die Omnipräsenz des Geldes (bzw. des Mangels an Geld), seine Rolle als Medium und kontingenzreduzierende Formel, sowie seine gesellschafts- und diskursformende Macht bearbeitet; und 3) wie der ökonomische Diskurs notwendig vom Vertrauensdiskurs flankiert wird.

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(1) Luhmann, Niklas: Die Wirtschaft der Gesellschaft. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1988.
(2) Frevert, Ute: „Vertrauen. Historische Annäherungen an eine Gefühlshaltung.“ In: Claudia Benthien (Hg.): Emotionalität. Zur Geschichte der Gefühle. Köln/Weimar/Wien: Böhlau 2000. S. 178–197. Hier: S. 188.

Hinweise zur Teilnahme:
Prof. Dr. Joachim Schiedermair, Institut für Fremdsprachliche Philologien - Nordische Abteilung
Telefon 03834 86-3610, joachim.schiedermair@uni-greifswald.de

Termin:

25.09.2010 - 28.09.2010

Veranstaltungsort:

Der genaue Veranstaltungsort wird noch bekannt gegeben.
17489 Greifswald
Mecklenburg-Vorpommern
Deutschland

Zielgruppe:

Studierende, Wissenschaftler

Relevanz:

international

Sachgebiete:

Sprache / Literatur

Arten:

Eintrag:

19.07.2010

Absender:

Sabine Köditz

Abteilung:

Presse- und Informationsstelle

Veranstaltung ist kostenlos:

nein

Textsprache:

Deutsch

URL dieser Veranstaltung: http://idw-online.de/de/event31977


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