Die jüngste Finanzkrise hat eindrücklich deutlich gemacht, in welchem Maße ökonomische und politische Entscheidungen von Wissen über die Zukunft abhängig sind und wie unzuverlässig dieses Wissen sein kann. Die dramatische Falsifikation von Wachstumsversprechungen, aber auch die daraus erwachsenden Krisen- und Untergangserwartungen legen es nahe, die suggestive Kraft des Sprechens von der Zukunft kulturwissenschaftlich in den Blick zu nehmen. Denn auch das methodisch reflektierte Zukunftswissen bezieht seine eigentliche Macht aus der Vorwegnahme von Zukunft im Hier und Jetzt der Äußerung. Jede Prognose lässt sich immer auch als Appell, Warnung, Drohung oder Trost verstehen.
Die Prophetie ist demgegenüber keinesfalls nur ein 'vorwissenschaftlicher' Vorgänger der Prognostik, sie hat vielmehr eigene Formen der Rede ausgebildet, die durch die gegenwärtige Rückkehr der Religionen neue Aktualität gewonnen haben. Ein Prophet sagt nicht primär Zukunft voraus, sondern tritt als Bote auf, dessen Stimme eine höhere, transzendente Wahrheit zu Wort kommen lässt. Das wiederum ist problematisch, weil sich ein solcher Bote zugleich mit seiner Botschaft identifizieren und sich von ihr unterscheiden muss. Während also Prognosen Fiktionen einer wahrscheinlichen Zukunft entwickeln, sind Prophezeiungen Fiktionen einer unwahrscheinlichen Wahrheit.
Auch prognostisches Wissen entstand oft im religiösen Kontext. In der Neuzeit versucht jedoch die statistische Prognostik, die vorausgesetzte Regularität weltlicher Prozesse vor dem Horizont kontingenter Möglichkeiten auf eine wahrscheinliche Zukunft hin auszurechnen. Somit spielt die Prognostik eine entscheidende Rolle in der politischen Planung und wird in der zukunftsorientierten Moderne zu einem entscheidenden Faktor kulturellen Wissens. Die heutige methodisch reflektierte Zukunftsforschung beansprucht nicht, zukünftige Gegenwarten zu erforschen, sondern versteht sich als Wissenschaft gegenwärtiger Zukünfte. Auch sie entgeht allerdings nicht gänzlich der Suggestionskraft des Vor-Wissens. Der Prognostiker kann daher auch weiterhin mit dem Propheten verwechselt werden: Beide stehen für unsichere Äußerungen, die spezifische Formen des Wissens (wissenschaftliche Modelle, mathematische Verfahren) mit kulturellen Symboliken (Erfüllung und Katastrophe, Frist und Ende) und typischen Äußerungsformen (Warnung, Drohung, Trost) vielfältig kombinieren.
Hinweise zur Teilnahme:
Termin:
25.11.2010 ab 15:00 - 27.11.2010 19:00
Veranstaltungsort:
Zentrum für Literatur- und Kulturforschung, Schützenstr. 18, Berlin-Mitte, 3. Et., Trajekte-Tagungsraum 308
10117 Berlin
Berlin
Deutschland
Zielgruppe:
Studierende, Wissenschaftler
E-Mail-Adresse:
Relevanz:
international
Sachgebiete:
Gesellschaft, Kulturwissenschaften, Meer / Klima, Religion, Sprache / Literatur
Arten:
Eintrag:
13.09.2010
Absender:
Sabine Zimmermann
Abteilung:
Zentrum für Literatur- und Kulturforschung Berlin (ZFL)
Veranstaltung ist kostenlos:
ja
Textsprache:
Deutsch
URL dieser Veranstaltung: http://idw-online.de/de/event32469
Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.
Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).
Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.
Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).
Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).