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28.10.2010 - 31.10.2010 | Mainz

Theater und Subjektkonstitution - 10. Kongress der Gesellschaft für Theaterwissenschaft

Die Frage nach Subjektkonstitution ist ein zentraler Forschungsbereich zeitgenössischer Kulturtheorie. Für diese entsteht Subjektivität in individuell leibgebundenen Prozessen ihrer ständigen Aushandlung vor dem Hintergrund gesellschaftlich gegebener Normen. Kultur wird dabei nicht mehr als Text und Monument, sondern als körper- und handlungsbasierte Aus- bzw. Aufführung von Sinn begriffen. Theater kann deshalb als paradigmatischer Ort einer Ver- und Aushandlung von Subjektivität erscheinen.

Das Problem der Subjektkonstitution erscheint als zentrale Schnittstelle bei der Betrachtung theatraler Praktiken aus einer kunst- und kulturwissenschaftlichen Perspektive. Das Spiel mit verschiedenen Formen von Subjektivität – sei es in ihrer Fragmentierung oder als Behauptung eines autonomen, mit sich selbst identischen Subjekts – verweist im theatralen Rahmen auf das Prekäre der Subjektkonstitution, insofern letztere von der spielerischen Qualität des Vorgangs destabilisiert wird.

Eine Schrift wie Diderots einflussreiches Paradoxe sur le comédien (publ. 1830) verortet diese Unsicherheit auf der Grenze von "Theater" und "Leben" – kaum anders als der Schauspieler auf der Bühne ist auch der Mensch in Gesellschaft einer wechselseitigen Heimsuchung von Rollenspiel und leibgebundener Empfindsamkeit ausgesetzt, innerhalb derer die jeweilige Subjektposition erst ausgehandelt werden muss. In der gängigen Lesart Diderots wird die beschriebene Heimsuchung zugunsten einer "kalten" Darstellung der Rolle aufgelöst, die das Ich zwar maskiert, aber – auf der Bühne wie im Leben – unbeschadet lässt.

Im 20. Jahrhundert glaubt die philosophische Anthropologie Helmuth Plessners, unter anderen Vorzeichen, eine solche Spaltung als menschliche Grundkonstante in der Anthropologie des Schauspielers (1948) erkennen zu dürfen. Im Schauspiel mache sich der Mensch seine exzentrische Position, die "uneinholbare Abständigkeit zu sich selbst", durchsichtig: "Bedeutsamerweise bringt der Bildentwurf, in dem der Darsteller zur Verkörperung als Mensch seiner Rolle kommt, die Bildbedingtheit menschlichen Daseins ins Licht." Eine solche Auffassung der schauspielerischen Aktion als "Spiegelverhältnis des Darstellers zum Zuschauer selbst" hat auf die Theaterwissenschaft zurückgewirkt in Versuchen, die europäische Theater- bzw. Dramengeschichte als Geschichte von Subjektmodellen und Identitätsangeboten zu schreiben (Fischer-Lichte).

Gegen die Idee der anthropologischen Grundkonstante, wie sie bei Plessner zum Tragen kommt, lässt sich die poststrukturalistische Problematisierung des Subjektbegriffs anführen, die – wie Foucault in Nietzsche, la Généalogie, l’Histoire (1971) schreibt – das "Diskontinuierliche in unser Sein" einführt. Gerade weil sie von der Begrenztheit des Subjektbegriffs ausgehen und bisweilen eine Art Utopie der Subjektlosigkeit entwickeln, lenken Foucaults Überlegungen den Blick auf historisch differente Positionen und Formierungen von Subjektivität.

Für die zeitgenössische Kulturtheorie entsteht Subjektivität in individuell leibgebundenen Prozessen ihrer ständigen Aushandlung und Hervorbringung vor dem Hintergrund gesellschaftlich gegebener Normen. Kultur wird nicht mehr als Text und Monument, sondern als körper- und handlungsbasierte Prozessualisierung von Sinn verstanden. Der Soziologe Andreas Reckwitz zum Beispiel begreift in Das hybride Subjekt (2006) die Materialität und Prozessualität des Körpers als Aus- und Aufführungsort von Kultur; Handlungen werden gesellschaftskonstitutiv, indem sie kulturelle Codes und symbolische Ordnungen verdinglichen und verkörpern. Aus der praxeologischen, d.h. auf soziale Praktiken ausgerichteten, Perspektive von Reckwitz wird so auch der Prozess der Subjektkonstitution oder, in seinen Worten, "Subjektivation" als beständige Aus-Handlung vor dem Hintergrund des Repertoires gesellschaftlich gegebener "Subjektformen" begriffen, die als Dispositive und wissensabhängige Normen der Praxis interiorisiert werden. Die Prozessualität der Subjektkonstitution entfaltet sich dabei in den drei maßgeblichen produktiven Räumen humanwissenschaftlicher Diskurse, materialer Kultur (Artefakte, Medien) und kultureller, ästhetischer Bewegungen. Mit ihrer heuristischen Fokussierung von Praktiken ist die zeitgenössische Kulturtheorie wissenschaftsgeschichtlich geprägt von geisteswissenschaftlicher Theoriebildung u.a. in der Sprach-/Philosophie, Psychologie und in der Theaterwissenschaft, hier insbesondere zur Theatralität, Performativität, Phänomenologie, Medialität und Bildlichkeit.

Wenn Theaterwissenschaft künstlerische und kulturelle Inszenierungen in den Blick nimmt, kann sie Fragen der Subjektkonstitution auf mehreren Ebenen verhandeln. Entsprechend gliedert sich der Kongress in drei Sektionen:

1) Theorie, die sich mit der theatralen Verfasstheit des Subjekts in gesellschaftlichen Zusammenhängen befasst

2) Ästhetische Praktiken, die die Affirmation und Subversion von Subjektnormen, Vorgänge der Subjektivierung, das Festhalten am Subjekt oder seine Ex-Position und Fragmentierung behandeln

3) Geschichte der sich ändernden Subjektmodelle in Kunst und Alltagskultur.

Hinweise zur Teilnahme:
Anmeldung und weitere Informationen unter http://subjekt2010.de/anmeldung/

Termin:

28.10.2010 ab 17:00 - 31.10.2010 17:00

Veranstaltungsort:

Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Staatstheater Mainz
Institut Francais, Mainz
Institut für Europäische Geschichte, Mainz
55116 Mainz
Rheinland-Pfalz
Deutschland

Zielgruppe:

jedermann

E-Mail-Adresse:

Relevanz:

international

Sachgebiete:

Kulturwissenschaften, Kunst / Design, Medien- und Kommunikationswissenschaften, Musik / Theater, Sprache / Literatur

Arten:

Eintrag:

05.10.2010

Absender:

Petra Giegerich

Abteilung:

Kommunikation und Presse

Veranstaltung ist kostenlos:

nein

Textsprache:

Deutsch

URL dieser Veranstaltung: http://idw-online.de/de/event32813


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