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Veranstaltung


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23.01.2013 - 26.01.2013 | Berlin

TRANSLATIO. Begründungen und Erbschaften des Imperialen

Internationale Tagung

Die vergleichende Imperienforschung hat sich in den letzten Jahren zu einem der interessantesten Zweige der historischen Kulturwissenschaften entwickelt. Dies liegt daran, dass hier Erkenntnisinteressen artikuliert werden, die den aktuellen Entwicklungen – der Krise der Nationalstaatlichkeit im Kontext der Auflösung des ehemaligen »Ostblocks«, der Globalisierung – angemessener erscheinen, als die immer gleiche Gegenüberstellung von Imperium als vormodern-archaische und Nationalstaat als moderne Norm der Staatenbildung.
Das neue Interesse an Imperien geht davon aus, dass es sich beim Nationalstaat um eine epochal bedingte Staatsform handelt, die im Blick aufs Ganze politischer Weltgeschichte einen historisch beschränkten Sonderfall darstellt. Imperien dagegen, verstanden als multi- oder transnationale Machtverbände mit großer historischer Variationsbreite, erscheinen aus dieser Perspektive als Normalfall. In ihrem Bestreben, den Begriff »Imperium« von der Konnotation des Archaischen einerseits und der des hegemonialen Unterdrückungszusammenhangs andererseits ein Stück weit zu lösen und damit zu neutralisieren, unterscheidet sich dieser Ansatzes auch von den Postcolonial Studies. Er möchte den Blick von der Einseitigkeit der Ausrichtung auf Imperialismus befreien, bringt dabei aber zugleich auch eigene Werte mit: supra- und substaatliche Vernetzungen, Multi-und Transnationalität etc. Die neue Imperienforschung ist eine Richtung, deren historisches Erkenntnisinteresse gerade auch den Blick für die Tendenzen der Gegenwart schärft durch ein ihnen adäquateres Dispositiv als das der Nationalstaatlichkeit. Ihre Perspektive ist stets vergleichend, wodurch auch bislang verborgene Kontinuitäten (Erbschaften, Prägungen) sichtbar werden, und welthistorisch, was sich paradigmatisch in den Arbeiten von Jürgen Osterhammel, Christopher Bayly, Jane Burbank und Frederick Cooper, aber auch in dem politikwissenschaftlich typologischen Essay von Herfried Münkler manifestiert.
Eher am Rande und nur ansatzweise nehmen die meisten Vertreter dieser Richtung auch die kulturelle Dimension in den Blick, fragen nach den symbolischen Strategien der Begründung und der Legitimierung von Imperien sowie der Konstruktion imperialer Identitäten.
Ziel der geplanten Tagung ist es, in vergleichenden oder jeweils einen imperialen bzw. postimperialen Kontext fokussierenden Beiträgen diese symbolische Dimension des Imperialen, die symbolischen Strategien der Konstruktion, Begründung und Legitimierung des Imperialen zu ergründen. Dabei soll ein Konzept im Vordergrund stehen, das immer wieder als Kern imperialer Legitimität fungiert hat: das Konzept der translatio, der Übertragung, der Versetzung und des Erbens imperialer Legitimität, imperialen Geltungsanspruchs. In seiner Geschichte hatte es zwei Dimensionen, eine transzendente: das Modell der Legitimierung irdischer Herrschaft durch eine göttliche Instanz, und eine immanente: die Legitimierung eines neuen imperialen Zentrums/Imperiums durch die Übernahme, die Beerbung der Legitimität eines alten Imperiums (z.B. Moskau als Drittes Rom; Heiliges Römisches Reich usw.) Mit diesem Konzept sind zahlreiche andere Konzepte verbunden, die für die Modellierung des Imperialen als kulturelle und historische Einheit relevant sind: der Anspruch auf »Totalität« resp. »Welt«, der dem Imperialen inhärent scheint; die imperiale Konzeptualisierung von Alterität(en) (imperiale Nachbarschaft); das Konzept der imperialen Grenze, die durch Expansivität charakterisiert ist; die Verfasstheit pluraler imperialer Grenzräume; die Spezifik imperialer Gründungsnarrative, in denen sich die Expansivität spiegeln kann; und schließlich die Spezifik imperialer Territorialität, die anti-autochthon und damit ein Stück weit kontingent (deterritorial) zu sein scheint.
Die These, dass einmal hergestellte und über Jahrhunderte mithilfe von Narrativen, Konzepten und Konstruktionen kollektiver Identität und kollektiver Gedächtnisse praktizierte imperiale Zusammenhänge nicht einfach durch Auflösung in Nationalstaaten verschwunden sind, sondern vielmehr weiterwirken und eine wichtige Rolle bei der Findung und Modellierung neuer postnationaler und transterritorialer Zugehörigkeiten und Verbindungen spielen, eröffnet einen zweiten Fragehorizont, der sich auf das Nachwirken und die Transformationen ehemals imperialer Konzepte und Narrative im aktuellen Kontext globaler und lokal-regionaler Entwicklungen richtet.
Anschließend an zwei Treffen an der Universität Basel zum Thema »Erzählen jenseits des Nationalen« (Januar 2011) und »Erzählte Mobilität im (post)imperialen Raum« (November 2011) soll auch bei dieser Tagung der mittel- und osteuropäische Raum als Sphäre des ehemaligen Russischen Imperiums, des Habsburger Reichs und des Sowjetimperiums im Mittelpunkt stehen, wobei die Entwicklungen des 19.–21. Jahrhunderts, d.h. die Phasen der postimperialen nationalstaatlichen oder antiimperialistischen Emanzipation, der politischen Blockbildung und Teilung Europas und der Neupositionierung und -konfiguration von Gedächtnis und Zugehörigkeit nach 1989 berücksichtigt werden sollen. In den Beiträgen soll anhand von Materialien aus dem Bereich der Literatur, der Kulturwissenschaften, des politischen Diskurses, und verschiedener Medien nach den Funktions- und Wirkungsweisen und den historischen Transformationen des translatio-Konzepts und der mit ihm verbundenen Strategien der symbolischen Konstruktion des Imperialen gefragt werden.

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PROGRAMM
Mittwoch, 23.01.2013
19.00
Eröffnungsvortrag László Földényi (Budapest): Gedanken am Donau-Ufer in Budapest

Moderation: Franziska Thun-Hohenstein (ZfL)

Donnerstag, 24.01.2013
9.30–11.00
Susanne Frank (HU Berlin): Einführung

I. Konstruktionen des Imperialen
Moderation: Susanne Frank

Stefan Willer (ZfL): Imperium, Erbschaft, Grenze. Bemerkungen zur Welterbestätte Frontiers of the Roman Empire

11.30–13.00
Aleksej Miller (Moskau): Nation as the Source of Imperial legitimacy in Russia in the 19th century

Tomaš Glanc (Berlin/Prag): Figurationen der slawischen Einheit. Nation, Reich, Union

Moderation: Franziska Thun-Hohenstein
14.30–16.00
Giorgi Maisuradze (ZfL): Imitatio imperii. Die Nachahmung des Imperialen als Ausdruck des Nationalen im Sowjetimperium

Samuel Spycher (Basel): Für und wider das imperiale Erbe. Über die sowjetische Orientalistik nach der Oktoberrevolution

16.30
Matthias Schwartz (ZfL/FU Berlin): Die Zerstörung der Exotik. Anti/Imperiale Imaginationen Mittelasiens in sowjetischer Abenteuerliteratur der 1920er und 30er Jahre

Wolfgang Müller-Funk (Wien): Imperien und Inseln. Konstruktionen des Imperialen in Jules Vernes Mathias Sandorf (1885) und Mór Jókai Az arany ember (1872)

Freitag, 25.01.2013
II. Translationes zwischen Imperium und Nation
Moderation: Matthias Schwartz

9.30–11.45
Alfrun Kliems (HU Berlin): Das Imperium als Unwille und Hingebung. Palacký, Kundera, Topol

Annette Werberger (Frankfurt O.): »Ein Wald voller Talmudtraktate« – ›Polin‹ als Migrationsmythos im imperialen Kontext

Heinrich Kirschbaum (HU Berlin): Todesgenius und Finis Poloniae. Aus den Marginalien zum polnischen Bonapartismus

III. Imperiale Erbschaften
Moderation: Zaal Andronikashvili (ZfL)

12.15–13.45
Boris Previšić (Basel): Narrative Versatzstücke der ›Translatio‹ zur diskursiven Selbstlegitimierung der Erinnerung ans untergegangene Imperium bei Lernet-Holenia, Rezzori und Csokor

Kati Brunner (Czernowitz): Am Rand, dazwischen und mittendrin. Inszenierungen ukrainischer Identität zwischen Russophilie und Habsburgischer Loyalität bei Ol’ha Kobyl’ans’ka

IV. Plurale translationes
Moderation: Susanne Frank

15.15–16.45
Andrij Portnov (WIKO Berlin): Choosing between the Two Empires. The Habsburger Austria and Romanov’s Russia Mythology in Post-Soviet Ukraine

Wilfried Jilge (Leipzig): Sowjetisches Erbe und postsowjetische Nationsbildung – der Fall Ukraine

V. Postimperiale translationes (1)
Moderation: Matthias Schwartz

17.15
Kader Konuk (Michigan): »Ich bin kein Ästhet des Verfalls«. Die literarische Übersetzung des Osmanischen Imperiums bei Ahmet Hamdi Tanpinar

Tanja Hofmann (Zürich): Der ukrainische Nationaldiskurs als postimperiales (Übersetzungs-)Syndrom

Samstag, 26.01.2013
V. Postimperiale translationes (2)

10.00–11.30
Anna Hodel (Basel): Variationen auf einen pluralen imperialen Grenzraum. Reiseberichte aus Bosnien

Andrea Zink (Innsbruck): Sozialistische und andere Verwandtschaften. Miljenko Jergovićs Umgang mit dem jugoslawischen Erbe

VI. Translatio als Instrument neoimperialer Sehnsüchte
Moderation: Susanne Frank

12.00
Thomas Grob (Basel): Missglückte Translatio. Sehnsucht nach dem Imperium? (Sadulaev, Prilepin u.a.)

Franziska Thun-Hohenstein: Das Dritte Rom als russische Pathosformel. Zum Film Der Untergang des Imperiums. Eine byzantinische Lehrstunde

Hinweise zur Teilnahme:

Termin:

23.01.2013 ab 19:00 - 26.01.2013 15:00

Veranstaltungsort:

Schützenstr. 18, 3. Et., Trajekte-Tagungsraum 308
10117 Berlin
Berlin
Deutschland

Zielgruppe:

Studierende, Wissenschaftler

Relevanz:

international

Sachgebiete:

Kulturwissenschaften, Medien- und Kommunikationswissenschaften, Philosophie / Ethik, Sprache / Literatur

Arten:

Konferenz / Symposion / (Jahres-)Tagung

Eintrag:

20.12.2012

Absender:

Sabine Zimmermann

Abteilung:

Zentrum für Literatur- und Kulturforschung Berlin (ZFL)

Veranstaltung ist kostenlos:

ja

Textsprache:

Deutsch

URL dieser Veranstaltung: http://idw-online.de/de/event42051


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