In den zurückliegenden dreißig Jahren ist eine neue Erinnerungskultur entstanden. Sie stellt die Verfolgten und Opfer von Diktaturen und Massenverbrechen in den Mittelpunkt. In jüngster Zeit – vor allem aus Anlass des 80. Jahrestags des deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrags und seines geheimen Zusatzprotokolls, des Beginns des Zweiten Weltkrieges 1939 sowie in Verbindung mit dem 75. Jahrestag seines Endes 1945 – hat jedoch die Politik den Umgang mit der Vergangenheit konfliktreich aufgeladen. In Deutschland, Russland und Polen sind geschichtspolitische Tendenzen kritisch zu beobachten, die zwar vom Inhalt her grundverschieden, in ihrer Funktion jedoch sehr ähnlich sind: es geht nicht mehr um einen Dialog, sondern um eine affirmative Selbstbespiegelung.
Das politisch motivierte Sprechen über die Vergangenheit reanimiert vielfach nationale Abgrenzungsdiskurse, in denen es um feste Zuschreibungen geht, wer als Opfer und wer als Täter zu gelten hat. Diese konfrontative Ausrichtung macht eine von Empathie mit Verfolgten und Opfern geleitete Erinnerungskultur kaum möglich. Doch gleichzeitig und verbunden mit dem Verlust der letzten Zeitzeugen, entstehen neue – noch von der politischen Macht unabhängige – Formate der Kriegserinnerung. Es kommen vergessene und unbequeme, heroische und leidvolle Geschichten an das öffentliche Licht. Diese sind nicht mehr unpersönlich oder abstrakt und haben somit das Potential, die Gesellschaften gegen die Ausgrenzungsdiskurse der Gegenwart zu sensibilisieren.
Das Podium diskutiert, welche Wege zum Erhalt und zu einer Revitalisierung einer lebendigen, empathischen und lokal verwurzelten Erinnerungskultur denkbar sind – sowohl innerhalb von Gesellschaften als auch über Ländergrenzen hinweg. Warum an den Zweiten Weltkrieg erinnern: Welche Bedeutung hat die Vergangenheit für unsere Gegenwart? Wie können wir das Konfrontative, das uns die Geschichtspolitik aufzwingt, überwinden und zurückkehren zu dialogischem Erinnern und gegenseitiger Empathie? Wie lässt sich eine in den Gesellschaften Osteuropas doch sehr lebendige Erinnerung im deutschen Gedächtnis verankern, ohne eine Opferkonkurrenz entstehen zu lassen? Liegt womöglich in der tatsächlichen Verbindung der Erinnerung an den Holocaust mit dem Vernichtungskrieg gegen Polen und die Sowjetunion eine Chance, das festgefügte Gedenken wieder zugänglicher, weil fassbarer, zu gestalten?
Diese und weitere Fragen diskutieren:
Prof. Dr. Włodzimierz Borodziej, Universität Warschau
PD Dr. Andreas Hilger, Stellvertretender Direktor des Deutschen Historischen Instituts Moskau
Hera Shokohi, BA, Studierende im MA Studiengang Osteuropäische Geschichte an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
Moderation: Dr. Ekaterina Makhotina, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
GiD Lab „Erinnerungskulturen im Zeichen von geschichtspolitischem Stress: aktuelle Herausforderungen in Deutschland, Polen und Russland“
27. Januar 2021, 10-12 Uhr, online
Weitere Informationen zur Veranstaltungsreihe: gid.hypotheses.org
Hinweise zur Teilnahme:
Die Veranstaltung aus der Reihe „Geisteswissenschaft im Dialog“ (GiD) steht allen Interessierten offen.
Eine Anmeldung ist bis zum 25. Januar 2021 per E-Mail (gid(at)maxweberstiftung.de) möglich.
Termin:
27.01.2021 10:00 - 12:00
Anmeldeschluss:
25.01.2021
Veranstaltungsort:
online
Bonn
Nordrhein-Westfalen
Deutschland
Zielgruppe:
Journalisten, jedermann
E-Mail-Adresse:
Relevanz:
überregional
Sachgebiete:
Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Kulturwissenschaften, Politik
Arten:
Seminar / Workshop / Diskussion
Eintrag:
21.01.2021
Absender:
Dr. Tim Urban
Abteilung:
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Veranstaltung ist kostenlos:
ja
Textsprache:
Deutsch
URL dieser Veranstaltung: http://idw-online.de/de/event67752
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