Was ist ein Schiff? Auf diese Frage gibt es viele Antworten und vermutlich keine, die alle befriedigt, die sich mit der Geschichte der Seefahrt, mit maritimen Kulturen, mit Navigation oder mit Schiffbau beschäftigen. „Ein Schiff ist immer ein vollständiges Resümee der Welt wie sie ist“, lautet eine berühmte Antwort. „Das Schiff ist die Heterotopie schlechthin“, eine andere ebenso berühmte. Die Frage nach dem Schiff als Resümee der Welt und Heterotopie der Welt scheint nur mittels einer Anthropologie der Seefahrt zu beantworten sein. Der Mensch ist ein Landtier, aber die Vergleiche, mit denen er seine Existenz bildsprachlich bewältigt, entnimmt er, wie Blumenberg betonte, dem Seinsbereich, in dem er gerade nicht heimisch ist: dem Meer und der Kulturtechnik der Seefahrt.
Aber aus Sicht der Kulturtechnikforschung ist nicht was der Mensch mit dem Schiff tut, von Belang, sondern was die Seefahrt mit dem und aus dem Menschen macht. Denn, so lautet eine Grundregel der Kulturtechnikforschung, es gibt nicht den Menschen, sondern nur Kulturtechniken der Hominisierung. Dieser Regel folgend, unternimmt der Vortrag den Versuch, das Schiff als Kulturtechnik der Hominisierung oder als Anthropotechnik zu konzeptualisieren. Dazu werden zum einen einige der einschlägigen kulturgeschichtlichen Topoi von Homer bis Herman Melville besucht; zum anderen aber rücken die aktuellen Programme der sogenannten „Blue Humanities“ in den Blick, insbesondere die Kritik am „Othering“ des Meeres und die Forderung nach einer „Historisierung“ und einer Semiotisierung des Meeres. Aber sind nicht sowohl das „Othering“ als auch die Historisierung des Meeres bedingt durch die infrastrukturellen Operationalisierungen des Meeres und der Grenze zwischen Land und Meer? Das Schiff als Anthropotechnik ist auch der Generator einer unendlichen Bedeutungsproduktion. Aber wenn man voraussetzt, dass Meere a priori Bedeutungsträger bzw. Text sind („seas are significant“), wird es unmöglich, das technisch operationalisierte Meer als Medium von Bedeutung zu denken, also als das, was als Bedingung und Grenze der Repräsentation jeder Bedeutung vorausgeht. Post omnia oceanus.
Referent: Bernhard Siegert ist Gerd Bucerius Professor für Geschichte und Theorie der Kulturtechniken an der Fakultät Medien der Bauhaus-Universität Weimar. Von 2008 bis 2020 war er Direktor des Internationalen Kollegs für Kulturtechnikforschung und Medienphilosophie, das er gemeinsam mit Lorenz Engell gegründet hat. Seit April 2021 leitet er das Projekt "THE NEW REAL. Past, Present and Future of Computation and the Ecologization of Cultural Techniques,", das durch ein Forschungsstipendium der NOMIS-Stiftung gefördert wird.
Ein Vortrag im Rahmen der DSM International Lecture Series on Ocean Humanities
Zoom-Link für Online-Teilnahme:
https://us06web.zoom.us/j/83665863280?pwd=L0t5bzlNeVNiSWdzQlFtSzd0a21kdz09
Hinweise zur Teilnahme:
Teilnahme ist sowohl vor Ort als auch per Zoom möglich.
Termin:
14.11.2023 13:00 - 14:30
Veranstaltungsort:
Deutsches Schifffahrtsmuseum
Forschungsdepot
Eichstr. 13
27572 Bremerhaven
Bremen
Deutschland
Zielgruppe:
Studierende, Wissenschaftler
E-Mail-Adresse:
Relevanz:
international
Sachgebiete:
Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Meer / Klima
Arten:
Vortrag / Kolloquium / Vorlesung
Eintrag:
07.09.2023
Absender:
Thomas Joppig
Abteilung:
Kommunikation
Veranstaltung ist kostenlos:
ja
Textsprache:
Deutsch
URL dieser Veranstaltung: http://idw-online.de/de/event75087
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