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20.08.1996 00:00

Mit einer Dame nach Israel pilgern

Dr. Josef König Dezernat Hochschulkommunikation
Ruhr-Universität Bochum

    Bochum, 20.08.1996 Nr. 148

    Pilgerreise einer vornehmen Dame

    Egerias-Israelbericht erstmals in deutscher Sprache

    Bochumer Theologen fuehren Edition christlicher Quellentexte fort

    Wer heute die heiligen Staetten der Bibel bereist, nutzt zumeist das vielfaeltige Angebot der Touristikunternehmen und trifft vor Ort auf zahlreiche Devotionalienhaendler. Reisebegleiter im spaeten 4. Jahrhundert waren dagegen Moenche, Kleriker und sogar Bischoefe, die sich wohlhabenden Pilgern andienten, und der Reisefuehrer war selbstverstaendlich damals noch die Bibel. Mit den Augen einer Pilgerin kann nun auch der heute Reisende diese Staetten sehen lernen. Den ersten Pilgerbericht (Itinerarium) von einer Frau, einer gewissen Egeria, ist jetzt als 20. Band der Quellenedition ,Fontes Christiani" erschienen. Der Bochumer Theologe Georg Roewekamp hat den lateinischen Originaltext uebersetzt und in einer Einleitung alles notwendige zum Verstaendnis und zur Einordnung dieser 1600 Jahre alten Schrift erklaert. ,Fontes Christiani" wird von Prof. Dr. Wilhelm Geerlings (Alte Kirchengeschichte, Patrologie und Christliche Archaeologie, Katholisch-Theologische Fakultaet der RUB) u.a. herausgegeben.

    1884 wiederentdeckt

    Itinerarien waren in roemischer Zeit eigentlich blosse Wegbeschreibungen. Spaeter wurde diese Textform vor allem fuer Pilgerreisen verwendet und wandelte sich deshalb immer mehr zu regelrechten Reiseberichten. Der 1884 in Italien wiederentdeckte Bericht einer Pilgerin namens Egeria enthaelt neben den Angaben ueber die Reiseroute ausfuehrliche Erzaehlungen in Briefform, so dass von einer Art ,Reisetagebuch" gesprochen werden kann.

    Wie eine vornehme Dame aus Nordspanien ins gelobte Land kommt ...

    Zwar fehlt die Sicherheit bei der Interpretation von solchen Texten, ebenso eine genaue Vorstellung ueber das Leben im ausgehenden 4. Jahrhundert, dennoch kann man davon ausgehen, dass Egeria etwa um 381-384 ins gelobte Land gereist ist. Sicher ist dagegen, dass Egeria keine einfache Frau gewesen ist. Eine Reise, wie sie sie beschreibt, setzte neben erheblichen finanziellen Mitteln auch Beziehungen, Foerderer und nicht zuletzt gewisse Landes- und Sprachkenntnisse voraus. Wahrscheinlich stammte Egeria aus Nordspanien oder aus dem damaligen Suedgallien. In der einzigen direkten Bemerkung ueber sich selbst sagt sie: ,Ich bin naemlich ziemlich neugierig". Zum Glueck, denn dieser Neugier ist ihr Reisebericht zu verdanken. Adressaten ihrer Reisebriefe sind die ,Damen Schwestern", weshalb fruehere Forschergenerationen glaubten, es handelte sich bei ihr um eine Nonne und Jungfrau. Vermoegensverhaeltnisse und Freizuegigkeit der Pilgerin lassen aber eher den Schluss zu, dass Egeria Mitglied eines Kreises von religioesen Frauen der Oberschicht war, wie sie sich im 4. Jahrhundert haeufiger im Roemischen Reich fanden.

    ... und sich dort Reisegruppen anschliesst

    Von ihrer angenommenen Heimat Galicien reiste die Pilgerin - wohl auf dem Landweg - nach Konstantinopel. Von dort folgte sie nach UEberquerung des Taurusgebirges der Kuestenstrasse bis nach Caesarea. Jerusalem erreichte Egeria wahrscheinlich ueber Samaria. Von dort unternahm sie Reisen nach AEgypten, den Nil hinauf bis nach Heliopolis, nach Galilaea, Nazaret und Jericho, in den Sinai, Mesapotamien und ins Jordanland. Zwischen diesen Reisen verbrachte sie laengere Zeit in Jerusalem, um die christlichen Feste mitzuerleben. Solch eine Reise unternimmt natuerlich niemand allein - Egeria wird den Anschluss an Reisegruppen gesucht haben. Mit einem amtlichen Diplom versehen, koennte sie die kaiserliche Post benutzt haben. Auf jeden Fall waren ihre Reisen nur aufgrund des roemischen Strassensystems moeglich.

    Achtung: Nicht ins Kreuz beissen!

    Etwas skurril fuer heutige Leser muten einige Beschreibungen der damaligen Liturgie, die etwa die Haelfte des gesamten Berichtes ausmachen. So schreibt Egeria, dass waehrend der Karfreitag-Messe Diakone das Kreuz bewachen mussten, damit nicht wieder ein Gemeindemitglied hineinbeisst, um ein Stueck fuer sich zu haben. Solche Beschreibungen machen die Zeit und ihre Reise sehr anschaulich.

    Kenntnis der Heiligen Schrift unumgaenglich

    Egerias Sprachstil gibt fuer den geuebten Leser Hinweise auf die weitere Entwicklung der Lateinischen Sprache. Zahlreiche Eigenheiten finden sich spaeter in den verschiedenen romanischen Sprachen wieder. Ihre Bildung bezieht sich in erster Linie auf die Kenntnis der Heiligen Schrift. Die Bibel war auf ihrer Reise so etwas wie ein persoenlicher Reisefuehrer, nach dem sie ihre Route festlegte.

    Weitere Quellen ueber die heiligen Staetten veroeffentlicht

    Die fehlenden Teile des Itinerariums der Egeria konnte der Bochumer Wissenschaftler zum Teil durch den Vergleich mit einem Text aus dem 12. Jahrhundert ergaenzen. De locis sanctis (Die Heiligen Staetten) von Petrus Diaconus (ca. 1100 - ca. 1153), Bibliothekar und Archivar eines Benediktinerklosters, ist aus drei verschiedenen Quellen zusammengestellt, von denen einer Egerias Pilgerbericht ist. Wie diese beiden Texte zusammenhaengen erklaert Georg Roewekamp in der Einleitung zu dieser zweiten Quelle. Sehr behutsam tastet er sich an die Person der Pilgerin heran, macht sie lebendig vor dem geistigen Auge, bis man Lust bekommt, ihrer Reiseroute ins Heilige Land zu folgen. Interessierte koennen ausserdem die UEbersetzungen Seite fuer Seite mit den Originaltexten in lateinischer Sprache vergleichen. Im Anhang dieses Bandes finden sich neben der Bibliographie und einem Abkuerzungsverzeichnis, Karten und Plaene der Reiseroute Egerias sowie ein Sach- und Namensregister.

    Titelaufnahme

    Egeria, Itinerarium (Reisebericht). Mit Auszuegen aus Petrus Diaconus, De Locis Sanctis (Die Heiligen Staetten). UEbersetzt und eingeleitet von Georg Roewekamp, unter Mitarbeit von Dietmar Thoennes, Herder Verlag, Freiburg i.B. u.a. 1995. ISBN: kartoniert - 3-451-22143-8; gebunden -3-451-22243-4.

    Weitere Informationen

    Georg Roewekamp, Ruhr-Universitaet Bochum, Fakultaet fuer Katholische Theologie, Lehrstuhl fuer Alte Kirchengeschichte, Patrologie, Christliche Archaeologie, Prof. Dr. Wilhelm Geerlings, 44780 Bochum, Tel.: (0234) -700-4703. .


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geschichte / Archäologie, Gesellschaft
    überregional
    Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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