Frieden schließen und Frieden wahren sind zentrale Felder frühneuzeitlicher Geschichte, war diese Epoche doch eine bellizistische, eine kriegsgeneigte. Ein BMBF-gefördertes initiiertes Verbundprojekt fragt epochenübergreifend nach den "Übersetzungsleistungen" neuzeitlicher Friedensschlüsse. Die beteiligten Forscher gehen interdisziplinär vor und integrieren Fragestellungen der Politik und Kunstgeschichte sowie der Politik- und Rechtswissenschaft.
Kinder spielen Krieg - doch wie läßt sich eigentlich Frieden spielen? Konfliktforscher lehren, Frieden sei kein passiver Zustand einfachen Unterlassens, sondern ein aktiver Prozeß. Noch höher rangiert indes die Kunst, Frieden überhaupt zu schließen. Was liegt näher, als sich dieser Kunst in einem Zeitalter zu widmen, das im Rufe steht, "bellizistisch", kriegerisch zu sein? Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat im Rahmen des Förderschwerpunkts "Übersetzungsfunktion der Geisteswissenschaften" ein Verbundprojekt bewilligt, das sich den "Übersetzungsleistungen" widmet, wie sie in Friedensprozessen der europäischen Neuzeit virulent werden.
Neben zwei Arbeitsgruppen, die am Institut für Europäische Kulturgeschichte Augsburg und an der Staatgalerie Stuttgart angesiedelt sind, liegen zwei Forschungsschwerpunkte am Institut für Europäische Geschichte in Mainz, die dort in den kommenden drei Jahren unter der Leitung von Heinz Duchhardt und Martin Peters bearbeitet werden. Der eine Schwerpunkt untersucht Begründungsmetaphern in den Friedensverträgen, die in der Zeit zwischen Westfälischem Frieden und Französischer Revolution sowie darüber hinaus dem Wiener Kongreß geschlossen wurden. Eines der drei Einzelprojekte wird sich mit Problemen des Kulturtransfers in den Beziehungen zum Osmanischen Reich befassen. Zentral ist hierbei das Fehlen eines Konzepts von Staatlichkeit, das dem westlichen Kulturkreis entspräche. Allerdings sind funktionale Äquivalente regulierter Herrschaftsinstitutionalisierung auch im Osmanischen Reich anzutreffen. Im Verkehr mit dem morgenländischen Kulturkreis sind auch auf der Ebene internationaler Beziehungen noch nicht jene begriffliche Verdichtung und Eindeutigkeit vorhanden, die innerhalb Alteuropas bestenfalls nur für den diplomatischen Verkehr auszumachen ist. Das zweite Einzelprojekt geht unter dem Titel "Von der natürlichen Herrscherperson zur Eigenpersönlichkeit des Staates" der Frage nach, inwiefern im internationalen Verkehr staatliche Souveränität zur Begründungsmetapher außenpolitischen Entscheidens wurde. Sofern der der Staat als abstrakte Größe den Herrscher ablöste, läßt sich dies in den Argumentations- und Legitimationsmustern von Verträgen nachweisen? Inwieweit kam es dabei zu einer Entpersonalisierung und weiteren Rationalisierung von Politik? Für das kommende Jahr ist hierzu ein interdisziplinärer Workshop geplant. Ab Herbst soll ein drittes Projekt der Frage nachgehen, ob eine begriffsgeschichtliche Konstanz bei Metaphern, wie sie in Friedensverträgen anzutreffen sind, auch auf eine Bedeutungskonstanz des sachlich Bezeichneten hindeutet. Möglicherweise handelt es sich vielmehr um Metaphern, die verschieden gedeutet werden können und somit inhaltliche Verschiebungen bei gleicher Wortwahl zu lassen.
Im zweiten Mainzer Forschungsschwerpunkt sollen Mißverständnisse auf ihre Ursachen und Folgen hin untersucht werden. Das Problem der Mißverständnisse und des Unwissens im internationalen und interkulturellen Zusammenhang wird in den USA schon seit längerem untersucht. Insbesondere das in Stanford von Robert Proctor und Londa Schiebinger entwickelte Konzept der "Agnotology" soll für das Mainzer Projekt fruchtbar gemacht werden: Inwieweit wird in den Friedensverhandlungen und -verträgen der Neuzeit (bewußt) Ignoranz und Unwissen produziert, um spezifische Interessen besser legitimieren und durchsetzen zu können?
Ermöglicht wird die zielgerichtete analytische Arbeit nicht zuletzt durch das 2005 bis 2010 von der DFG am IEG geförderte Projekt "Europäische Friedensverträge der Vormoderne online", in dessen Verlauf das Quellenmaterial aufbereitet und online publiziert worden ist.
Am Institut für Europäische Kulturgeschichte der Universität Augsburg werden unter Leitung von Johannes Burkhardt die Voraussetzungen der Sprachverwendung und des Einsatzes von Sprachen in den Friedensverträgen untersucht. Hierbei liegt Burkhardt Ausgangsthese zugrunde, daß bestimmte Sprachen als Instrumente zur Durchsetzung politischer Interessen und der nationalen Repräsentation eingesetzt wurden. Vor allem soll die Frage geklärt werden, wann und warum Latein, und wann und warum Französisch benutzt wurde. Doch auch das Deutsche diente aus bestimmten Gründen in bestimmten Regionen Europas als Verkehrs- und Friedenssprache.
Daneben wird auch die Rezeption von Friedensverhandlungen und Verträgen erforscht: Ein weiterer Augsburger Forschungsschwerpunkt, den Wolfgang E. J. Weber betreut, widmet sich den "Übersetzungen von Friedensverträgen in Geschichtswerken, Editionen und Zeitungen". Denn die Vertragstexte wurden europaweit kopiert, vervielfältigt, übersetzt und versendet und waren so ein fester Bestandteil der damaligen Medienlandschaft. Dies führt wiederum zu der Frage, welches Maß und welche Formen von Anschaulichkeit eine zugleich grundlegende und befreiende Erfahrung wie diejenige von Frieden erfuhr: "Übersetzungsleistungen von Frieden und Friedensverträgen in der Kunst" und die darin enthaltenen Botschaften sollen daher an der Staatsgalerie Stuttgart unter Leitung von Hans-Martin Kaulbach untersucht werden. Bei den beiden rezeptionshistorischen Forschungsschwerpunkten interessiert nicht zuletzt auch, welchen Weg ein Text oder Bild, eine Metapher oder ein Motiv zurücklegten.
Einen Höhepunkt soll das Unternehmen in einer internationalen wissenschaftlichen Tagung gegen Ende der Laufzeit finden.
Kontakt: Dr. Martin Peters
Koordinator des BMBF-geförderten Verbundprojektes
"Übersetzungsleistungen von Diplomatie und Medien"
Institut für Europäische Geschichte
Alte Universitätsstr. 19
55116 Mainz
peters@ieg-mainz.de
Partnerinstitutionen:
Institut für Europäische Kulturgeschichte der Universität Augsburg
www.uni-augsburg.de/institute/iek/html/iek_projekte_Übersetzungsleistungen.html
Partnerinstitutionen:
Staatsgalerie Stuttgart
www.staatsgalerie.de
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Geschichte / Archäologie, Kulturwissenschaften, Politik, Recht, Sprache / Literatur
überregional
Forschungsprojekte
Deutsch
Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.
Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).
Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.
Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).
Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).