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19.03.2010 14:40

Wenn Schmerzmedikamente Schmerz verursachen

Barbara Ritzert ProScience Communications - die Agentur für Wissenschaftskommunikation GmbH
Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie e.V.

    Es klingt paradox: Starke Schmerzmittel, sogenannte Opioide, können die Empfindlichkeit auf Schmerzreize steigern und damit ihrerseits Schmerzen intensivieren. Ein Forscherteam von der Medizinischen Universität Wien konnte nun einen Mechanismus aufklären, der für diese sogenannte Hyperalgesie verantwortlich ist. Für diese Arbeit werden Dr. Ruth Drdla, Matthias Gassner und Prof. Dr. med. Jürgen Sandkühler am 19. März 2010 auf dem Deutschen Schmerz- und Palliativtag in Frankfurt/Main mit dem Ehrenpreis des Deutschen Schmerzpreises 2010 ausgezeichnet.

    Bei manchen Patienten nimmt die schmerzlindernde Wirkung starker Schmerzmittel (Opioide) im Laufe der Behandlung ab. Früher hatten Experten dafür zwei Erklärungen: Einerseits könnte ein Fortschreiten der Erkrankung die Schmerzen verstärken. Andererseits kam die sogenannte Toleranzentwicklung in Frage. Dahinter verbergen sich Mechanismen, welche die Sensibilität von Körperzellen für die Wirkung einer Substanz reduzieren. Darum erhöhen die Ärzte in solchen Fällen die Medikamentendosis oder wechseln zu einem anderen Wirkstoff (Opioidrotation).

    Doch seit einiger Zeit ist klar, dass es noch andere Ursachen gibt, wenn die Wirkung starker Schmerzmittel scheinbar nachlässt: Opioide können selbst Schmerz verstärken, in dem sie die Empfindlichkeit auf Schmerzreize erhöhen - ein "Hyperalgesie" genanntes Phänomen.

    Ein Forscherteam um Dr. Ruth Drdla und Professor Jürgen Sandkühler vom Zentrum für Hirnfoschung der Medizinischen Universität Wien konnte unlängst einen von wahrscheinlich mehreren Mechanismen aufklären, welche eine Opioid-induzierte Hyperalgesie (OIH) verursachen können. Für diese grundlegend neuen Erkenntnisse über die durch Opioide vermittelte Schmerzüberempfindlichkeit werden Dr. Ruth Drdla, Matthias Gassner und Prof. Dr. med. Jürgen Sandkühler auf dem Deutschen Schmerz- und Palliativtag in Frankfurt/Main mit dem Ehrenpreis des Deutschen Schmerzpreises 2010 ausgezeichnet.

    Wie die Forscher auf dem Deutschen Schmerz- und Palliativtag in Frankfurt berichten, führt ein abruptes Absetzen von Opioiden zu einer "Langzeit-Potenzierung" der synaptischen Erregung in Schmerzbahnen des Rückenmarks. Bei diesem kurz LTP (engl. Long-Term Potentiation, LTP) genannten Vorgang wird die Erregungsübertragung an den Synapsen genannten Kontaktstellen zwischen Nervenzellen für lange Zeit gesteigert. Die LTP spielt so beim Lernen und bei der Gedächtnisbildung eine wichtige Rolle. Auch wenn Schmerzen chronisch werden und das sogenannte "Schmerzgedächtnis" entsteht, ist die LTP beteiligt: Sie kann durch wiederkehrende starke Schmerzreize ausgelöst werden. Demnach können auch Opioide eine Art Schmerzgedächtnis erzeugen, wenn sie abrupt abgesetzt werden. Dies geschieht, indem sie den Einstrom von Kalzium-Ionen über NMDA-Rezeptorkanäle in die Nervenzellen des Rückenmarks erhöhen. Durch eine Blockade dieser Kalziumkanäle vom Typ der NMDA-Rezeptoren konnten die Forscher auch die LTP im Rückenmark verhindern. Die Untersuchungen des Teams lieferten noch eine weitere Erkenntnis: Wird das Opioid langsam und kontrolliert abgesetzt, verhindert dies die LTP ebenfalls.

    Möglicherweise verursachen auch starke Schwankungen des Opioidspiegels, also ein unabsichtlicher abrupter Entzug, eine Hyperalgesie. Darum ist der Einsatz von retardierten Darreichungsformen, die den Wirkstoff gleichmäßig über einen längeren Zeitraum abgeben, besonders wichtig. Ebenso aber auch die genaue Überprüfung, wie lange und wie intensiv ein Opioid bei einem individuellen Patienten wirkt.

    "Doch wahrscheinlich gibt es noch andere Prozesse, die bei einer Opioid-Behandlung eine Hyperalgesie verursachen können", sagt Prof. Dr. Wolfgang Koppert von der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin der Medizinischen Hochschule Hannover. Diese bilden sich in unterschiedlichem Ausmaß im Verlauf einer Opioid-Therapie aus, abhängig beispielsweise von der individuellen genetischen Ausstattung eines Menschen. Ebenso scheint es Unterschiede zwischen den verschiedenen Opioiden zu geben, die - abhängig von "ihrem" Rezeptor, an den sie andocken - eine Hyperalgesie in unterschiedlichem Ausmaß erzeugen.

    Untersuchungen der Arbeitsgruppe von Wolfgang Koppert zeigen darüber hinaus, dass auch entzündungshemmende Schmerzmittel, sogenannte Cox-2-Hemmer und andere Cyclooxigenase-Hemmstoffe wie Acetylsalicylsäure oder auch Paracetamol, eine Hyperalgesie reduzieren können. Denn anders als lange Zeit angenommen, entfalten diese Medikamente ihre Wirkung nicht nur in der Peripherie des Nervensystems, sondern auch im Rückenmark und im Gehirn. In Zusammenarbeit mit Forschern von der Universität Erlangen konnte Koppert zeigen, dass sich mit Hilfe der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT) im Gehirn von Probanden nachweisen lässt, dass die Entzündungshemmer auch dort die Schmerzverarbeitung beeinflussen. "Darum kann es sinnvoll sein, eine Opiatbehandlung mit entzündungshemmenden Schmerzmitteln zu kombinieren, wenn es Hinweise gibt, dass Patienten eine Hyperalgesie entwickeln", erklärt Koppert.

    Pressestelle: Barbara Ritzert · ProScience Communications GmbH
    Während der Tagung: Raum "Klausur" · Ebene C1 · Congress Center Messe · Ludwig-Erhard-Anlage 1 ·
    60327 Frankfurt/Main · Tel: 069 7575-73101 · Fax: 069 7575-73443 · ritzert@proscience-com.de

    Nach der Tagung: Andechser Weg 17 · 82343 Pöcking ·
    Tel: 08157 9397-0 · Fax: 08157 9397-97 · ritzert@proscience-com.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Tagungen
    Deutsch


     

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