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25.06.2010 13:38

Ethikrat bietet öffentliches Diskussionsforum für Intersex-Problematik

Ulrike Florian Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Deutscher Ethikrat

    Mit dem Ziel, die gesellschaftliche Debatte zum Thema Intersexualität
    zu enttabuisieren, vorherrschende, gesellschaftlich festgelegte
    Geschlechtsnormen zu hinterfragen und die Diskussion über die
    gesellschaftliche Akzeptanz intersexueller Menschen anzustoßen, hat
    der Deutsche Ethikrat am vergangenen Mittwoch sein "Forum Bioethik"
    dem Thema "Intersexualität - Leben zwischen den Geschlechtern"
    gewidmet.

    Mit dem Begriff Intersexualität oder Zwischengeschlechtlichkeit
    werden viele unterschiedliche Phänomene nicht eindeutiger
    Geschlechtszugehörigkeit mit jeweils verschiedenen - z. B.
    chromosomalen oder zellulären - Ursachen beschrieben.

    Die Wissenschaft betrachtet die Intersexualität meist als eine
    Störung der Geschlechtsentwicklung, die Betroffenen selbst sehen sich
    als eine Variante der möglichen Geschlechter. Der Umgang mit der
    Intersexualität berührt eine Reihe medizin-, rechts- und
    sozialethischer Fragen, insbesondere das Recht auf körperliche
    Unversehrtheit. Ratsmitglied Michael Wunder diskutierte gemeinsam mit
    Lucie Veith und Claudia Kreuzer vom Verein Intersexuelle Menschen e.
    V., der Psychoanalytikerin Hertha Richter-Appelt vom
    Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf, der Rechtswissenschaftlerin
    Konstanze Plett von der Universität Bremen und der Medizinethikerin
    Claudia Wiesemann von der Universität Göttingen.

    Hertha Richter-Appelt stellte in einem einführenden Referat
    verschiedene Varianten von Intersexualität vor. Sie konstatierte,
    dass mit der zunehmenden Kritik an den früheren Behandlungsmaßstäben
    bei der medizinischen Versorgung Intersexueller inzwischen auch die
    ethische Diskussion über Geschlechtszuweisung und medizinische
    Intervention bei Intersexualität konkreter und lebendiger geworden
    sei. Mit Blick auf den künftigen Umgang mit Intersexualität mahnte
    sie an, die betroffenen Personen mit einzubeziehen, statt sie "über
    ihren Kopf hinweg einem Geschlecht zuzuordnen und dann auch noch zu
    verlangen, dass sie in einer bestimmten Rolle und sich selbst als
    Mann oder Frau erlebend, durchs Leben gehen."

    Konstanze Plett zufolge lasse sich sowohl aus dem Grundgesetz der
    Bundesrepublik Deutschland als auch aus der Menschenrechtskonvention
    des Europarates und dem Kinderrechteübereinkommen der Vereinten
    Nationen ableiten, "dass intersexuell geborene Menschen auch ein
    Recht auf ihre je eigene sexuelle Identität haben". Konstanze Plett
    sprach sich dafür aus, geschlechtszuweisende Eingriffe einer
    richterlichen Genehmigung zu unterwerfen und die Verzahnung von
    Zivil- und Strafrecht sowie die interdisziplinäre Zusammenarbeit zu
    forcieren.

    Lucie Veith und Claudia Kreuzer benannten die Probleme, mit denen
    sich intersexuelle Menschen konfrontiert sehen, und forderten im
    Namen des Vereins Intersexuelle Menschen e. V., ein Verbot von nicht
    lebens- oder gesundheitsnotwendigen Eingriffen ohne die informierte
    Einwilligung der Betroffenen Menschen zu erlassen, verbindliche
    Behandlungsstandards zu schaffen, das Thema Intersexualität in die
    Lehrpläne der Schul- und Berufsausbildung aufzunehmen, geschädigte
    Betroffene zu entschädigen und zu rehabilitieren und den Begriff
    "Intersexualität" in geltendes Recht einzuarbeiten.

    Claudia Wiesemann stellte die von der Arbeitsgruppe Ethik im Netzwerk
    Intersexualität erarbeiteten ethischen Grundsätze und Empfehlungen
    vor. Oberste Priorität hätten das Wohl des Kindes und zukünftigen
    Erwachsenen, das Recht von Kindern und Jugendlichen auf Beteiligung
    bzw. Selbstbestimmung bei Entscheidungen sowie die Achtung der
    Eltern-Kind-Beziehung.

    Im Mittelpunkt der anschließenden Diskussion stand zunächst die
    Frage, wie sich das Mitbestimmungsrecht minderjähriger Kinder konkret
    umsetzen lässt und wie man mit dem Dilemma umgeht, dass mangels
    Vergleichbarkeit weder die Behandlung noch die Unterlassung einer
    Behandlung und die jeweiligen Folgen für die Betroffenen in einer
    wissenschaftlichen Standards genügenden Form untersucht werden
    könnten.

    Die folgende, für das Publikum geöffnete Diskussionsrunde entzündete
    sich vor allem an der Frage, weshalb insbesondere Mediziner den
    derzeitigen Diskurs bestimmen, obwohl das Problem von
    gesellschaftlicher Tragweite ist. Mehrere Teilnehmer forderten, nicht
    den Menschen der Gesellschaft anzugleichen, sondern umgekehrt die
    Gesellschaft zu ändern. Die Betroffenen sahen insbesondere die
    Politik in der Pflicht, die Diskriminierung intersexueller Menschen
    zur Kenntnis zu nehmen und umgehend etwas dagegen zu unternehmen.
    Insbesondere die derzeitige Praxis der geschlechtszuweisenden
    Eingriffe wird als eine Verletzung ihres Rechts auf Schutz des
    (intersexuellen) Geschlechts und der Menschenwürde angesehen, die
    durch die Politik unter Einbeziehung der Betroffenen dringend neu
    geregelt werden sollte.

    Der Deutsche Ethikrat diskutierte in seiner Plenarsitzung am 24. Juni
    über die Veranstaltung und den weiteren Umgang mit der Thematik. Mit
    der Veranstaltung hat man den Betroffenen ein großes öffentliches
    Forum geboten und einen wichtigen Impuls für die weitere Debatte in
    der Politik und der Öffentlichkeit gegeben. Damit kommt der Ethikrat
    seinem Auftrag nach, die Öffentlichkeit über kontroverse Themen zu
    informieren und die Diskussion darüber in der Gesellschaft zu
    fördern. Der Ethikrat wird das Thema weiter beobachten und im Rahmen
    der Diskussion über das künftige Arbeitsprogramm darüber entscheiden,
    ob und in welchem Umfang das Thema weiter bearbeitet werden soll.

    Weitere Informationen sowie Audiomitschnitt, Fotos und in Kürze auch
    die Simultanmitschrift sind unter
    http://www.ethikrat.org/veranstaltungen/forum-bioethik/intersexualita
    et-leben-zwischen-den-geschlechtern abrufbar.


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin, Philosophie / Ethik, Psychologie, Recht
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft
    Deutsch


     

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