Der Sound (in) der Zeitgeschichte
Zeitgeschichte kann man hören: Wichtige historische Ereignisse und Entwicklungen sind häufig mit Stimmen, Geräuschen, Klängen oder Musik verbunden. Goebbels’ Frage „Wollt ihr den totalen Krieg?“, Kennedys Satz „Ich bin ein Berliner“ oder das Lied „Wind of Change“ der Scorpions sind nur drei bekannte Beispiele. Auch weniger spektakuläre Klänge können für die Geschichtswissenschaft aufschlussreiche Dokumente sein – etwa die Geräusche einer Stadt oder der Lärm einer Fabrik. Das aktuelle Heft der Zeitschrift „Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History“ (2/2011) widmet sich dem Thema „Politik und Kultur des Klangs im 20. Jahrhundert“.
Neuerdings interessiert sich die Geschichtswissenschaft verstärkt für den „Sound“ in allen seinen Formen. Während die Erforschung von Bildquellen mit ihren Entstehungs-, Verwendungs- und Wirkungszusammenhängen inzwischen weitgehend etabliert ist, gibt es für die Interpretation von Tondokumenten in der Geschichtswissenschaft bisher noch kaum praktische Erfahrungen und methodische Standards. In populären Formaten der Geschichtskultur hingegen – in Filmen, Radiosendungen, Computerspielen etc. – werden Klänge gezielt eingesetzt, um Atmosphären und Emotionen zu erzeugen oder zu vermitteln. Die Beiträge des Themenhefts verdeutlichen nun mit Fallstudien zur Zeitgeschichte, dass Klänge bei weitem nicht nur Hintergrundgeräusche darstellen. Die Autorinnen und Autoren spüren den politischen und kulturellen Kontexten und Effekten nach, die in verschiedenen Phasen des 20. Jahrhunderts mit bestimmten Sounds verbunden waren.
Yaron Jean befasst sich vor allem für die Zeit des Ersten Weltkriegs mit der Lautstärke von Waffen. Während zuvor lange gegolten hatte, dass besonders bedrohliche Waffen auch besonders laut waren, markierten der Einsatz von Schalldämpfern für Schusswaffen und der Gaskrieg wichtige Zäsuren. Einem friedlicheren Thema geht Lars Amenda nach: Er beschreibt, wie die Geräuschkulisse des Hafens in der Stadt Hamburg über Jahrzehnte als Anker für Lokalpatriotismus und maritime Identität diente – und zwar selbst dann noch, als die ökonomische Bedeutung des Hafens rückläufig war. Christian Schmidt-Rost zeigt in seinem Aufsatz zum Swing und Jazz in der DDR und der Volksrepublik Polen, wie unterschiedlich die beiden Staaten mit dieser zunächst als „imperialistisch“ abgelehnten Musik umgingen. Dabei richtet er ein spezielles Augenmerk darauf, wie Hörerinnen und Hörer über Radio, Schallplatten und Live-Konzerte Zugang zum Jazz erhielten. Um das Musikhören als soziales Ereignis sowie als politisches Streitthema geht es auch bei Detlef Siegfried, der die mobilisierende Kraft der elektroakustisch verstärkten Musik für die Aufbruchstimmung um 1968 herausarbeitet. Die heute etwas skurril anmutende Frage, ob eine bestimmte Musik als ‚Lärm’ oder als ‚Kultur’ einzustufen sei, beschäftigte damals mehrfach die Gerichte; aus historischer Perspektive kann dies als symptomatisch gelten für die allmähliche Erweiterung des bildungsbürgerlichen Kulturbegriffs.
In der Rubrik „Debatte“ führen der Soziologe Dominik Schrage, der Medienwissenschaftler Daniel Gethmann und die Musikwissenschaftlerin Annegret Fauser jeweils fachspezifische Herangehensweisen für eine Klanggeschichte des 20. Jahrhunderts vor, weisen aber auch auf fruchtbare interdisziplinäre Zugänge hin. Wie reizvoll solche Ansätze sein können, zeigen mehrere Beiträge in der Rubrik „Quellen“ – über Theodor W. Adorno als Rundfunkredner, über Schallplatten als zeitgeschichtliche Dokumente sowie über die Archivierung und Interpretation früherer Klänge aus der Lebens- und Arbeitswelt des Ruhrgebiets. Nicht zuletzt findet sich in der Rubrik „Neu gehört“ eine Besprechung des aufsehenerregenden Radio-Hörspiels „War of the Worlds“ von Orson Welles aus dem Jahr 1938. Damit die Leserinnen und Leser dieser und weiterer Beiträge den Sound der Zeitgeschichte selbst hören können, bietet die Website der Zeitschrift neben Texten und Bildern an vielen Stellen auch Tondokumente.
„Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History“ wird am Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (http://www.zzf-pdm.de) herausgegeben von Konrad H. Jarausch, Christoph Kleßmann und Martin Sabrow in Verbindung mit Zeitgeschichte-online (http://www.zeitgeschichte-online.de). Die Zeitschrift erscheint gedruckt im Verlag Vandenhoeck & Ruprecht (http://www.v-r.de) und zugleich im Open Access (http://www.zeithistorische-forschungen.de).
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Cover "Zeithistorische Forschungen" 2/2011: "Politik und Kultur des Klangs im 20. Jahrhundert"
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Studierende, Wissenschaftler
Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Kulturwissenschaften, Politik
überregional
Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
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