Das Institut für Hochschulforschung an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg hat die Auswirkungen der Föderalismusreform auf Hochschulen und Hochschulpolitik der Länder analysiert: Die Nutzung der neuen Spielräume durch die Länder bleibt gering, und grundsätzlich neues hat die Reform bislang nicht bewirkt.
Zwischen den Hochschulsystemen der deutschen Bundesländer bestehen traditionell deutliche Unterschiede hinsichtlich des Finanzierungsinputs und des Forschungsoutputs. Die Föderalismusreform 2006 hatte den Anspruch erhoben, wettbewerbsföderalistische Aspekte im Hochschulwesen zu stärken – und damit sowohl den herkömmlichen kooperativen Föderalismus als auch die aktive Beteiligung des Bundes an der Hochschulentwicklung in den Hintergrund treten zu lassen. In dem nun erschienene Band werden die Länderdifferenzen vor allem in solchen Bereichen untersucht, in denen die Gestaltungschancen der Länder mit der Föderalismusreform gestärkt wurden: Hochschulsteuerung, Studienreform sowie Personal- und Karrierestrukturen.
Vor der Föderalismusreform wurde überwiegend das Bild eines zwar föderal verfassten, aber weitgehend homogenen Hochschulwesens in Deutschland gezeichnet. Dementsprechend hatten sich die Hochschulforschung und ihre Auftraggeber in der Vergangenheit eher zurückhaltend bezüglich föderaler Vergleichsanalysen verhalten. Stattdessen wurde ein einheitliches ‚deutsches Hochschulsystem’ als gegeben unterstellt. Dieses Bild ist allerdings schon damals nur bedingt berechtigt gewesen. Zwischen den Hochschulsystemen der deutschen Bundesländer bestehen traditionell deutliche Unterschiede hinsichtlich des Finanzierungsinputs und des Forschungsoutputs. Unter den Bedingungen gestärkter Länderkompetenzen scheint die vereinfachende Betrachtung eines ‚einheitlichen deutschen Hochschulsystems‘ erst recht nicht mehr aufrecht zu erhalten zu sein.
Untersucht wurden daher die Länderdifferenzen vor allem in solchen Bereichen, in denen die Gestaltungschancen der Länder mit der Föderalismusreform gestärkt wurden: Hochschulsteuerung, Studienreform sowie Personal- und Karrierestrukturen.
Die Reform der Hochschulsteuerung wurde in den letzten Jahren von drei unterschiedlichen Entwicklungen bestimmt:
• In Bereichen, in denen die Hochschulsteuerung vom HRG nicht oder kaum reglementiert war (Mittelbewirtschaftung, vertragsförmige Vereinbarungen und Hochschulräte), wurden seit Anfang der 1990er Jahre neue Steuerungsinstrumente etabliert. Diese sind inzwischen in fast allen Bundesländern reguläre Bestandteile der Hochschulsteuerung.
• In der Ausgestaltung der Instrumente findet eine verdeckte Differenzierung statt, die entweder in unterschiedlichen Strukturen (Anteil der leistungsorientierten Mittelverteilung, Besetzung der Hochschulräte) oder in ihrem Anwendungsmodus (hierarchische oder kooperative Vereinbarungen) zum Ausdruck kommt.
• In den Bereichen, in denen bundeseinheitliche Vorgaben angestrebte Veränderungen eingeschränkt hatten (Wahl der Hochschulleitung, Studiengebühren), wurden Reformen erst nach entsprechenden Änderungen im HRG umgesetzt. Noch offen ist die Entwicklung bei Instrumenten, die erst durch die Föderalismusreform 2006 in die Gestaltungshoheit der Länder übergeben wurden (z.B. Kapazitätsrecht und Bauinvestitionen)
Insgesamt setzten sich allerdings die einmal in den Hochschulsteuerungsreform-Diskurs aufgenommenen Elemente langfristig in (fast) allen Bundesländern durch. Eine Ausnahme stellen lediglich Studiengebühren dar. Hier hat sich der Trend innerhalb weniger Jahre erneut umgekehrt: Er geht nunmehr in Richtung Abschaffung der Gebühren (bei fortdauernder Nichteinführung in gebührenfreien Ländern). Im übrigen aber finden sich Unterschiede zwischen den Bundesländern allenfalls in der Geschwindigkeit, mit der Neuerungen der Hochschulsteuerung politisch aufgenommen und durchgesetzt werden. Muster sind aber dabei nicht zu identifizieren: Es sind regelmäßig politisch unterschiedlich regierte Länder, die neue Instrumente besonders schnell einführen bzw. auf Eile verzichten.
Auch bei der Studienreform sind die Angleichungsprozesse zwischen den Bundesländern und gemeinsame Entwicklungslinien bemerkenswert. Abgesehen vom Lehramtsstudium gibt es keine Sonderwege der Länder, keinen Sonderweg Ost und auch keinen bayerischen Bachelor oder ähnliches:
• Die Bologna-Reform in Deutschland war von Anfang an ein nicht nur europäischer, sondern insbesondere auch ein nationaler Harmonisierungsprozess in studienformaler Hinsicht, d.h. die Einführung der Stufung, Modularisierung und Leistungspunkte betreffend.
• Es finden sich viele unterschiedliche Detaillösungen – allerdings auf der Ebene der einzelnen Hochschulen.
• Es fand eine Angleichung der Studienstrukturen durch bundesweit geltende Regelungen, aber nicht durch Normen des Bundes statt. Der Weg, über Verhandlungen mit den Ländern und unter den Ländern, Standardisierungen durchzusetzen, scheint aus Bundessicht hier der erfolgversprechendere.
Das wichtigste Gremium der Standardisierung und Abstimmung ist die Kultusministerkonferenz. Weil der Abstimmungsbedarf zwischen den Länderministerien steigt, werden die Koordination und der Austausch zwischen den Kultusministerien intensiviert. Um einen länderübergreifenden Konsens in der Beschlussfassung zu erzielen, sind aufwändige Verhandlungen zwischen den Ministerialbürokratien vonnöten. Insofern scheint es die Exekutive zu sein, die bei den Kompetenzverschiebungen der Föderalismusreform letztlich gewonnen hat.
In der Gestaltung der Personal- und Karrierestrukturen eröffneten die Föderalismusreform und die ihr vorangegangenen Entwicklungen seit den 90er Jahren den Ländern beträchtliche Spielräume. Der empirische Trend ist allerdings auch hier durch eine Entwicklung gekennzeichnet, die, insgesamt gesehen, in die gleiche Richtung weist:
• Festgehalten wird im Grundsatz an der Abgrenzung zwischen der selbstständig forschenden und lehrenden Professorenschaft im Beamtenverhältnis und den angestellten wissenschaftlichen Mitarbeitern/Mitarbeiterinnen im ‚Dienstleistungsmodus‘ mit Abweichungsoptionen durch Kann-Bestimmungen.
• Die Juniorprofessur hat sich als eine der Habilitation gleichwertige Berufungsvoraussetzung durchgesetzt. Ebenfalls einig waren sich die Bundesländer darin, hier auf eine gesetzliche Regelung des Tenure Track zu verzichten.
• Weniger einheitlich fiel dagegen die Entscheidung hinsichtlich der Einführung von Lehr- bzw. Forschungsprofessuren aus. In sieben Bundesländern sehen die LHGs Professuren mit einer unbefristeten Schwerpunktsetzung in der Lehre vor. In fünf Ländern sind Professuren ohne zeitliche Begrenzung mit Forschungsschwerpunkt verankert; in zwei weiteren sind diese nur befristet zulässig.
Generell kam es auch hier nach 2006 zu keiner entscheidenden Zäsur. Länderübergreifend bleibt es bei dem für das deutsche Hochschulsystem charakteristischen Flaschenhals akademischer Karriere mit einem großen Anteil risikobehaftet und weisungsabhängig Beschäftigter unterhalb der Professur und einem relativ kleinen und anteilig rückläufigen Anteil an dauerhaft und eigenverantwortlich tätigen Hochschullehrerinnen und Hochschullehrern.
Als wesentliche Teile der Erklärung für die eher geringe Zunahme von Differenzierungstendenzen zwischen den Ländern nach 2006 kann zweierlei festgehalten werden: Zum einen war die (Re-)Föderalisierung der deutschen Hochschulpolitik bereits 1994 eingeleitet worden – Verschärfung der Erforderlichkeitsklausel (Art. 72 II GG) –, und die Föderalismusreform 2006 stellte in dieser Hinsicht lediglich einen (ggf. vorläufigen) Höhepunkt dar. Zum anderen ist die Entflechtung von Landes- und Bundeskompetenzen als Voraussetzung, um die kooperativ-föderalistischen Elemente zu Gunsten des Wettbewerbsföderalismus zu mindern, nur zum Teil realisiert worden. Insofern wurde und wird die Bedeutung der Föderalismusreform 2006 für den Hochschulsektor allgemein überschätzt.
Die Publikation dokumentiert die Studien eines Projekts, dass 2008-2010 mit BMBF-Förderung durchgeführt wurde:
Pasternack, Peer (Hg.): Hochschulen nach der Föderalismusreform,
Akademische Verlagsanstalt, Leipzig 2011, 368 S. ISBN 978-3-931982-67-6. 29,00 Euro.
Der Band ist im Buchhandel bestellbar oder hier:
http://www.univerlag-leipzig.de/article.html;article_id,1233
Eine Leseprobe und das Inhaltsverzeichnis finden Sie hier: http://www.hof.uni-halle.de/dateien/leseproben/LeseprobeHochschulenFoederalismus...
Für inhaltliche Rückfragen wenden Sie sich bitte an:
Prof. Dr. Peer Pasternack (peer.pasternack@hof.uni-halle.de; Tel. 03491 466-254)
http://www.univerlag-leipzig.de/article.html;article_id,1233
http://www.hof.uni-halle.de/dateien/leseproben/LeseprobeHochschulenFoederalismus...
http://www.hof.uni-halle.de/aktuelles.htm
Hochschulen nach der Föderalismusreform
None
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Pädagogik / Bildung, Politik, Wirtschaft
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.
Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).
Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.
Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).
Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).