Höherer Biokraftstoff-Anteil ließe sich aus heimischer Produktion decken / Forscher von Universität Hohenheim und Fachhochschule Münster präsentieren Strategiepapier
Bislang produzieren sie Alkohol für Spirituosen, Essig, die Pharma- und die Kosmetikindustrie: rund 400 mittelständische Destillerien in Deutschland. Künftig könnten sie Getreide- und Kartoffelüberschüsse der EU zu Biosprit vergären, so der Vorstoß eines Forscherduos von der Universität Hohenheim und der Fachhochschule Münster. Kombiniert mit Biogas aus den Abfallstoffen der Brennereien ließe sich so eine hocheffiziente, dezentrale und nachhaltige Bioenergienutzung aufbauen. Voraussetzung seien politische Vorgaben und Anreize sowie eine Aufklärungs- und Akzeptanzkampagne. Vollständiges Strategiepapier unter www.fh-muenster.de/egu/bioethanol; www.uni-hohenheim.de/gaerung/Bioethanol.html . Expertenliste Bioenergie unter www.uni-hohenheim.de/experten-bioenergie
Kurze Wege vom Anbau über die Produktion bis zum Absatz: das seien die Vorteile, die die heimische Alkoholproduktion für Biosprit so interessant machen. „Durch die dezentrale Produktion schneidet die Bioethanolproduktion in Deutschland bei jeder Nachhaltigkeitsbilanz besonders gut ab“, erklärt PD Dr. Thomas Senn von der Fachgruppe Gärungstechnologie der Universität Hohenheim.
Noch besser schnitten neue Anlagen ab, die Bioethanol und Biogas kombinierten. Denn bei der Alkoholproduktion fallen Reststoffe an, die sich in Biogas umwandeln lassen. „Damit kann jede Anlage ihren Energiebedarf selbst decken“, erklärt Prof. Dr. Christof Wetter vom Fachbereich Energie • Gebäude • Umwelt der FH Münster.
Die Energieexperten haben Energieausbeute und die entstehende Menge an Treibhausgasen mit anderen Formen von Bioenergie verglichen. Fazit: „Die dezentrale Kombination Biosprit/Biogas schneidet mit am besten ab“, so Prof. Dr. Wetter. Verglichen mit Superbenzin spare Bioethanol 40 bis 90 % CO2 ein.
Gleichzeitig gäbe es neue Technologien, die eine Produktion erlaubten, ohne die Lebensmittelproduktion negativ zu beeinflussen. „Technische Probleme sind nicht zu erwarten und die erforderlichen Ethanolmengen sind grundsätzlich verfügbar“, sagt PD Dr. Senn.
Künftig E20 statt E10 und neue Alkohol-Autos
Konkret fordern die beiden Forscher deshalb zwei Neuerungen an den Tankstellen von Deutschland und der EU:
• E20- statt E10-Benzin, bei dem 20 Prozent des Superbenzins durch Ethanol ersetzt werden.
• E85 als neuer, größtenteils Ethanol-basierter Kraftstoff, für den die Fahrzeuge noch umgerüstet werden müssten.
Technisch gesehen könnten alle Fahrzeuge, die heute schon mit E10 fahren, grundsätzlich mit E20 fahren. In Brasilien seien wesentlich höhere Ethanol-Anteile bereits Praxis. Die USA gaben vergangenen Winter bereits E15 frei.
Mittelfristig werde sich das hochprozentige E85 zu einer günstigen Preisalternative entwickeln. „Mit steigenden Ölpreisen wird E85 immer attraktiver, welches seit Jahren preislich stabil ist“, erklärt PD Dr. Senn.
Autos, die E85 fahren können, seien heute bereits in Deutschland erhältlich. Mehrkosten: 30 bis 300 Euro pro Fahrzeug.
Politisch günstiger Zeitpunkt
Ihr Strategiepapier präsentieren die beiden Forscher in einem politisch günstigen Moment. Derzeit gibt es rund 300 bis 400 meist mittelständische Brennereien in Deutschland. Pro Jahr produzieren sie 1.000 bis 2.000 Hektoliter Ethanol.
Nach geltendem Gesetz darf dieser Industriealkohol nur an den staatlichen Stellen verkauft werden. Von dort fließt das Ethanol in die Spirituosen- und Essigproduktion sowie in die Pharma- und die Kosmetikindustrie.
Im Oktober 2013 soll das sogenannte Branntwein-Monopol des Staates jedoch fallen. „Verglichen mit dem Weltmarkt und Großerzeugern sind diese kleinen Unternehmen jedoch ohne Modernisierung der Anlagen nicht konkurrenzfähig“, bilanziert PD Dr. Senn. Deutschland sei in Gefahr, seine flächendeckende, dezentrale Infrastruktur samt vorhandenem Know-How zu verlieren.
Forderungen an die Politik
Um Bioethanol als nachhaltigen Kraftstoff zu fördern, fordert das Forscherduo aus Hohenheim und Münster deshalb mehrere Schritte:
• Verlängerte Steuerbefreiung auf Ethanol im Superbenzin bis 2023. „Bei weiter steigenden Kraftstoffpreisen wird Bioethanol im Vergleich zu Ottokraftstoff kostengünstiger und die Steuerbefreiung kann reduziert bzw. aufgehoben werden“, so PD Dr. Senn
• Ein Anreizsystem und eine vereinfachte, einheitliche Regelung für die Umrüstung von Tankstellen. „Beispiele aus Brasilien, den USA, Frankreich und Schweden zeigen, dass ein flächendeckendes Angebot von E85 zu einem erhöhten Absatz führt“, sagt Prof. Dr. Wetter
• Investitionsanreize für landwirtschaftliche Brennereien: „Unsere dezentrale Struktur ist ein strategischer Vorteil. Trotzdem ist es nötig, die Anlagen zu modernisieren und mit Biogastechnologie zu kombinieren“, meint PD Dr. Senn.
• Eine Informations- und Aufklärungskampagne: „Die sehr gute und zertifizierte Treibhausgasbilanz aus dezentraler Produktion zeigt, dass insbesondere durch dezentrale Bioethanolproduktion die Nachhaltigkeitskriterien weit unterboten werden. Eine entsprechende Kampagne muss deshalb das Image des Biokraftstoffes verbessern“, erklärt Prof. Dr. Wetter.
Keine Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion
Die Gefahr, dass deshalb weniger Nahrungsmittel produziert und der Welthunger ansteige, sehen die beiden Forscher nicht. „Bislang verwerten Deutschlands Brennereien lediglich Überschüsse aus der Agrarproduktion“, so PD Dr. Senn.
Gleichzeitig sei dies jedoch auch ein limitierender Faktor. „Durch Bioethanol können wir nur 10 bis 20 Prozent des Kraftstoffbedarfes abdecken. Doch das gilt generell für alle Formen der Bioenergie im Vergleich zum Gesamtenergiebedarf“, meint Prof. Dr. Wetter.
Trotzdem ließen sich die Klimaziele der EU ohne den Beitrag der Bioenergien nicht erreichen. Wichtig bleibe der Mix aus verschiedenen Formen von erneuerbaren Energien – mit Biokraftstoffen aus heimischer, dezentraler und nachhaltigkeits-zertifizierter Produktion als einer Säule.
HINTERGRUND:
Bioenergie- und Ernährungsforschung an der Universität Hohenheim
Bioethanol ist nur eine Facette in den umfangreichen Forschungsaktivitäten der Universität Hohenheim zu den Themenkomplexen Bioenergie und (Welt-)Ernährung. Dazu gehören das junge Zentrum für Bioenergie und nachwachsende Rohstoffe, Deutschlands größte Forschungsbiogasanlage und die Lehr- und Forschungsbrennerei. Welternährung und nachhaltige Landwirtschaft sind Schwerpunkte des Tropenzentrums und des Food Security Zentrums. Zum Ausbildungsangebot gehören der Bachelor- und Master-Studiengang „Nachwachsende Rohstoffe und Bioenergie“ oder Internationale Masterstudiengänge wie „Environmental Protection and Agricultural Food Production“ oder „Organic Agriculture and Food Systems“.
Expertenliste zum Thema Bioenergie unter www.uni-hohenheim.de/experten-bioenergie
Links:
Expertenliste Bioenergie: http://www.uni-hohenheim.de/experten-bioenergie
Text: Klebs
Kontakt für Medien:
Priv. Doz. Dr. Thomas Senn, Universität Hohenheim, Forschungs- und Lehrbrennerei
Tel.: 0711 459-23353, E-Mail: Thomas.Senn@uni-hohenheim.de
Prof. Dr. Christof Wetter, Fachhochschule Münster, Fachbereich Energie • Gebäude • Umwelt
Tel.: 0251 83-62725. , E-Mail: wetter@fh-muenster.de
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Energie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Umwelt / Ökologie, Verkehr / Transport
überregional
Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
Deutsch
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