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15.11.2012 20:32

Durchsichtiger Urtausendfüßer aus bedrohter Eisenerzhöhle in Brasilien entdeckt

Sabine Heine Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Zoologisches Forschungsinstitut und Museum Alexander Koenig

    Neu entdeckte, seltene Tausendfüßerart war in Brasilien vollständig unbekannt und kann Unterschutzstellung eines bedrohten Höhlenlebensraumes ermöglichen.

    Der Kurator für Tausendfüßer des Zoologischen Forschungsmuseums Alexander Koenig (ZFMK), Dr. Thomas Wesener, staunte nicht schlecht, als er im Januar eine E-Mail mit Bildern aus Brasilien erhielt. Die Forscher der Arbeitsgruppe 'Unterirdische Zoologie' (Höhlenökologie) der Universität Lavras in Minas Gerais (UFLA), Dr. Rodrigo Lopes Ferreira und sein Student Luiz Felipe Moretti Iniesta, hatten in einer Höhle in Brasilien merkwürdige Tausendfüßer photographiert, die sie nicht zuordnen konnten. Die Photos zeigten weiße, durchsichtige Tausendfüßer (siehe Bild 1) einer sehr seltenen, ursprünglichen und nur von wenigen Arten bekannten Tausendfüßergruppe (Glomeridesmida), welche es nach bisherigem Kenntnisstand eigentlich in Brasilien gar nicht hätte geben dürfen. Die Tiere sind so selten, dass die zugesandten Aufnahmen die ersten Lebendaufnahmen von einem Vertreter der Gruppe darstellen.

    Glücklicherweise hatten die Höhlenforscher einige der gläsernen wirkenden Tiere nicht nur beobachtet sondern auch konserviert, so dass einige Tausendfüßer bald auf dem Weg ans Forschungsmuseum Koenig in Deutschland zum Tausendfüßerforscher Wesener waren. „Schnell stellte sich heraus, dass es sich um eine neue, noch unbeschriebene, für die Ordnung Glomeridesmida mit einer Länge von 10 Millimetern ungewöhnlich große Art handelt,“ erläutert Wesener und fährt fort: „Trotzdem erfolgte die Beschreibung aufgrund der absolut gesehen dann doch wieder kleinen Größe der Art mit Hilfe moderner rasterelektronenmikroskopischer Aufnahmen.“

    In Anpassung and das offenbar geschützte Höhlenleben ist die schützende Kalkrüstung dieser Tausendfüßer so sehr reduziert, dass die Tiere gläsern-durchsichtig erscheinen. So konnten erstmalig auch ihre interne Anatomie wie der Verlauf des Darmkanals oder die Eier untersucht werden. Diese Art lebt ausschließlich in Höhlen, genauer nur in einem bestimmten Höhlengebiet in Brasilien.

    Die Höhlen, in denen die Tiere vorkommen, befanden sich ursprünglich im brasilianischen Regenwald. Dieser ist durch die Landnutzung durch den Menschen über den Höhlen in Ackerland umgewandelt worden. Jetzt drohte auch den bislang geschützt in Höhlen lebenden Arten Gefahr: Bis 2008 waren in Brasilien alle Höhlen geschützt, seitdem können Höhlen zum Beispiel für Bergbautätigkeiten zerstört werden, falls es dort keine nur dort vorkommenden (endemischen) Tierarten gibt. Genau solch ein Bergbauvorhaben findet in direkter Nähe des vom Höhlentausendfüßer bewohnten Gebiets statt. Die Höhlen, in denen die Tiere vorkommen, sind nämlich keine normalen Höhlen, sondern spezielle 'Eisenerzhöhlen'. Anhand von Satellitenbildern lässt sich deutlich der negative Einfluss der Bergbauvorhaben zwischen 2006 (als die Höhlen noch geschützt waren) und 2012 (Vier Jahre nach Aufhebung des Schutzstatus) erkennen.

    [https://maps.google.de/maps/ms?msid=202341165093589879967.0004ce87af0fd49db3c6b&...].
    [KML Datei in GoogleEarth öffnen und in der Zeitleiste 2006 bzw. 2012 anklicken].

    „Man sieht, wie wichtig die Arbeit der Taxonomen, der Spezialisten mit Artenkenntnis, für den Erhalt der Biodiversität auf der Erde ist“
    erläutert Prof. Dr. Wolfgang Wägele, Direktor des Museum Koenig, die Bedeutung der Arbeit an seinem Institut. „Die Forscher aus Deutschland und Brasilien mussten schnell an der Beschreibung der neuen Art arbeiten, denn erst mit der jetzt erfolgten Publikation kann der bedrohte Höhlenlebensraum offiziell unter Schutz gestellt

    werden“ ergänzt Wesener und macht damit den Zeitdruck deutlich, unter dem die Wissenschaftler für die Forschung im Sinne Naturschutzes standen. Aufgrund der schnell voranschreitenden Bergbautätigkeit lässt sich erkennen, dass die schnelle Beschreibung nach der zufälligen Entdeckung dieser einmaligen, ursprünglichen, durchsichtigen Tausendfüßerart unbedingt erforderlich war, weil diese sonst wohl in den nächsten fünf Jahren ausgestorben wäre.

    In der Zukunft sollen auch die Gene des Ur-Tausendfüßers untersucht werden, da den Forschern jetzt erstmalig geeignetes Tiermaterial vorliegt, welches eine genetische Untersuchung dieser ursprünglichen Tiergruppe erlaubt. Weiterhin warten noch weitere brasilianische Höhlentausendfüßer auf ihre Beschreibung.

    Die Glomeridesmida gehören zu den ältesten Landlebewesen und ursprünglichsten Tausendfüßern, bewohnen die Erde also bereits seit 350-400 Millionen Jahren. Jetzt sind die Tiere lebende Relikte, nur noch 31 Arten sind bekannt, weitverstreut und isoliert über die ganze Erde: Mittelamerika, die Karibik, Indien und Indonesien. Die letzte neue Glomeridesmidenart wurde 1975 entdeckt und beschrieben.

    Link zur Karte des Vorkommens, mit eingezeichnetem Bergbaugebiet: https://maps.google.de/maps/ms?msid=202341165093589879967.0004ce87af0fd49db3c6b&...

    Quelle: Link zur Originalbeschreibung: http://www.mapress.com/zootaxa/2012/f/z03550p042f.pdf

    Ansprechpartner:
    Dr. Thomas Wesener
    Kurator
    Tel.: +49 (0)228 9122 425
    Fax: +49 (0)228 9122 212
    E-Mail: T.wesener@zfmk.de

    Sabine Heine
    Pressesperecherin
    Tel.: +49 (0)228 9122 215
    Fax: +49 (0)228 9122 213
    E.MAil: S.heine@zfmk.de

    ----------------------
    Das Zoologische Forschungsmuseum Alexander Koenig (ZFMK) ist eine außeruniversitäre Forschungseinrichtung des Ministeriums für Innovation, Forschung und Technologie des Landes Nordrhein-Westfalen. Als Leibniz-Institut für die Biodiversität der Tiere hat es einen Forschungsanteil von mehr als 75 %. Das ZFMK betreibt sammlungsbasierte Biodiversitätsforschung zur Systematik und Phylogenie, Biogeographie und Taxonomie der terrestrischen Fauna. Innovative Methoden- und Arbeitsansätze der molekularen Biodiversitätsforschung dienen auch Studien zur Nachhaltigkeit. Das ZFMK hat 89 fest angestellte Mitarbeiter, davon 37 Wissenschaftler. Studenten der Biologie werden in Kooperation mit der Universität Bonn ausgebildet. Die Ausstellung „Unser blauer Planet“ trägt zum Verständnis von Biodiversität unter globalen Aspekten bei.

    Zur Leibniz-Gemeinschaft gehören zurzeit 86 Forschungsinstitute und wissenschaftliche Infrastruktureinrichtungen für die Forschung sowie drei assoziierte Mitglieder. Die Ausrichtung der Leibniz-Institute reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Sozial- und Raumwissenschaften bis hin zu den Geisteswissenschaften. Leibniz-Institute arbeiten strategisch und themenorientiert an Fragestellungen von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung Bund und Länder fördern die Institute der Leibniz-Gemeinschaft daher gemeinsam. Näheres unter www.leibniz-gemeinschaft.de


    Bilder

    Höhlen-Urtausendfüßer: Die Tiere sind aufgrund der Reduktion ihres Kalkpanzers fast durchsichtig. Deutlich sind hier die Eier zu erkennen. Das schützende Kalkskelett wurde im Verlauf der Evolution vermutlich aufgrund der Abwesenheit von Fressfeinden in der Höhle fast vollständig reduziert. Die Tiere sind dadurch extrem zerbrechlich.
    Höhlen-Urtausendfüßer: Die Tiere sind aufgrund der Reduktion ihres Kalkpanzers fast durchsichtig. De ...
    Foto: Universität Lavras in Minas Gerais (UFLA),
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    Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme eines Körpersegments der neu entdeckten Art. Das Außenskelett ist sehr dünnwandig und nur an einigen Stellen durch Knoten verdickt. Die Bilder sind Schwarz-weiß, da sie durch einen Elektronenstrahl und nicht durch einen Lichtstrahl entstehen.
    Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme eines Körpersegments der neu entdeckten Art. Das Außenskelet ...
    Foto: Dr, T. Wesener, ZFMK, Bonn
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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Biologie, Geowissenschaften, Umwelt / Ökologie, Wirtschaft
    überregional
    Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
    Deutsch


     

    Höhlen-Urtausendfüßer: Die Tiere sind aufgrund der Reduktion ihres Kalkpanzers fast durchsichtig. Deutlich sind hier die Eier zu erkennen. Das schützende Kalkskelett wurde im Verlauf der Evolution vermutlich aufgrund der Abwesenheit von Fressfeinden in der Höhle fast vollständig reduziert. Die Tiere sind dadurch extrem zerbrechlich.


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    Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme eines Körpersegments der neu entdeckten Art. Das Außenskelett ist sehr dünnwandig und nur an einigen Stellen durch Knoten verdickt. Die Bilder sind Schwarz-weiß, da sie durch einen Elektronenstrahl und nicht durch einen Lichtstrahl entstehen.


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