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29.01.2013 08:53

Experten diskutierten an der RUB: Darf ein Arzt beim Sterben helfen?

Dr. Josef König Pressestelle
Ruhr-Universität Bochum

    Wenn ein Mensch unheilbar krank ist und so sehr leidet, dass er sterben möchte, darf dann der Arzt ein todbringendes Medikament verordnen? In Deutschland ist die Beihilfe zum Suizid nicht strafbar, das Berufsrecht für Ärzte enthält aber unterschiedliche Regelungen. So ist den Ärzten die Hilfe bei der Selbsttötung in der Ärztekammer Nordrhein ausdrücklich verboten, in Bayern dagegen nicht. Auf einer Podiumsdiskussion des Zentrums für Medizinische Ethik Bochum am 22. Januar diskutierten Ärzte, Juristen, Vertreter der Ärztekammern und Medizinethiker die Frage an der RUB.

    Darf ein Arzt beim Sterben helfen?
    Ethisch strittig und juristisch komplex
    Medizinethiker, Ärzte, Juristen und Vertreter der Ärztekammer diskutierten an der RUB

    Wenn ein Mensch unheilbar krank ist und so sehr leidet, dass er sterben möchte, darf dann der Arzt ein todbringendes Medikament verordnen? In Deutschland ist die Beihilfe zum Suizid nicht strafbar, das Berufsrecht für Ärzte enthält aber unterschiedliche Regelungen. So ist den Ärzten die Hilfe bei der Selbsttötung in der Ärztekammer Nordrhein ausdrücklich verboten, in Bayern dagegen nicht. Auf einer Podiumsdiskussion des Zentrums für Medizinische Ethik Bochum am 22. Januar diskutierten Ärzte, Juristen, Vertreter der Ärztekammern und Medizinethiker die Frage an der RUB.

    Unübersichtliche Rechtslage in Deutschland: in Bayern erlaubt, in Nordrhein nicht

    Prof. Dr. Winfried Kluth, Jurist aus Halle, stellte auf der Podiumsdiskussion die komplexe Rechtslage dar. Menschen bei der eigens verantworteten Selbsttötung zu helfen, ist mit der Berufsethik der Ärzte schwer in Einklang zu bringen: Sie sollen Leben schützen und Sterbenden beistehen. Anfang 2011 lockerte die Bundesärztekammer zunächst ihre Grundsätze zur Sterbebegleitung. Wenig später nahmen die Verantwortlichen diese „Liberalisierung“ zurück und verabschiedeten auf dem 114. Deutschen Ärztetag eine geänderte Musterberufsordnung mit dem neuen Passus: „Ärzte dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten.“ (§ 16). Doch auch damit war das juristische Wirrwarr nicht beseitigt. Denn die Bestimmung der Musterberufsordnung wird nur rechtsverbindlich, wenn die Landesärztekammern den Passus in ihre Berufsordnungen aufnehmen. Das ist bislang nicht überall geschehen; stattdessen formulierten unterschiedliche Kammern ihren eigenen Passus. Nun darf ein Arzt in Bayern ein todbringendes Medikament verschreiben, während ein Kollege in Nordrhein dafür berufsrechtliche Sanktionen befürchten muss.

    Sterbewunsch ist selten

    Der Wunsch nach Selbsttötung ist eine Rarität. Nur etwa 1 von 1000 palliativ versorgten Patienten äußert ihn. Doch es gibt sie, die Einzelfälle, in denen selbst ein Spezialist das Leiden des Patienten nicht ausreichend lindern kann, und bei denen der Sterbewunsch bestehen bleibt. In solchen Extremfällen sollte der Arzt seinem Gewissen folgen dürfen und keine rechtlichen Sanktionen fürchten müssen, meint Dr. Matthias Thöns, Wittener Anästhesiologe. Bekannt sei, dass ansonsten Erhängen, Sturz aus großer Höhe und Erschießen die drei häufigsten Methoden der Selbsttötung seien.

    Die Sicht der Ärztekammer

    Dr. Theodor Windhorst, Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe, verteidigte die Ärztekammerposition. Man habe sich auf der Ärzteversammlung nur nach zähem Ringen auf eine abgeschwächte Formulierung einigen können, dass Ärzte keine Hilfe zur Selbsttötung leisten „sollen“. Die Regelung in seinem Landesteil zwingt ihn nicht, einen Arzt zu bestrafen, der bei der Selbsttötung geholfen hat. Das ist bei seinem Kollegen aus Nordrhein, Vizepräsident Dr. Bernd Zimmer, anders. Hier hat die Ärztekammer das strenge Verbot zur Selbsttötung aus der Musterberufsordnung übernommen. Denn der Arzt sei ein „Garant für das Leben“. Tötung dürfe keine ärztliche Aufgabe werden, weil das das Vertrauen in den Arztberuf massiv schädigen könne.

    Medizinethik: kein klares „Ja“ oder „Nein“ möglich

    Erfahrungen aus dem US-Staat Oregon geben keine Hinweise, dass die erlaubte Hilfe bei der Selbsttötung einen Vertrauensverlust in den Arztberuf bewirkt, gab Medizinethiker Prof. Jochen Vollmann von der RUB zu bedenken. Die meisten Patienten, die sich nach ärztlicher Hilfe zur Selbsttötung erkundigen, sind körperlich unheilbar krank, haben eine überdurchschnittliche Bildung und überdurchschnittlichen sozioökonomischen Status sowie Zugang zur Palliativmedizin. Jeder dritte Patient nimmt das zur Verfügung gestellte todbringende Medikament nicht ein. Etwa ein Drittel der deutschen Ärzte steht einer Hilfe bei der Selbsttötung schwer kranker und selbstbestimmungsfähiger Patienten offen gegenüber. Eine völlig andere und in der ärztlichen Praxis häufige Situation stellt die Suizidalität bei psychisch Kranken dar, die häufig in der akuten Krankheitsphase oder Krisensituation nicht einwilligungsfähig sind. Vollmanns Fazit: Aus ethischer Sicht ist kein klares „Ja“ oder „Nein“ zur Hilfe bei der Selbsttötung vertretbar.

    Weitere Informationen

    Prof. Dr. Stefan Huster, Geschäftsführer des Zentrums für Medizinische Ethik e.V.; Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Sozial- und Gesundheitsrecht und Rechtsphilosophie, Juristische Fakultät der Ruhr-Universität, 44780 Bochum, Tel. 0234/32-22239, E-Mail: stefan.huster@rub.de

    Angeklickt

    Zentrum für Medizinische Ethik e. V.
    http://www.medizinethik-bochum.de/

    Redaktion: Dr. Julia Weiler


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Medizin, Philosophie / Ethik, Recht
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft
    Deutsch


     

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