Forscher vergleichen Genome ursprünglicher Jäger und Sammler sowie früher Bauern mit denen heutiger Menschen: die Spuren der Europäer führen zu Ahnen aus drei Populationen
Bitte beachten Sie die Sperrfrist: Keine Veröffentlichung vor Mittwoch, 17. September 2014, 19 Uhr MEZ
Der Beginn der Landwirtschaft und die Domestizierung wilder Tiere, die vor rund 11.000 Jahren im Nahen Osten ihren Anfang nahmen, hatten einen enormen Einfluss auf das Leben der Menschen. Jäger und Sammler wurden vielerorts von sesshaften Bauern abgelöst. Die Populationen wuchsen und schufen so die Voraussetzungen für das Entstehen größerer Städte und komplexer Gesellschaften. Die archäologischen Nachweise legen nahe, dass sich der Übergang zur bäuerlichen Lebensweise in Mitteleuropa vor rund 7.500 Jahren vollzog, gleichzeitig mit dem Auftreten der Linienbandkeramik, der ersten jungsteinzeitlichen Kultur in Europa.
In der Forschung wird seit langem diskutiert, ob dieser Wechsel durch die Masseneinwanderung von Menschen aus dem Nahen Osten zustande kam, die innovative Technologien und domestiziertes Vieh mit nach Europa brachten, oder ob die neuen Kulturtechniken von benachbarten Populationen übernommen wurden. Ein internationales Forscherteam unter der Leitung der Universität Tübingen und der Harvard Medical School verfolgte nun anhand prähistorischer und moderner Genome, welchen genetischen Einflüssen die eingeborenen europäischen Jäger und Sammler ausgesetzt waren. Sie stießen auf drei Ahnengruppen, die bis heute am Genmix der Europäer beteiligt sind.
Die Forscher analysierten menschliche Genome von einem rund 7.000 Jahre alten frühen Bauern aus der Bandkeramik-Kultur in Stuttgart, einem etwa 8.000 Jahre alten Jäger von der Loschbour-Fundstelle in Luxemburg sowie sieben ebenfalls etwa 8.000 Jahre alten Jägern und Sammlern aus Motala in Schweden. Für den Vergleich mit heutigen Menschen erstellte das Forscherteam genomweite Daten von etwa 2.400 Menschen, die weltweit aus rund 200 verschiedenen modernen Populationen stammen.
Die Analyse zeigt, dass die genetischen Spuren heutiger Europäer auf drei – und nicht wie früher angenommen zwei – Stammgruppen zurückgehen. Die erste Gruppe umfasst die ursprünglichen Jäger und Sammler Westeuropas; die zweite bilden die frühen Bauern die aus dem Nahen Osten, vor etwa 7.500 Jahren nach Europa einwanderten, und die dritte Gruppe ist eine rätselhaftere Popu-lation, die den Norden Eurasiens bevölkerte und die Europäer mit den Ureinwohnern Amerikas genetisch verbindet. „Die Mischung aus drei Ahnenpopulationen war eine große Überraschung“, sagt David Reich von der Harvard Medical School, einer der Forschungsleiter. „Wir hatten bereits früher eine alte genetische Verbindung zwischen heutigen Europäern und ursprünglichen Amerikanern gefunden“, setzt Nick Patterson vom Broad Institute in Boston hinzu, „diese Komponente war er-staunlicherweise weder beim Jäger aus Luxemburg noch bei den ersten europäischen Bauern zu finden.“ „Die dritte Gruppe erreichte Mitteleuropa erst nach den frühen Bauern”, erklärt Johannes Krause von der Universität Tübingen, der auch Direktor am Max-Planck-Institut für Geschichte und Naturwissenschaften in Jena ist. „Wir sind noch nicht sicher, wann die nordeurasischen Gene nach Zentral-Europa kamen. Auf alle Fälle später als die ersten Bauern.”
Auf der Grundlage der umfangreichen Daten von heutigen und früheren Menschen konnten die Forscher die Anteile früherer genetischer Komponenten bei heutigen Europäern berechnen. „Fast alle Europäer haben Ahnen aus allen drei Abstammungsgruppen“, sagt Losif Lazaridis von der Harvard Medical School. „Unterschiede gibt es bei den relativen Anteilen. Nordeuropäer tragen mehr Gene der Jäger und Sammler in sich – Menschen in Litauen bis zu 50 Prozent – und Südeuropäer mehr bäuerliche Ahnenanteile.“ Allerdings gibt er zu bedenken, dass auch die frühen Bauern selbst Jäger und Sammler zu ihren Ahnen zählten, sie seien keine reinen Nachfahren der ursprünglichen Einwanderer aus Nahost gewesen, die die Landwirtschaft in Europa einführten. Wie sich die nordeurasischen Ahnen mit den Europäern mischten, bleibt eine offene Frage: „Dies ist überall in Europa der kleinste Anteil, der nie mehr als 20 Prozent ausmacht, aber wir haben ihn in fast jeder untersuchten europäischen Gruppe gefunden und auch in Populationen aus dem Kaukasus und dem Nahen Osten. In Westeurasien muss nach der Neolithischen Revolution, also dem Aufkommen neuer Wirtschaftsweisen wie Ackerbau und Viehzucht zu Beginn der Jungsteinzeit, ein tiefgehender Umbruch stattgefunden haben.”
Die Forscher analysierten auch Gene, von denen der Einfluss auf das Aussehen bekannt ist, und gehen davon aus, dass einige der Jäger und Sammler blaue Augen und eine dunkle Haut hatten, während die frühen Bauern hellhäutiger und eher braunäugig waren. Sowohl die Jäger und Sammler als auch die frühen Bauern trugen eine hohe Anzahl an Kopien des Amylase-Gens in ihrem Genom, sodass anzunehmen ist, dass beide Populationen sich bereits an eine stärkereiche Ernährung angepasst hatten. Dagegen konnte keiner der frühen Menschen Milchzucker verdauen, Milch gehörte daher wahrscheinlich noch nicht zu den gängigen Nahrungsmitteln.
Mit den Genomdaten konnten die Forscher ein vereinfachtes Modell der Populationsgeschichte der anatomisch modernen Menschen außerhalb von Afrika in den vergangengen 5.000 Jahren erstellen. „Wir beginnen jedoch erst, die komplexe genetische Verwandtschaft zu unseren Vorfahren zu verstehen. Wir brauchen mehr genetische Daten von früheren Menschen, nur so können wir die Fäden unserer prähistorischen Vergangenheit entwirren”, sagt Johannes Krause.
Originalpublikation:
Iosif Lazaridis, Nick Patterson, Alissa Mittnik, Gabriel Renaud, Swapan Mallick, Karola Kirsanow, Peter H. Sudmant, Joshua G. Schraiber, Sergi Castellano, Mark Lipson, Bonnie Berger,, Christos Economou, Ruth Bollongino, Qiaomei Fu, Kirsten I. Bos, Susanne Nordenfelt, Heng Li, Cesare de Filippo, Kay Prüfer, Susanna Sawyer, Cosimo Posth, Wolfgang Haak, Fredrik Hallgren, Elin Fornander, Nadin Rohland, Dominique Delsate, Michael Francken, Jean-Michel Guinet, Joachim Wahl, George Ayodo, Hamza A. Babiker, Graciela Bailliet, Elena Balanovska, Oleg Balanovsky, Ramiro Barrantes, Gabriel Bedoya, Haim Ben-Ami, Judit Bene, Fouad Berrada, Claudio M. Bravi, Francesca Brisighelli, George B. J. Busby, Francesco Cali, Mikhail Churnosov, David E. C. Cole, Daniel Corach, Larissa Damba, George van Driem, Stanislav Dryomov, Jean-Michel Dugoujon, Sardana A. Fedorova, Irene Gallego Romero, Marina Gubina, Michael Hammer, Brenna M. Henn, Tor Hervig, Ugur Hodoglugil, Aashish R. Jha, Sena Karachanak-Yankova, Rita Khusainova, Elza Khusnutdinova, Rick Kittles, Toomas Kivisild, William Klitz, Vaidutis Kucinskas, Alena Kushniarevich, Leila Laredj, Sergey Litvinov, Theologos Loukidis, Robert W. Mahley, Bela Melegh, Ene Metspalu, Julio Molina, Joanna Mountain, Klemetti Näkkäläjärvi, Desislava Nesheva, Thomas Nyambo, Ludmila Osipova, Jüri Parik, Fedor Platonov, Olga Posukh, Valentino Romano, Francisco Rothhammer, Igor Rudan, Ruslan Ruizbakiev, Hovhannes Sahakyan, Antti Sajantila, Antonio Salas, Elena B. Starikovskaya, Ayele Tarekegn, Draga Toncheva, Shahlo Turdikulova, Ingrida Uktveryte, Olga Utevska, Rene´ Vasquez, Mercedes Villena, Mikhail Voevoda, Cheryl A. Winkler, Levon Yepiskoposyan, Pierre Zalloua, Tatijana Zemunik, Alan Cooper, Cristian Capelli, Mark G. Thomas, Andres Ruiz-Linares, Sarah A. Tishkoff, Lalji Singh, Kumarasamy Thangaraj, Richard Villems, David Comas, Rem Sukernik, Mait Metspalu, Matthias Meyer, Evan E. Eichler, Joachim Burger, Montgomery Slatkin, Svante Pääbo, Janet Kelso, David Reich & Johannes Krause:
Ancient human genomes suggest three ancestral populations for present-day Europeans. Nature, doi:10.1038/nature13673
Kontakt:
Prof. Dr. Johannes Krause
Universität Tübingen
Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät
Institut für Naturwissenschaftliche Archäologie (INA)
Telefon +49 7071-29-74089
johannes.krause[at]uni-tuebingen.de
Max-Planck-Institut für Geschichte und Naturwissenschaften
Kahlaische Str. 10 ∙ 07745 Jena
Telefon: +49 3641-686-700
Schädel der ungefähr 7.000 Jahre alten Bäuerin aus Stuttgart, Deutschland. Es fehlt der untere recht ...
Bild: Joanna Drath, Universität Tübingen
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Der Schädel von Motala1, eines ungefähr 8.000 Jahre alten schwedischen Jägers und Sammlers, dessen D ...
Bild: Fredrik Hallgren
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Geschichte / Archäologie
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch
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