idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
19.09.2014 10:57

Epilepsie-Varianten – Gemeinsame genetische Risikofaktoren bei häufigen Epilepsiesyndromen entdeckt

Frank A. Miltner Pressestelle der DGN
Deutsche Gesellschaft für Neurologie

    Epilepsien sind eine klinisch heterogene Gruppe neurologischer Erkrankungen. Trotz starker Evidenz für die Vererbbarkeit der Erkrankung erbrachte die Suche nach gemeinsamen genetischen Risikofaktoren, die allen Epilepsien zugrunde liegen, bislang keine klaren Ergebnisse.

    Eine in Lancet Neurology erschienene Arbeit eines kürzlich formierten weltweiten Konsortiums (International League Against Epilepsy Consortium on Genetics of Complex Epilepsies) mit deutscher und europäischer Beteiligung hat das jetzt geändert: „Dies ist die erste weltweite Studie die zeigt, dass es gemeinsame und distinkte genetische Risikofaktoren für die verschiedenen Formen der Epilepsie gibt“, erklärt Prof. Dr. med. Holger Lerche heute auf der Neurowoche 2014 in München, Europas größtem Neurologenkongress. Die Wissenschaftler konnten drei Risiko-Loci für Epilepsie identifizieren [1]. Holger Lerche, Ärztlicher Direktor der Abteilung Neurologie mit Schwerpunkt Epileptologie der Universität Tübingen, ist einer der Autoren der Studie.

    Epilepsien treten mit einer Häufigkeit von 0,5 bis 1% auf; knapp die Hälfte davon beginnt bereits im Kindesalter. Mindestens 50% davon sind genetisch bedingt, wobei die Ursache in den meisten Fällen multifaktoriell bzw. polygen ist. Nur wenige Prozent der sogenannten idiopathischen/genetischen Epilepsien folgen einem monogenen Erbgang. Epidemiologische Untersuchungen der genetischen Variation des menschlichen Genoms, genomweite Assoziationsstudien (GWAS), sind darauf ausgelegt, einen bestimmten Phänotyp mit bestimmten Haplotypen bzw. Allelen zu assoziieren. Bei Epilepsie wiesen GWAS bislang nur geringeren Erfolg auf, spezielle Risiko-Loci zu identifizieren – aufgrund zu kleiner Stichproben und dadurch mangelhafter Aussagekraft.

    Fokale und generalisierte Epilepsien – die beiden größten klinischen Subtypen

    Der GWAS unter deutscher und europäischer Beteiligung ist mit dem Nachweis der drei Risiko-Loci ein großer Schritt gelungen, denn: „Für Diabetiker, für Schizophrenie oder Migräne gibt es diese Nachweise längst, allein für die Schizophrenie sind 100 Risiko-Loci nachgewiesen, für die Migräne sind es knapp 20“, erklärt Lerche.

    Für ihre Studie kombinierten die Wissenschaftler nun genomweite Assoziationsdaten aus 12 Kohorten von Probanden diverser Ethnien mit Epilepsie und Kontrollpersonen aus populationsbasierten Datensets, die aus drei Kontinenten stammten. Insgesamt wurden 8696 Epilepsiefälle und 26 157 Kontrollprobanden in die Analyse eingeschlossen. Phänotypisiert wurden Personen mit idiopathischer/genetischer generalisierter Epilepsie (n= 2600), fokaler Epilepsie (n=5300) und nicht klassifizierbarer Epilepsie. Bei den fokalen Epilepsien ist die Übererregung auf ein Gehirnareal beschränkt, bei den generalisierten Epilepsien erstrecken sich die Anfallszeichen über beide Hemisphären.

    Einer der drei Risiko-Loci ist im „Epilepsie-Gen“ SCN1A

    Nummer eins der drei so identifizierten Loci liegt in SCN1A – dem wichtigsten Epilepsie-Gen, das bei seltenen monogenetisch vererbten Epilepsien, wie dem Dravet-Syndrom, mutiert ist. Der durch das Gen kodierte Natriumkanal, der in inhibitorischen Nervenzellen des Gehirns exprimiert wird, verliert beim Dravet-Syndrom seine Funktion, was zu einer verminderten Hemmung im Gehirn führt. Die mit häufigen Epilepsien assoziierte Variante in SCN1A kann als „Risikofaktor mit geringer Effektstärke“ betrachtet werden, erklärt Lerche. Bislang nicht mit Epilepsie in Verbindung gebracht wurde Kandidat 2 in der Nähe von PCDH7. Das Gen kodiert ein Protocadherin-Molekül und kann ebenfalls als Risikofaktor für alle Epilepsien gelten. Für die Kohorte der idiopathischen/genetischen generalisierten Epilepsien fanden die Forscher ein einzelnes Signal, den dritten Kandidaten, der mit dem Gen VRK2 in Verbindung gebracht wird.

    Weitere Entschlüsselung der genetischen Architektur der Epilepsien

    Die Daten liefern weitere Evidenz über die genetische Architektur der Epilepsien mit dem Ziel einer besseren Krankheitsklassifikation und –prognose. Die Ergebnisse legen nahe, dass spezifische Loci pleiotropisch allgemein das Risiko für Epilepsie erhöhen oder Effekte auf einen spezifischen Subtyp haben können. Welche therapeutischen Konsequenzen sich daraus ergeben ist noch nicht klar. Lerche: „Bei Vorliegen schwerwiegender SCN1A Mutationen vermeidet man bereits heute Substanzen, die Natriumkanäle blockieren. Häufige SCN1A Varianten könnten auch für die häufigen Epilepsien ein Teilfaktor werden, der Auskunft darüber geben könnte, welche Medikamente ansprechen und welche nicht“. Diese Frage werde gerade in internationalen Forschungsinitiativen untersucht.

    Quellen

    [1] International League Against Epilepsy Consortium on Complex Epilepsies. Genetic determinants of common epilepsies: a meta-analysis of genome-wide association studies. The Lancet Neurology, 2014; Vol. 13, Iss. 9, pp. 893 – 903. DOI:10.1016/S1474-4422(14)70171-1
    http://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736%2814%2960460-8/ab...

    Fachlicher Kontakt bei Rückfragen

    Prof. Dr. med. Holger Lerche
    Zentrum für Neurologie
    Hertie-Institut für klinische Hirnforschung
    Abteilung Neurologie mit Schwerpunkt Epileptologie
    Hoppe-Seyler-Straße 3, 72076 Tübingen
    Sekretariat: Patricia Beck
    Tel.: 07071-2980442, Fax: 07071-29-4488
    E-Mail: holger.lerche@uni-tuebingen.de

    Pressestelle der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN)
    Tel.: 089 461486-22, Fax: 089 461486-25
    E-Mail: presse@dgn.org

    Pressestelle der Deutschen Gesellschaft für Neurologie e.V.
    Frank A. Miltner
    c/o albertZWEI media GmbH
    Englmannstr. 2, 81673 München
    Tel.: +49 (0)89-46148622, Fax: +49 (0)89-46148625
    E-Mail: presse@dgn.org

    Pressesprecher: Prof. Dr. Hans-Christoph Diener

    Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN)
    sieht sich als medizinische Fachgesellschaft in der gesellschaftlichen Verantwortung, mit ihren mehr als 7500 Mitgliedern die Qualität der neurologischen Krankenversorgung in Deutschland zu sichern. Dafür fördert die DGN Wissenschaft und Forschung sowie Lehre, Fort- und Weiterbildung in der Neurologie. Sie beteiligt sich an der gesundheitspolitischen Diskussion. Die DGN wurde im Jahr 1907 in Dresden gegründet. Sitz der Geschäftsstelle ist seit 2008 Berlin. http://www.dgn.org

    1. Vorsitzender: Prof. Dr. med. Martin Grond
    2. Vorsitzender: Prof. Dr. med. Wolfgang H. Oertel
    3. Vorsitzender: Prof. Dr. med. Ralf Gold
    Geschäftsführer: Dr. rer. nat. Thomas Thiekötter

    Geschäftsstelle
    Reinhardtstr. 27 C, 10117 Berlin, Tel.: +49 (0)30 531 43 79 30, E-Mail: info@dgn.org


    Weitere Informationen:

    http://www.dgn.org


    Bilder

    Anhang
    attachment icon Pressemitteilung: Epilepsie-Varianten

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler
    Biologie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
    überregional
    Forschungs- / Wissenstransfer, Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).