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06.04.2017 20:00

Bakterien gesucht, Riesenviren gefunden

Stephan Brodicky Öffentlichkeitsarbeit
Universität Wien

    Viren sind für gewöhnlich klein – so klein, dass sie weder mit bloßem Auge noch mit Hilfe eines Lichtmikroskops erkennbar sind. MikrobiologInnen um Michael Wagner, Holger Daims und Matthias Horn von der Universität Wien und des U.S.-amerikanischen Joint Genome Institute haben nun gleich vier verschiedene so genannte Riesenviren in einer Probe u.a. aus der Kläranlage Klosterneuburg entdeckt. Die "Klosneuviren" sind hundertfach größer als das Grippevirus, für den Menschen harmlos und beenden möglicherweise eine jahrelange Kontroverse über eine vierte Domäne des Lebens. Die Studie erscheint aktuell in der Zeitschrift "Science".

    Eigentlich war das Forschungsziel ein anderes. Ein Team des Departments für Mikrobiologie und Ökosystemforschung um Holger Daims und Michael Wagner untersuchte Bakterien, die im natürlichen Stickstoffkreislauf der Erde eine wichtige Rolle spielen. Bei der Untersuchung von Proben aus der Kläranlage Klosterneuburg stießen sie auf das Erbgut ungewöhnlicher Riesenviren. "Uns war sofort klar, dass wir da etwas ganz Neuem auf der Spur sind", so Frederik Schulz, Erstautor der Studie und damals noch Doktorand an der Universität Wien.

    Große DNA-Viren mit ungewöhnlichen Eigenschaften

    "Riesenviren kennt man tatsächlich erst seit etwa zehn Jahren. Ursprünglich in einfachen Amöben in Südfrankreich entdeckt, geht die Wissenschaft mittlerweile davon aus, dass sie weit verbreitet sind", erklärt Matthias Horn, Doktorvater von Frederik Schulz. Riesenviren sind nicht nur ähnlich groß wie Bakterien, ihr Genom besteht ebenfalls aus DNA und ist vergleichbar umfangreich. Damit besitzen große DNA-Viren bis zu 200 Mal mehr Gene als beispielsweise das Grippevirus. Sie sind zwar für die Vermehrung – wie alle bekannten Viren – auf die Zellen anderer Organismen angewiesen, aber sie haben Eigenschaften, die man bislang nur von echten Lebewesen kannte. So bringen sie beispielsweise eine Vielzahl an Bausteinen für die Herstellung von Eiweißen, die Proteinbiosynthese, mit.

    Rekordhalter Klosneuvirus

    Die jetzt entdeckten Klosneuviren haben ein für Viren gigantisch umfangreiches Erbgut. Und sie halten einen Rekord, denn in keinem anderen Virus wurden ähnlich viele Gene für die Proteinbiosynthese entdeckt. Ebenfalls typisch für Riesenviren: Ein Großteil des Genoms der Klosneuviren zeigt keinerlei Ähnlichkeit zu dem anderer Viren oder Lebewesen. Das wirft aber eine weitere Frage auf: Handelt es sich bei den Riesenviren also um Relikte einer eigenen Lebensform, die ursprünglich unabhängig von Mikroorganismen (Bakterien und Archaeen) und den Eukaryonten (wie Pflanzen und Tieren) entstanden ist?

    Keine eigene Lebensform

    Die Entdeckung und Untersuchung der Klosneuviren bringt nun endlich Licht ins Dunkel und könnte die jahrelange Debatte über den Ursprung der Riesenviren beenden. Die Rekonstruktion der Evolutionsgeschichte der Klosneuviren zeigt, dass das Genom der Riesenviren ursprünglich eher klein war – so wie das anderer Viren. Erst im Verlauf der Evolution sind durch den Einbau zusätzlicher Gene die riesigen Genome heutiger Vertreter entstanden. Dazu zählen auch die Gene für die Proteinbiosynthese. Diese entstammen nicht etwa einer bisher unbekannten Lebensform, sondern sind den Genen heutiger Lebewesen erstaunlich ähnlich. "Riesenviren sind also keine Relikte einer vierten Domäne des Lebens, sondern eine höchst ungewöhnliche Gruppe an Viren, die sich auf das Sammeln von Genen anderer Organismen spezialisiert haben", resümiert Tanja Woyke, Leiterin der Studie am Joint Genome Institute.

    Den Klosneuviren auf der Spur

    Um die Klosneuviren und ihre ungewöhnliche Sammelleidenschaft besser verstehen zu können, müssten sie eingehender im Labor studiert werden. Bislang konnten die Virusteilchen aber nicht isoliert werden. "Derzeit versuchen wir, die Viren aus neuen Proben aus Klosterneuburg zu gewinnen, indem wir ihnen einzellige Amöben für die eigene Vermehrung anbieten", erklären Horn und Wagner: “Die Entdeckung der Klosneuviren ist ein Paradebeispiel dafür, wie wissenschaftliche Neugier zu völlig unerwarteten Entdeckungen führt, die – in diesem Fall – grundsätzliche Fragen des Lebens betreffen".

    Die Arbeit an der Studie über die Klosneuviren wurde unter anderem vom Wissenschaftsfonds (FWF) sowie vom European Research Council (ERC) gefördert.

    Publikation in "Science"
    "Giant viruses with an expanded complement of translation system components":
    Frederik Schulz, Natalya Yutin, Natalia N. Ivanova, Davi R. Ortega, Tae Kwon Lee, Julia Vierheilig, Holger Daims, Matthias Horn, Michael Wagner, Grant J. Jensen, Nikos C. Kyrpides, Eugene V. Koonin, Tanja Woyke
    DOI: 10.1126/science.aal4657

    Wissenschaftliche Kontakte
    Univ.-Prof. Dipl.-Biol. Dr. Dr. h.c. Michael Wagner
    Univ.-Prof. Dipl.-Biol. Dr. Matthias Horn
    Assoz. Prof. Dipl.-Biol. Dr. Holger Daims
    Department für Mikrobiologie und Ökosystemforschung
    Forschungsverbund Chemistry meets Microbiology
    Universität Wien
    1090 Wien, Althanstraße 14
    T +43-1-4277-766 00, -08, oder -04
    wagner@microbial-ecology.net
    horn@microbial-ecology.net
    daims@microbial-ecology.net

    Rückfragehinweis
    Mag. Alexandra Frey
    Pressebüro der Universität Wien
    Forschung und Lehre
    Universitätsring 1, 1010 Wien
    T +43-1-4277-175 33
    M +43-664-60277-175 33
    alexandra.frey@univie.ac.at

    Offen für Neues. Seit 1365.
    Die Universität Wien ist eine der ältesten und größten Universitäten Europas: An 19 Fakultäten und Zentren arbeiten rund 9.600 MitarbeiterInnen, davon 6.800 WissenschafterInnen. Die Universität Wien ist damit die größte Forschungsinstitution Österreichs sowie die größte Bildungsstätte: An der Universität Wien sind derzeit rund 94.000 nationale und internationale Studierende inskribiert. Mit über 175 Studien verfügt sie über das vielfältigste Studienangebot des Landes. Die Universität Wien ist auch eine bedeutende Einrichtung für Weiterbildung in Österreich. http://www.univie.ac.at


    Bilder

    Kläranlage Klosterneuburg. In diesem unscheinbaren Becken zur Abwasserreinigung verbergen sich riesige Viren mit ungewöhnlichen, völlig unerwarteten Eigenschaften.
    Kläranlage Klosterneuburg. In diesem unscheinbaren Becken zur Abwasserreinigung verbergen sich riesi ...
    Copyright: Universität Wien
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    Von links nach rechts: Julia Vierheilig, Holger Daims, Frederik Schulz (Erstautor, jetzt am U.S.-amerikanischen Joint Genome Institute; Stand-in Dimitri Kits), Michael Wagner, Matthias Horn.
    Von links nach rechts: Julia Vierheilig, Holger Daims, Frederik Schulz (Erstautor, jetzt am U.S.-ame ...
    Copyright: Universität Wien
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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Biologie, Chemie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin, Umwelt / Ökologie
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

    Kläranlage Klosterneuburg. In diesem unscheinbaren Becken zur Abwasserreinigung verbergen sich riesige Viren mit ungewöhnlichen, völlig unerwarteten Eigenschaften.


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    Von links nach rechts: Julia Vierheilig, Holger Daims, Frederik Schulz (Erstautor, jetzt am U.S.-amerikanischen Joint Genome Institute; Stand-in Dimitri Kits), Michael Wagner, Matthias Horn.


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