idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
26.09.2019 10:49

Wie neuronale Schaltkreise hungrige Individuen zu Höchstleistungen antreiben: Das Geheimnis der Motivation

Dr. Ulrich Marsch Corporate Communications Center
Technische Universität München

    Erfolg kommt nicht von ungefähr: Wer sein Ziel erreichen will, braucht Durchhaltevermögen. Doch woher kommt die Motivation dafür? Ein internationales Forschungsteam, angeführt von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Technischen Universität München (TUM), hat jetzt im Gehirn von Fruchtfliegen den neuronalen Schaltkreis identifiziert, der diese bei der Futtersuche zu Höchstleitungen antreibt.

    Der Duft von Essig oder Obst lässt Fruchtfliegen schneller laufen. Um das Futter zu erreichen, rennen sie bis zur Erschöpfung. Doch trotz der Anstrengung kommen sie ihrem Ziel nicht näher: Die winzigen Fliegen im Labor der TUM School of Life Sciences Weihenstephan sind am Oberkörper fixiert und können nur auf der Stelle laufen.

    Die Bewegungen ihrer Beine drehen einen Ball, der auf einem Luftkissen schwebt. Aus der Drehgeschwindigkeit kann die Neurobiologin Prof. Ilona C. Grunwald Kadow ableiten, wie sehr sich eine Fruchtfliege bemüht, Futter zu finden.

    „Unsere Experimente zeigen, dass hungrige Individuen ihre Leistung immer weiter steigern – sie laufen in einer Minute bis zu neun Meter. Satte Fruchtfliegen hingegen geben schnell auf“, berichtet die Forscherin. „Dies beweist, dass auch einfache Organismen Durchhaltevermögen und Beharrlichkeit an den Tag legen – bisher dachte man, dass diese Eigenschaften Menschen und anderen höheren Lebewesen vorbehalten sind.“

    Ein neuronaler Schaltkreis steuert das Durchhaltevermögen

    Zusammen mit Julijana Gjorgjieva, Professorin für Computergestützte Neurowissenschaften an der TU München und Gruppenleiterin am MPI für Hirnforschung in Frankfurt, sowie einem internationalen und interdisziplinären Forscherteam, konnte Grunwald Kadow erstmals einen neuronalen Schaltkreis im Gehirn der kleinen Fliegen identifizieren, der diese Art von Durchhaltevermögen steuert.

    Dass die Wissenschaftler ausgerechnet die Motivation von Fruchtfliegen untersucht haben, ist kein Zufall. „Die Fliegengehirne haben eine Million Mal weniger Nervenzellen als das menschliche Gehirn. Man kann daher bei Fruchtfliegen deutlich einfacher herausfinden, was ein einzelnes Neuron bewirkt und wie“, erläutert die Professorin. „So können wir die Prinzipien neuronaler Schaltkreise verstehen, die der Funktion auch komplexer Gehirne zu Grund liegt.“

    Die Macht der Neuronen

    Um den für die Motivation verantwortlichen neuronalen Schaltkreis zu identifizieren, verwendete das Team verschiedene Techniken: Zunächst wurde ein mathematisches Modell erstellt, welches das Zusammenspiel von äußeren und inneren Reizen – beispielsweise Essiggeruch und Hunger – simuliert.

    Im nächsten Schritt identifizierten die Neurowissenschaftler der TUM zusammen mit Kollegen in USA und Großbritannien das gesuchte Netzwerk im Gehirn der Fruchtfliege. Dies gelang mit Hilfe von Elektronenmikroskopie, In-Vivo-Imaging und Verhaltensversuchen.

    Das Ergebnis: Der gesuchte neuronale Schaltkreis liegt im Lern- und Erinnerungszentrum des Fliegengehirns. Gesteuert wird er durch die beiden Botenstoffe Dopamin und Octopamin. Das Dopamin verstärkt die Aktivität des Schaltkreises, steigert also die Motivation, das Octopamin hingegen senkt die Bereitschaft sich anzustrengen.

    „Da diese Botenstoffe und entsprechende Schaltkreise auch im Gehirn von Säugetieren existieren, nehmen wir an, dass hier ähnliche Mechanismen über Weitermachen oder Aufhören entscheiden“, resümiert die Neurobiologin. Langfristig hoffen die Forscher, dass ihre Erkenntnisse helfen zu verstehen, warum das Zusammenspiel von Neuronen und Botenstoffen im Gehirn beispielsweise bei Suchtkrankheiten aus dem Ruder läuft.

    Mehr Informationen:

    Für die Identifizierung neuronaler Schaltkreise kooperierten Wissenschaftler der TUM School of Life Sciences, des Max-Planck-Instituts für Neurobiologie, des Max-Planck-Instituts für Hirnforschung, der Universität Cambridge (UK), des Janelia Research Campus (USA) und des MRC Laboratory of Molecular Biology (UK).

    Die Forschung wurde gefördert durch die Max-Planck-Gesellschaft, das European Research Council (ERC), das Marie Curie Training Network, die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), das Howard Hughes Medical Institute (USA) und das Medical Research Council (UK). Julijana Gjorgjieva ist Tenure Track-Professorin im Max Planck@TUM-Programm der Technischen Universität München.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Prof. Dr. Ilona Grunwald Kadow

    Technische Universität München

    TUM School of Life Sciences
    ZIEL – Institute for Food and Health
    
Liesel-Beckmann-Straße 4, 85354 Freising-Weihenstephan
    Tel.: +49 8161 71 2440 – E-Mail: ilona.grunwald@tum.de


    Originalpublikation:

    Sercan Sayin, Jean-Francois De Backer, K.P. Siju, Marina E. Wosniack,Laurence P. Lewis, Lisa-Marie Frisch,Benedikt Gansen, Philipp Schlegel, Amelia Edmondson-Stait, Nadiya Sharifi, Corey B. Fisher, Steven A. Calle-Schuler, J. Scott Lauritzen, Davi D. Bock, Marta Costa, Gregory S.X.E. Jefferis, Julijana Gjorgjieva, Ilona C. Grunwald Kadow
    A Neural Circuit Arbitrates between Persistence and Withdrawal in Hungry Drosophila
    Neuron 104, 1–15, November 6, 2019 – DOI: 10.1016/j.neuron.2019.07.028
    https://doi.org/10.1016/j.neuron.2019.07.028


    Weitere Informationen:

    https://www.tum.de/nc/die-tum/aktuelles/pressemitteilungen/details/35707/ Link zur Pressemitteilung


    Bilder

    Prof. Ilona C. Grunwald Kadow wählt Drosophila Fliegen für ihre Motivationsversuche aus.
    Prof. Ilona C. Grunwald Kadow wählt Drosophila Fliegen für ihre Motivationsversuche aus.
    Bild: Astrid Eckert / TUM
    None

    Set-up für die Messung der Motivation der Fruchtfliegen.
    Set-up für die Messung der Motivation der Fruchtfliegen.
    Bild: Astrid Eckert / TUM
    None


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Studierende, Wissenschaftler, jedermann
    Biologie, Chemie, Medizin, Psychologie
    überregional
    Forschungsprojekte, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

    Prof. Ilona C. Grunwald Kadow wählt Drosophila Fliegen für ihre Motivationsversuche aus.


    Zum Download

    x

    Set-up für die Messung der Motivation der Fruchtfliegen.


    Zum Download

    x

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).