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21.04.2022 11:00

Antikörper-Therapie bei Prionen-Erkrankung (Creutzfeldt-Jakob) erstmals am Menschen erprobt

Dr. Bettina Albers Pressestelle der DGN
Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V.

    Berlin - Prionen-Erkrankungen wie die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (CJK) sind bei Menschen sehr selten, aber schon seit 100 Jahren bekannt. In das Bewusstsein der Öffentlichkeit gelangten Prionen vor ca. 25 Jahren mit der BSE-Epidemie in Großbritannien, als von Rindern eine CJK-Variante auf Menschen überging. Die Erforschung der Pathomechanismen und der „first-in-human“-Einsatz eines spezifischen monoklonalen CJK-Antikörpers [1] hat nun einen möglichen Meilenstein für eine Therapie erreicht – mit Implikationen auch für andere neurodegenerative Erkrankungen.

    Die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (CJK) ist eine progrediente neurodegenerative Erkrankung des Gehirns, die unter anderem mit psychischen Symptomen, Bewegungsstörungen (Ataxie) und Demenz einhergeht. Das Hirngewebe nimmt dabei im Verlauf eine schwammartige („spongiforme“) Struktur an. Die CJK (auch humane spongiforme Enzephalopathie) wurde 1922 erstmals beschrieben [2], sie ist ausgesprochen selten, die Inzidenz liegt in Deutschland bei 1-2 Fällen pro Million Einwohner pro Jahr [3]. Es handelt sich um eine sogenannte Prionen-Erkrankung (in 85 % sporadisch, seltener genetisch/familiär bedingt), die mit einer Mutation im PRNP (Prion-Protein)-Gen assoziiert ist. Inzwischen sind über 30 Mutationen bekannt. Das normale PRNP-Gen codiert für ein zelluläres Protein (PrPC) auf Zelloberflächen im Zentralnervensystem. Außerdem gibt es übertragbare Formen, z. B. über medizinische Behandlungen (z. B. vor 1985 Wachstumshormone von Leichen). Prionen bzw. eine „CJK-Variante“ (vCJK) wurden der Öffentlichkeit in den 90er Jahren bekannt, als sie in Großbritannien epidemisch von BSE-erkrankten Rindern (über das Fleisch) auf Menschen überging (weltweit bisher ca. 220 Fälle [2]). Als tödliche Tierseuche ist die Prionen-Erkrankung BSE („bovine spongiforme Enzephalopathie“) bereits länger bekannt.

    Krankheitsauslösend sind Prione („infektiöse Proteine“ bzw. Prion-Proteine /PrP) durch ihre fehlerhaft gefaltete Molekül-Struktur. Prionen lagern sich im Gehirn ab und „vermehren“ sich, indem sie gesunde Zellen quasi infizieren bzw. dem normalen PrPC auf den Zelloberflächen die gleiche Fehlfaltung aufzwingen. So kommt es zu Funktionsstörungen und Untergang betroffener Neuronen. Die Prion-Proteine sind im Nervenwasser (Liquor) nachweisbar, die Erkrankung ist in Deutschland meldepflichtig. Eine Therapie existiert bislang nicht, symptomatische Behandlungen können den tödlichen Verlauf nicht aufhalten, die Betroffenen sterben im Mittel nach sechs Monaten.

    Präklinische Studien ließen PrP als plausible therapeutische Zielstruktur erscheinen. So konnte mit Antikörpern der Prionenbefall aus Zellkulturen entfernt werden. Die passive Immunisierung durch Antikörper-Gabe führte außerdem in Tiermodellen zu einem effektiven Schutz vor Prionenerkrankungen. Daraufhin wurde ein spezifischer, humanisierter monoklonaler Anti-PrPC-Antikörper (PRN100) entwickelt und nun mit einer Sondergenehmigung erstmals bei sechs CJK-Betroffenen eingesetzt [1]. Die Patientenrekrutierung erfolgte (2008-2018) im Rahmen des „National Prion Monitoring“ (NPM) und umfasste vier Frauen und zwei Männer (ein Fall vermutlich iatrogen bedingt durch eine Wachstumshormontherapie, die anderen sporadischer Natur), die noch nicht im Endstadium der Erkrankung waren. Nach langsamer Dosissteigerung wurde alle zwei Wochen intravenös mit 80-120 mg/kg PRN100 Wochen behandelt, insgesamt zwischen 7-260 Tagen. Die PRN100-Zielkonzentration (50 nM) im Liquor wurden nach 22-70 Tagen erreicht. Nebenwirkungen wurden engmaschig überwacht – klinisch bedeutsame Ereignisse traten nicht auf (Behandlungsdauer bis acht Monate). Die CJK-Progression wurde während der Behandlung durch festgelegte Tests ermittelt („Medical Research Council/MRC Prion Disease Rating Scale”, „Motor Scale”, „Cognitive Scale”) und mit dem natürlichen Krankheitsverlauf unbehandelter CJK-Betroffener aus der NPM-Kohorte verglichen (gematcht nach CJK-Schweregrad, Subtyp und genetischem Befund).

    Bei drei Patienten schienen sich die MRC-Testergebnisse in der Phase maximaler Antikörperspiegel zu stabilisieren. Letztendlich verstarben aber alle Patienten 2-17 Monaten nach Symptombeginn, entweder an der Erkrankungsprogredienz (n=2), an einer Lungenentzündung (n=1), an einer Sepsis (n=1) oder nach Aufbrauchen der PRN100-Vorräte (n=2). Zwei Verstorbene wurden obduziert und die Befunde mit Autopsien unbehandelter Betroffener verglichen. Hinweise für eine Zelltoxizität durch PRN100 fanden sich nicht. Die Patientin mit der iatrogen übertragenen CJK hatte länger überlebt (140 Tage) als alle anderen bisher dokumentierten Fälle dieser CJK-Form und es zeigten sich PrP-Veränderungen, die sich von unbehandelten CJK-Betroffenen unterschieden. Der zweite obduzierte Patient (sporadische CJK), der wegen eines schnellen Verlaufs nur eine Dosis von 80 mg/kg erreichte, zeigte synaptische PrP-Veränderungen in bestimmten Hirnregionen bzw. eine Umverteilung, die bei unbehandelter CJK ebenfalls nicht bekannt sind. Die PRN100-Konzentrationen in verschiedenen Gehirnregionen lagen zwischen 9,9 µg/g (im Thalamus) bis hin zu 27,4 µg/g (in den Basalganglien).

    „Dieses Sonderprogramm untersuchte erstmals eine rational entwickelte experimentelle Behandlung für humane Prionenerkrankungen bei einer kleinen Zahl Betroffener – dies könnte aber den Beginn großer künftiger Fortschritte in der neurologischen Therapieforschung darstellen“, so die Einschätzung von Frau Prof. Dr. Inga Zerr, Göttingen. „Basierend auf diesen ersten Sicherheitsdaten und dem Nachweis, dass die i. v. gegebenen Antikörper das Hirngewebe in guter Konzentration erreichen, müssen nun größere Studien, idealerweise in frühesten Erkrankungsstadien und mit schnellerer Dosissteigerung folgen. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass prionenähnliche Pathomechanismen auch bei anderen neurodegenerativen Erkrankungen mit zerebralen Proteinablagerungen (wie M. Alzheimer) eine Rolle zu spielen scheinen – für die ja schon lange dringend nach Therapien gesucht wird.“

    [1] Mead S, Khalili-Shirazi A, Potter C et al. Prion protein monoclonal antibody (PRN100) therapy for Creutzfeldt-Jakob disease: evaluation of a first-in-human treatment programme. Lancet Neurol 2022 Apr; 21 (4): 342-354 doi: 10.1016/S1474-4422(22)00082-5.
    [2] Schuchart S. Berühmte Entdecker von Krankheiten: Creutzfeldt und Jakob waren beide einem Rätsel auf der Spur. Dtsch Arztebl 2019; 116 (49): [60]
    [3] Zerr I. et al., Creutzfeldt-Jakob-Krankheit, S1-Leitlinie, 2018; in: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. https://dgn.org/leitlinien/ll-030-042-creutzfeldt-jakob-krankheit-2019/

    Pressekontakt
    Pressestelle der Deutschen Gesellschaft für Neurologie
    c/o Dr. Bettina Albers, albersconcept, Jakobstraße 38, 99423 Weimar
    Tel.: +49 (0)36 43 77 64 23
    Pressesprecher: Prof. Dr. med. Hans-Christoph Diener, Essen
    E-Mail: presse@dgn.org

    Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN)
    sieht sich als wissenschaftliche Fachgesellschaft in der gesellschaftlichen Verantwortung, mit ihren fast 11.000 Mitgliedern die neurologische Krankenversorgung in Deutschland zu sichern und zu verbessern. Dafür fördert die DGN Wissenschaft und Forschung sowie Lehre, Fort- und Weiterbildung in der Neurologie. Sie beteiligt sich an der gesundheitspolitischen Diskussion. Die DGN wurde im Jahr 1907 in Dresden gegründet. Sitz der Geschäftsstelle ist Berlin. www.dgn.org

    Präsident: Prof. Dr. med. Christian Gerloff
    Stellvertretender Präsident: Prof. Dr. Lars Timmermann
    Past-Präsidentin: Prof. Dr. med. Christine Klein
    Generalsekretär: Prof. Dr. Peter Berlit
    Geschäftsführer: David Friedrich-Schmidt
    Geschäftsstelle: Reinhardtstr. 27 C, 10117 Berlin, Tel.: +49 (0)30 531437930, E-Mail: info@dgn.org


    Originalpublikation:

    doi: 10.1016/S1474-4422(22)00082-5.


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Medizin
    überregional
    Forschungs- / Wissenstransfer, Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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