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29.09.2022 11:30

Positive Studie zu neuem Alzheimer-Medikament – vor Publikation der Daten ist jedoch keine seriöse Einordnung möglich

Dr. Bettina Albers Pressestelle der DGN
Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V.

    Die Firma Biogen/Eisai hat gestern eine Pressemeldung [1] veröffentlicht, die über die positiven Ergebnisse der klinischen Clarity-AD-Studie zur Alzheimer-Therapie mit dem neuen Amyloid-Antikörper Lecanemab berichtet. Experten der DGN raten, die Vollpublikation abzuwarten, denn bisher handelt es sich um eine Teilbekanntmachung der Daten. Hinzu komme, dass die Verbesserung der CDR-SB-Werte trotz statistischer Signifikanz den Unterschied von 0,5 Punkten, ab dem ein Effekt von Expertinnen/Experten als klinisch relevant eingestuft wird [2], mit 0,45 nicht ganz erreichte. Insgesamt sei zum jetzigen Zeitpunkt ohne Kenntnis aller Daten keine seriöse Einordnung möglich.

    Die gestern publizierte Pressemeldung des Unternehmens gibt einen ersten Ausblick auf die Studienergebnisse [1]. Die Daten sollen am 29. November 2022 auf dem CTAD-Kongress („Clinical Trials on Alzheimer’s Congress“) präsentiert werden.

    Bei der Studie handelt sich um eine weltweite, doppelblind randomisierte, placebokontrollierte Phase-3-Studie im Parallelgruppendesign. Ziel war es, die typischen Eiweißablagerungen (Beta-Amyloid), die bei der Alzheimer-Erkrankung im Gehirn der Betroffenen entstehen, zu reduzieren. Es wurden 1.795 Alzheimer-Betroffene in frühen Stadien der Erkrankung (d. h. leichte Alzheimer-Erkrankung bzw. „mildes kognitives Defizit/MCI“ bei M. Alzheimer) eingeschlossen und in zwei gleich große Gruppen randomisiert. Die Gruppen erhielten entweder zweimal wöchentlich 10 mg/kg Lecanemab oder Placebo. Der primäre Endpunkt war das Ausmaß der klinischen Verbesserung gegenüber den Werten in der Placebogruppe – gemessen mit dem CDR-SB-Score („Clinical Dementia Rating-Sum of Boxes“). Der Score quantifiziert verschiedene Schweregrade von Demenz-Symptomen und wird nach Befragung der Betroffenen und deren Angehörigen bzw. Pflegenden berechnet; enthalten sind die Bereiche Erinnerung, Orientierung, Urteilsvermögen, Problemlösung, „Community affairs“, „Haus und Hobbys“ und Körperpflege.

    Im Ergebnis war der CDR-SB-Score in der Lecanemab-Gruppe nach 18 Monaten um 0,45 Punkte besser als mit Placebo, und das Ergebnis war statistisch hochsignifikant (p = 0,00005). Die Behandlung mit Lecanemab verlangsamte demnach im Vergleich zum Placebo den fortschreitenden Verlust kognitiver und funktioneller Funktionen über den Zeitraum um 27%, ging aber auch mit einer erhöhten Nebenwirkungsrate einher: Die gesamte Inzidenz unerwünschter Wirkungen lag mit Lecanemab bei 21,3% und mit Placebo bei 9,3%. Dies waren vor allem Auffälligkeiten in der zerebralen Bildgebung (wie beispielsweise Ödem) bei 12,5% in der Verum- und bei 1,7% in der Placebo-Gruppe (symptomatisch 2,8% bzw. 0%); aber auch Einblutungen ins Hirngewebe: 17% in der Lecanemab-Gruppe und 8,7% in der Placebo Gruppe (symptomatisch 0,7% und 0,2%).

    In der Mitteilung heißt es, das neue Medikament gebe Betroffenen und ihren Familien Hoffnung, dass künftig möglicherweise mit einer klinisch bedeutsamen Wirkung auf Kognition und Funktion das Fortschreiten der Alzheimer-Erkrankung verlangsamt werden könnte. Die signifikanten Ergebnisse auch der sekundären Endpunkte bestätige das insgesamt gute Studienergebnis. Die Nebenwirkungen seien im Rahmen des Erwartenden geblieben.

    „Die Studie zeigt nach dieser Meldung, dass der Antikörper die Amyloid-Beta-Ablagerung im Gehirn vermindert und dass dies mit einer Progressionsverlangsamung bei Betroffenen in frühen Stadien der Erkrankung assoziiert ist“, fasst auch Prof. Dr. Richard Dodel, Alzheimer-Experte der DGN, zusammen. „Die Ergebnisse waren statistisch signifikant, jedoch ist zurzeit noch unklar, ob klinisch bzw. im Lebensalltag tatsächlich ein Nutzen für die Betroffenen zu spüren war. Statistisch signifikant bedeutet nicht automatisch klinisch relevant. Unter Alzheimer-Experten gilt üblicherweise ein Score-Unterschied von 0,5 Punkten als klinisch bedeutsam für die Betroffenen [2]. Dieser wurde mit 0,45 Punkten in der Studie nicht ganz erreicht.“

    Auch der DGN-Generalsekretär Prof. Dr. Peter Berlit mahnt zum jetzigen Zeitpunkt zur Vorsicht bei der Interpretation der Ergebnisse. „Es handelt sich um die Teilpublikation einer abgeschlossenen Phase-3-Studie, die, soweit erkennbar, gut designt war, eine relativ große Teilnehmendenzahl hatte und abgeschlossen wurde. Auch wenn das alles in die richtige Richtung weist, möchten wir als Fachgesellschaft die Ergebnisse noch nicht bewerten oder kommentieren. Wir werden die offizielle Vollpublikation abwarten, mit Veröffentlichung aller Ergebnisse und Messwerte, um für Betroffene, Angehörige und Behandelnde eine seriöse Einordnung zu geben.“

    [1] LECANEMAB CONFIRMATORY PHASE 3 CLARITY AD STUDY MET PRIMARY ENDPOINT, SHOWING HIGHLY STATISTICALLY SIGNIFICANT REDUCTION OF CLINICAL DECLINE IN LARGE GLOBAL CLINICAL STUDY OF 1,795 PARTICIPANTS WITH EARLY ALZHEIMER’S DISEASE. SEPTEMBER 27, 2022 • INVESTOR RELATIONS- abrufbar unter https://investors.biogen.com/news-releases/news-release-details/lecanemab-confir...

    [2] Borland E, Edgar C, Stomrud E, Cullen N, Hansson O, Palmqvist S. Clinically Relevant Changes for Cognitive Outcomes in Preclinical and Prodromal Cognitive Stages: Implications for Clinical Alzheimer Trials. Neurology. 2022 Jul 14:10.1212/WNL.0000000000200817. doi: 10.1212/WNL.0000000000200817. Epub ahead of print. PMID: 35835560.

    Pressekontakt
    Pressestelle der Deutschen Gesellschaft für Neurologie
    c/o Dr. Bettina Albers, albersconcept, Jakobstraße 38, 99423 Weimar
    Tel.: +49 (0)36 43 77 64 23
    Pressesprecher: Prof. Dr. med. Hans-Christoph Diener, Essen
    E-Mail: presse@dgn.org

    Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN)
    sieht sich als wissenschaftliche Fachgesellschaft in der gesellschaftlichen Verantwortung, mit ihren über 11.000 Mitgliedern die neurologische Krankenversorgung in Deutschland zu sichern und zu verbessern. Dafür fördert die DGN Wissenschaft und Forschung sowie Lehre, Fort- und Weiterbildung in der Neurologie. Sie beteiligt sich an der gesundheitspolitischen Diskussion. Die DGN wurde im Jahr 1907 in Dresden gegründet. Sitz der Geschäftsstelle ist Berlin. www.dgn.org

    Präsident: Prof. Dr. med. Christian Gerloff
    Stellvertretender Präsident: Prof. Dr. Lars Timmermann
    Past-Präsidentin: Prof. Dr. med. Christine Klein
    Generalsekretär: Prof. Dr. Peter Berlit
    Geschäftsführer: David Friedrich-Schmidt
    Geschäftsstelle: Reinhardtstr. 27 C, 10117 Berlin, Tel.: +49 (0)30 531437930, E-Mail: info@dgn.org


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Medizin
    überregional
    Forschungs- / Wissenstransfer, Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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