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04.12.1998 11:10

Neue Eiweißstruktur entschlüsselt

Dr. Manfred Leber Pressestelle der Universität des Saarlandes
Universität des Saarlandes

    Durchbruch in molekularbiologischer Grundlagenforschung mit Anwendungsperspektiven für die verschiedensten Bereiche:
    Von der Arzneimittelfoschung bis zur Entwicklung von Bio-Materialien

    Jahrzehntelanges Kopfzerbrechen hat Forschern in aller Welt die Frage nach der Raumstruktur eines Proteins bereitet, das bei der Entstehung und Wirkung verschiedener Hormone, der sogenannten Steroidhormone eine zentrale Rolle spielt. Die Sexualhormone zählen dazu sowie weitere Hormone, die Stoffwechselvorgänge regulieren, etwa die Antwort unseres Körpers auf Streß (Glucocorticoide) oder die Kontrolle des Salz- und Wasserhaushaltes im Organismus und damit auch unseres Blutdrucks (Mineralocorticoide). An der Aufklärung der Raumstruktur des für ihre Synthese notwendigen Proteins Adrenodoxin tüftelten Wissenschaftler seit Beginn der 70er Jahre. Nun ist Prof. Dr. Rita Bernhardt (Universität des Saarlandes, Fachrichtung Biochemie) zusammen mit Prof. Dr. Udo Heinemann (Max-Delbrück-Centrum, Berlin) der Durchbruch gelungen.

    Die Entdeckung der lang gesuchten Struktur durch Bernhardt und Heinemann kann als grundlegender Beitrag gesehen werden, das Funktionieren biologischer Systeme besser zu verstehen. Wie im Falle der Photosynthese oder der Zellatmung basiert auch die Bildung und Wirkung von Steroidhormonen auf dem Austausch von Elektronen. Das bei ihrer Synthese zentral beteiligte Adrenodoxin ist ein Eisen-Schwefel-Protein, wobei das enthaltene Eisen dafür verantwortlich ist, daß zwischen den Adrenodoxinen und den steroid-synthetisierenden Proteinen die Elektronenübertragung funktioniert. Von der Aufklärung der Raumstruktur des Proteins verspricht man sich nun auch eine genauere Vorstellung davon, wie die Elektronenübertragung von einem Protein aufs andere erfolgt und wie man diesen Prozeß bei einer Störung von Stoffwechselvorgängen beeinflussen kann.

    Doch auch bei Neuentwicklungen in weiteren Anwendungsgebieten könnte die Entdeckung der Forschergruppen von Bernhardt und Heinemann zum Tragen kommen: bei der Arzneimittelforschung ebenso wie bei der Entwicklung von Bio-Materialien, mit denen die Miniaturisierung der modernen Computertechnologie weiter vorangetrieben wird. Vorstellbar wird etwa die Entwicklung eines Bio-Chips, in dem ganz nach physiologischem Vorbild einzelne Elektronen übertragen werden. Eine noch kleinere Form von Elektrizität gibt es nicht.

    Die Raumstruktur von Adrenodoxin zu analysieren, was sich jetzt für die verschiedensten Zusammenhänge als Basisentdeckung herausstellen könnte, dürfte den Forschern für lange Zeit ebenso schwierig vorgekommen sein, wie einen Pudding an die Wand zu nageln. "Wir mußten feststellen, daß das Adrenodoxin bei der Isolierung aus den Nebennieren häufig am hinteren Ende (dem sogenannten C-Terminus) gewissermaßen angeknabbert ist, daß also eine Mischung von Proteinmolekülen entsteht, die unterschiedlich lang sind und damit auch keine guten Meßvorlagen lieferten", beschreibt Rita Bernhardt das von ihr inzwischen gelöste Dilemma. Mit Hilfe gentechnischer Verfahren ist der Saarbrücker Wissenschaftlerin mit ihrer Forschergruppe gelungen, das ausfransende Ende der Adrenodoxine einfach soweit abzuschneiden, bis eine einheitliche Struktur übrig blieb. Das verkürzte Adrenodoxin erwies sich glücklicherweise als genauso aktiv wie das natürliche. Damit war der erste grundlegende Schritt zur Entschlüsselung seiner Raumstruktur getan. Das Objekt der Analyse war sozusagen fixiert. Doch wie weiter? Normalerweise werden solche kleinen Untersuchungsobjekte wie ein einzelnes Protein mit einem Schwermetall bestückt (dotiert), um seinen inneren Aufbau dann mit Hilfe von Röntgenstrahlen zu erschließen. Denn Schwermetalle können Röntgenstrahlen in einer Weise brechen und meßbar machen, daß daraus die Struktur der mit ihnen bestückten Proteine errechnet werden kann. Doch während die konkurrierenden Forscher in den USA noch darum bemüht waren, das Adrenodoxin zu dotieren, ohne dabei die gesamte Struktur des Proteins zu verändern, gingen am Max-Delbrück-Centrum die Kristallographen um Prof. Heinemann gleich an's Bestrahlen und Messen. Sie hatten sich ein neuentwickeltes Verfahren (MAD-Verfahren) zunutze gemacht, bei dem statt einem Schwermetall auch die im Adrenodoxin natürlich vorhandenenen Eisen-Ionen als Fixpunkte für die Strukturberechnung fungieren können.

    Für die internationale Fachwelt erfolgte die Veröffentlichung der Forschungsergebnisse von Bernhardt und Heinemann in diesem Frühjahr in "Structure", einer weltweit führenden Zeitschrift für biologische Strukturanalysen. Die unmittelbare Folge waren zahlreiche Einladungen zu internationalen Tagungen. So war Prof. Bernhardt bei Kongressen in den USA, Kanada, Frankreich und Japan ein vielgefragter Gast. Perspektivenreiche Anknüpfungspunkte verspricht vor allem aber auch der neue Forschungsschwerpunkt "Biologisch komponierte Materialien und Systeme" (BKM&S), der sich gerade an der Universität des Saarlandes im Aufbau befindet. Sich hier einzubringen, erscheint einerseits nicht ganz einfach. Denn, so weiß Frau Bernhardt aus Erfahrung: "Die Partner aus Physik und Ingenieurwissenschaften sprechen eine andere Sprache als Biologen". Andererseits weiß die Entdeckerin der Raumstruktur von Adrenodoxin aber auch: "Dieses Sprachproblem muß überwunden werden. Denn in den Grenzbereichen zwischen den Disziplinen liegt heute das größte Forschungs- und Entwicklungspotential." Ein erstes fachübergreifendes Projekt wurde bereits in Angriff genommen, so in Zusammenarbeit mit der Meßtechnik und den Materialwissenschaften zur Entwicklung eines neuartigen Bio-Sensors.


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Biologie, Chemie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Informationstechnik, Medizin, Werkstoffwissenschaften
    überregional
    Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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