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02.03.2023 09:41

Am 7. März ist Tag der gesunden Ernährung: „Was wir essen, kommt in den Knochen an“

Peggy Darius Stabsstelle Universitätskommunikation / Medienredaktion
Universität Leipzig

    Die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen ist Lebensaufgabe von Prof. Dr. Wieland Kiess, Professor für Allgemeine Pädiatrie der Universität Leipzig und Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin. Im Interview anlässlich des Tags der gesunden Ernährung am 7. März spricht er über die Erkenntnisse der Langzeitstudie LIFE Child und geht darauf ein, welche Gewichtszunahme einer Schwangeren zum Adipositas-Risiko für das Neugeborene führen kann. Der Kindermediziner ist wissenschaftlicher Leiter des Fachkongresses „Ernährung und Hormone“, der am 11. März in Leipzig stattfinden wird und zu dem sich bislang 100 Experten angemeldet haben.

    Herr Prof. Kiess, Sie haben vor mehr als zehn Jahren die Langzeitstudie LIFE Child initiiert, in welcher Kinder seit ihrer Geburt oder bereits im Mutterleib in ihrer Entwicklung untersucht werden. Was hat sich im Laufe der Zeit verändert?

    Unsere Studie LIFE Child hat das Alleinstellungsmerkmal der Langzeituntersuchung gesunder Kinder. Rund 5.000 Kinder und Jugendliche von 0 bis 18 Jahren werden jährlich untersucht, viele von ihnen kommen seit dem Jahr 2011 zu uns. Das ist ein unglaublich reicher Schatz an Daten, denn von jedem einzelnen Individuum haben wir achtzig Laborparameter. Daraus können wir neue Referenzwerte für Labordaten ableiten und Ärzten zur Verfügung stellen. Ich werde oft gefragt, was normale Schilddrüsenwerte bei Kindern sind. Bei Säuglingen sind Schilddrüsenwerte immer höher als bei Erwachsenen. Das muss so sein. Das Wissen um diese verschiedenen Werte ist sehr wichtig, um nicht vorschnell falsche Schlüsse zu ziehen.
    Einige Entwicklungen nehmen wir im Laufe der LIFE Child Studie wahr, beispielsweise, dass der sozialökonomische Hintergrund von Kindern ihre körperliche und psychische Gesundheit beeinflusst. Kinder aus finanziell schwächer gestellten Familien tragen ein höheres Risiko für Übergewicht. Das lässt sich aus der Langzeitbeobachtung ableiten. Die psychische Gesundheit von Kindern hängt auch von ihrer Smartphone-Nutzung ab und vom Handy-Gebrauch der Eltern. Sie sind das Vorbild für ihre Kleinen. Festgestellt haben wir auch, dass Kinder, die im frühen Kindesalter zu Sport und Bewegung angeleitet werden, das sportliche Verhalten beibehalten. Leider geht die Entwicklung dahin, dass Kinder weniger Sport treiben als noch vor zehn Jahren und auch weniger an musikalischer Erziehung teilnehmen.

    Wie beeinflusst die Ernährung der Mutter die Entwicklung des Kindes während und nach der Schwangerschaft?

    Die Ernährung der werdenden Mutter spielt eine entscheidende Rolle für die Gesundheit des Kindes. Eine Mutter, die sich vegan ernährt und ausschließlich stillt, füttert ihrem Kind leider einen irreversiblen Mangel an Vitamin B12 zu. Der Körper benötigt dieses Vitamin für den Energiestoffwechsel, zur Bildung von Blutzellen und zum Aufbau der Nervenhüllen. Es steckt in größeren Mengen in tierischen Produkten wie Fleisch, Fisch, Eiern und Milcherzeugnissen und kann vom Mensch nicht selbst gebildet werden. Ein massiver Vitamin-B12-Mangel schädigt das Kind. Das sind Einzelfälle an schwerbehinderten Kindern, die wir dann in der Klinik sehen. Die Schädigung ließe sich leicht vermeiden, wenn die Vitamine hinzugefügt würden, die in veganer oder vegetarischer Ernährungsform nicht oder nur gering enthalten sind.
    Wir haben gerade eine Studie eingereicht zum Adipositasrisiko bei Neugeborenen. Denn wir stellen fest, dass eine zu starke und rasche Gewichtszunahme in der Schwangerschaft dazu führt, dass Neugeborene bei der Geburt (zu) schwer sind. Unabhängig davon, ob die Mutter vor der Schwangerschaft schlank war. Das heißt, nimmt eine schlanke Schwangere schnell und mehr als zwölf Kilogramm bis zur Geburt zu, dann steigt das Risiko ihres Babys auf Fettleibigkeit. Dieses Risiko ist dann höher als bei einer übergewichtigen Schwangeren, bei der sich die Gewichtszunahme im Rahmen hält. Diese Erkenntnis hat uns sehr überrascht. Wir studieren die Assoziationen, welche Faktoren in welchem Wechselspiel auftreten. Die wahren Ursachen kennen wir nicht.

    Welche neuen Erkenntnisse gibt es aus der Schulernährung und dem Essverhalten zu Hause am Familien-Esstisch?

    Wir haben vor einigen Jahren zur Schulernährung publiziert und festgestellt, dass diese besser ist als ihr Ruf. Viele Schülerinnen und Schüler essen mittags in der Schulkantine. Damit hat auch die Qualität des Schulessens einen Einfluss auf das Gewicht und die Gesundheit der Kinder, unabhängig vom sozialökonomischen Milieu des Elternhauses. Leider ist es typisch deutsch, dass beim Schulessen immer die Frage der Kosten als erste gestellt wird. In anderen Ländern wie beispielsweise Frankreich fragen die Eltern nach gesunden Inhaltsstoffen, nicht so bei uns. Das Thema Schulernährung wird auf unserem Kongress ebenfalls eine Rolle spielen.

    Die Regierungsparteien hatten sich im Koalitionsvertrag geeinigt, dass es an Kinder gerichtete Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- und Salzgehalt in Zukunft bei Sendungen und Formaten für unter 14-Jährige nicht mehr geben darf. Was halten Sie von so einem Werbeverbot?

    Ich fordere das Werbeverbot ein, wie es schon von vielen Fachverbänden getan wird. Auch Schleichwerbung sollte verboten werden, wenn die Comicfigur farblich mit einer Süßigkeit assoziiert wird und Geräusche produziert, die unterbewusst an knisternde Verpackung erinnert. Wir werden alle eingewoben von kommerzieller Werbung. Ich bin eigentlich gegen Verbote, aber anders kommt man diesen Sachen nicht bei. Dabei ist eine ausgewogene, vielfältige Ernährung wichtig. Frisch Gekochtes und weniger Fertigprodukte verwenden, um so auch den Zucker und Salzgehalt vor allem von Fertigprodukten niedrig zu halten. Aber ungesunde Lebensmittel sind nur ein Teil der Adipositasepidemie, so ehrlich müssen wir sein. Der andere Teil ist die mangelnde sportliche Bewegung.

    Wie kann diesen Entwicklungen entgegengewirkt werden?

    Es braucht Aufklärung. Und Bildung ist einer der Hauptpunkte. Hier müssen wir ganz früh anfangen, schon im Kindergarten, in der Schule dann mit Sozialarbeit, in der Freizeit mit Sportangeboten. Wir müssen darauf achten, dass die Kinder eine abwechslungsreiche Ernährung bekommen, an die frische Luft gehen und Sonnenenergie tanken. Wenn Kinder Sport treiben, wird die Muskulatur aktiviert, diese stabilisiert die Knochen und das Sonnen-Vitamin-D kann besser wirken. Wir sprechen dann von der Muskelknochenachse. Was wir essen, kommt in den Knochen an. Ernährung und Hormone stehen in einem sehr komplexen Zusammenhang.

    Der hybrid geplante Kongress Paediatric Research Leipzig findet am 11. März 2023 von 10.00 bis 18.00 Uhr in der Kongresshalle am Zoo statt und richtet sich an ein Fachpublikum wie zum Beispiel niedergelassene Kinder- und Jugendärzte. Bei Interesse an einer Teilnahme ist die Anmeldung noch jederzeit möglich auf der Internetseite.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Prof. Dr. med. Wieland Kiess

    Telefon: +49 341 97 26000
    E-Mail: wieland.kiess@medizin.uni-leipzig.de


    Weitere Informationen:

    https://paediatric-research.de/
    https://home.uni-leipzig.de/lifechild/


    Bilder

    Prof. Dr. Wieland Kiess
    Prof. Dr. Wieland Kiess
    Foto: Stefan Straube/UKL


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, jedermann
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Gesellschaft, Medizin, Pädagogik / Bildung
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Wissenschaftliche Tagungen
    Deutsch


     

    Prof. Dr. Wieland Kiess


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