idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
22.08.2023 13:39

Molekulardynamiken komplexer Proteine entschlüsseln

Helena Dietz Stabsstelle Kommunikation und Marketing
Universität Konstanz

    Welche möglichen räumlichen Strukturen können komplexe Proteine einnehmen? Diese Frage beantworten Konstanzer Biophysiker*innen am Beispiel von Ubiquitin-Dimeren durch eine neuartige Kombination hochauflösender NMR-Spektroskopie mit aufwendigen Computersimulationen.

    Proteine bestehen aus Aminosäuren, die nach Vorgabe unseres Erbguts zu langen Aminosäureketten verknüpft werden. Diese liegen jedoch nicht einfach wie Perlenketten zusammengerollt in unseren Zellen vor, sondern falten sich zu komplexen, dreidimensionalen Strukturen. Dabei bestimmt die Faltung eines Proteins in entscheidendem Maße dessen Funktion: Aus ihr geht beispielsweise hervor, mit welchen anderen Molekülen ein Protein in der Zelle wechselwirken kann. Die Kenntnis über die räumliche Struktur von Proteinen ist daher von großem Interesse für die Lebenswissenschaften und spielt unter anderem bei der Entwicklung von Arzneimitteln eine Rolle.

    „Leider ist die Aufklärung der räumlichen Struktur eines Proteins alles andere als trivial und die Fokussierung auf einen einzelnen Zustand nicht immer zielführend, insbesondere je wandelbarer das Protein hinsichtlich seiner Struktur ist“, so Tobias Schneider, Mitarbeiter im Labor von Michael Kovermann am Fachbereich Chemie der Universität Konstanz. Der Grund: Komplexe Proteine falten sich häufig in mehrere kompakte Untereinheiten, sogenannte Domänen, die wiederum durch flexible Elemente miteinander verbunden sein können. Je mehr dieser flexibel verbundenen Untereinheiten es gibt, desto mehr mögliche dreidimensionale Strukturen kann ein Protein theoretisch annehmen. „So kann es passieren, dass ein Protein in Lösung, zum Beispiel im Inneren unserer Zellen, mehrere gleichberechtigte Zustände besitzt und ständig zwischen diesen wechselt“, erklärt Schneider.

    Dem Strukturensemble auf der Spur
    Eine einfache Momentaufnahme reicht also nicht aus, um die Struktur derartiger Multidomänen-Proteine vollständig zu beschreiben, da diese jeweils nur einen von vielen Zuständen erfassen würde. Um ein detailliertes Bild der möglichen räumlichen Strukturen solcher Proteine zu erhalten, bedürfte es vielmehr der geschickten Kombination verschiedener Methoden. Einen entsprechenden Ansatz unter Verwendung sich gegenseitig ergänzender Methoden stellen Konstanzer Biophysiker*innen um Michael Kovermann und Christine Peter (ebenfalls Fachbereich Chemie) in einem Artikel in der Fachzeitschrift Structure vor.

    „Die NMR-Spektroskopie erlaubt es zum Beispiel, Informationen über die dynamischen Eigenschaften solcher Proteine zu gewinnen. Aufwändige Computersimulationen geben hingegen eine gute Übersicht über die Bandbreite möglicher Faltungen“, erläutert Kovermann. „Eine Lösung, welche die dynamischen und strukturellen Eigenschaften von Multidomänen-Proteinen umfänglich abbildet, fehlte bisher.“ Die Konstanzer Forschenden erarbeiteten daher einen Arbeitsablauf, der NMR-Spektroskopie und Computersimulationen miteinander verknüpft, sodass Informationen zu beiden Eigenschaften mit hoher zeitlicher und räumlicher Auflösung gewonnen werden können.

    Machbarkeitsnachweis inklusive
    Den Nachweis, dass die Methode funktioniert, lieferten die Forschenden gleich mit. Sie untersuchten hierfür verschiedene Ubiquitin-Dimere. Diese bestehen aus zwei Einheiten des Proteins Ubiquitin, die durch eine flexible Bindung miteinander verknüpft sind, ähnlich wie es auch in der Zelle vorkommt. Es handelt sich also um ein Paradebeispiel für ein Multidomänen-Protein, für das bisher unterschiedliche Strukturmodelle vorgeschlagen wurden und das von großem wissenschaftlichen Interesse ist.

    Die Forschenden konnten zeigen, dass die untersuchten Ubiquitin-Dimere eine hohe strukturelle Variabilität aufweisen und dass diese mit der entwickelten Methodenkombination detailliert beschrieben werden kann. Somit erklären die Ergebnisse auch die unterschiedlichen Strukturmodelle, die für Ubiquitin-Dimere bislang existieren. „Wir sind überzeugt, dass unser Ansatz – die Kombination sich ergänzender Methoden – nicht nur bei Ubiquitin-Dimeren, sondern auch bei anderen Multidomänen-Proteinen funktioniert“, so Schneider. „Damit eröffnet unsere Studie neue Wege zu einem besseren Verständnis der hohen Strukturvielfalt, die diesen komplexen Proteinen innewohnt und eine entscheidende Rolle für ihre biologischen Funktionen spielt.“

    Faktenübersicht:
    • Originalpublikation: T. Schneider, K. Sawade, F. Berner, C. Peter & M. Kovermann (2023) Specifying conformational heterogeneity of multi-domain proteins at atomic resolution. Structure; doi: https://doi.org/10.1016/j.str.2023.07.008
    • Konstanzer Biophysiker*innen entwickeln Protokoll zur Strukturaufklärung von Multidomänen-Proteinen mit atomarer Auflösung
    • Arbeitsablauf kombiniert chemische Biologie, NMR-Spektroskopie und Molekulardynamik-Simulationen
    • Förderung: SFB969 der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und Young Scholar Fund der Universität Konstanz

    Hinweis an die Redaktionen:
    Bilder können im Folgenden runtergeladen werden:

    Link: https://www.uni-konstanz.de/fileadmin/pi/fileserver/2023/molekulardynamiken_1.jp...
    Bildunterschrift: Ubiquitin-Dimere nehmen in Lösung mehrere verschiedene strukturelle Zustände an, von denen einige hier als Überlagerung abgebildet sind.
    Copyright: Structure; Schneider et al. (2023): https://doi.org/10.1016/j.str.2023.07.008

    Link: https://www.uni-konstanz.de/fileadmin/pi/fileserver/2023/molekulardynamiken_grap...
    Bildunterschrift: Schematische Darstellung der Dynamik verschiedener Ubiquitin-Dimere.
    Copyright: Structure; Schneider et al. (2023): https://doi.org/10.1016/j.str.2023.07.008


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler
    Chemie, Physik / Astronomie
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).